Mittwoch, Oktober 9

Seit 1934 entzückt Donald Duck Fans auf der ganzen Welt. Mehr denn je widerspricht er dem Zeitgeist. Und ist gerade deshalb so erfolgreich.

Mickey Mouse ist schlau, Superman ist stark, aber was ist mit Donald Duck? Die Ente mit Matrosenshirt und nacktem Hinterteil wirkt zwischen all den heldenhaften Comicfiguren fehl am Platz. Donald Duck ist cholerisch, rachsüchtig, tollpatschig, er gerät andauernd in missliche Lagen, lernt nie aus Fehlern. Und das ist auch gut so.

In einer Zeit, in der sich alles um Selbstoptimierung dreht, Scheitern als Folge von Willensschwäche gilt, ist Donald Duck eine erfrischende Alternative. Er widerspricht dem Zeitgeist; gerade das macht ihn so erfolgreich. Er zeigt seit neunzig Jahren, dass Versagen zum Leben gehört.

Am Sonntag feiert Donald Duck Geburtstag. Er ist nach Mickey Mouse die älteste Zeichentrickfigur des amerikanischen Unterhaltungsriesen Disney. Am 9. Juni 1934 trat er erstmals im Fernsehen auf.

Donald Duck blickt auf eine Karriere zurück, von der Hollywoodstars nur träumen können. Er zählt zu den beständigsten und beliebtesten Figuren in der Unterhaltungsindustrie. 2004 hat er einen Stern auf dem Walk of Fame erhalten; auf jener Strasse in Hollywood, auf der die Berühmtesten verewigt sind. Nur eine Handvoll Zeichentrickfiguren erhielten bislang diese Ehre.

Weder Held noch Bösewicht

Donald Duck debütierte im Zeichentrickfilm «The Wise Little Hen» – «Die kluge kleine Henne». Schon bei seinem ersten Auftritt im Jahr 1934 drückte er sich vor der Arbeit: Als eine Henne ihn fragte, ob er bei der Feldarbeit helfen könne, krümmte er sich vor Schmerzen. Die Henne pflanzte den Mais ohne ihn an. Nur ihre Küken halfen und beackerten in mühsamer Arbeit das Feld. Donald Duck hat sich seinen Erfolg mit Faulheit verdient.

Sobald die Henne den Mais geerntet hatte, waren Donald Ducks Bauchschmerzen verschwunden. Die Henne durchschaute den plumpen Täuschungsversuch und servierte ihm eine Flasche Medizin. Donald erhielt von der Henne seine erste Lektion.

Seit 1934 ist Donald Duck in mehr Filmen aufgetreten als jede andere Disney-Figur. Er ist für Disney zu einem Markenzeichen geworden – und ist ein Marketinginstrument. Er ist eine Attraktion in Disney-Themenparks, sein Kopf prangt auf Tassen, T-Shirts, WC-Brillen.

Donald Duck ist wandlungsfähig. Im Zweiten Weltkrieg wurde er gar für die amerikanische Propaganda instrumentalisiert. Statt gegen die alltäglichen Tücken des Alltages kämpfte er in den Kurzfilmen dieser Zeit in der Normandie gegen die Nazis und im Pazifik gegen die Japaner.

In dieser Zeit wurde die Figur Donald Duck immer facettenreicher. Damals begann ihn der amerikanische Comiczeichner zu zeichnen, verlieh ihm Persönlichkeit, schuf die Geschichten rund um dessen reichen Onkel Dagobert, den Cousin Gustav Gans, Daniel Düsentrieb, die fiktive Stadt Entenhausen.

Der Onkel Dagobert Duck ist steinreich, schwimmt wortwörtlich in seinem Geld. Daniel Düsentrieb ist ein genialer Erfinder. Gustav Gans vom Glück geküsst. Donald Duck ist nichts von dem.

Donald Duck kämpft wie die meisten von uns mit Neid und Eifersucht. Seine Schwächen lassen ihn menschlich und nahbar wirken. Er ist kein Bösewicht, kein Held, kein Vorbild; sondern Identifikationsfigur. Er versagt liebenswürdig.

Donald Duck glaubt stets an das Gute, steht immer wieder auf, ist loyal und hilfsbereit. Er hat ein grosses Herz, besonders für seine Neffen Tick, Trick und Track. Und er stellt sich seinen Ängsten, wächst über sich hinaus: Donald riskiert sein Leben, zum Beispiel um ein Leck in einem Deich zu stopfen und damit die Stadt Entenhausen vor einer Überschwemmung zu bewahren.

Der Comicautor Barks soll einmal über Donald Duck gesagt haben: «Manchmal ist er ein Schuft, oft ist er ein richtig guter Kerl. Er macht dieselben Fehler wie wir alle. Deshalb wird er von den Leuten so gemocht.»

Bizarrer Fanklub der Donaldisten

Als Barks Donald Duck zu entwickeln begann, liess er autobiografische Elemente in seinen Charakter einfliessen. Auch er hatte sich vom Pech verfolgt gefühlt, als ein Opfer der Umstände. Als Barks fünfzehn Jahre alt war, verlor er seine Mutter, dann sein Gehör. Und wie Donald Duck sprang er von Job zu Job: Er war Bauer, Holzfäller, Cowboy, Buchdrucker, Maultiertreiber. Dann wurde er Comiczeichner.

Jahrelang zeichnete Barks anonym, 1960 wurde seine Identität von Fans aufgedeckt. Heute gilt er als einer der einflussreichsten Comiczeichner der Geschichte.

Donald Duck hat auf der ganzen Welt eine riesige Fangemeinde. Seine grössten Anhängerinnen und Anhänger nennen sich Donaldisten. Sie verehren die Zeichnungen von Barks als eine «Quelle nie versiegenden Vergnügens», beschäftigen sich leidenschaftlich und humorvoll mit dem Entenhausen-Mikrokosmos. Über 1200 Personen aus dem deutschsprachigen Raum sind Mitglieder eines skurrilen Vereins, der «Deutschen Organisation nichtkommerzieller Anhänger des lauteren Donaldismus».

Donaldisten treffen sich in der Schweiz, Deutschland oder Österreich zu Stammtischen, Kostümwettbewerben, Konferenzen. Die meisten Mitglieder sind männlich und Akademiker. Sie diskutieren pseudowissenschaftlich über physikalische Gesetze in Entenhausen. Zu Donalds Geburtstag werden sie Kuchen backen, die von Donald Duck komponierte Hymne «Der rührselige Cowboy» singen, Donald-Pullover stricken.

Karsten Bracker ist Präsident der deutschen Donaldisten, man nennt ihn auch «Präsidente». Bracker kann gut nachvollziehen, dass Donald Duck so populär ist: Donald bewahre seine Würde, aber nehme sich nicht allzu ernst.

Bracker sagt: «Donald versucht, irgendwie durchs Leben zu kommen. Es geht ihm nicht darum, zu zeigen, dass er der Grösste ist. Er würde niemals einen Instagram-Filter verwenden. Dafür ist er viel zu ehrlich.»

Donald Duck besitzt eine Charaktereigenschaft, die heute seltener als je zuvor ist: Er hat Mut zum Durchschnittlichen.

The Wise Little Hen

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