Freitag, Februar 7

In der Nacht auf Montag greifen die Kansas City Chiefs nach ihrem dritten NFL-Triumph in Folge. Zu ihren wichtigsten Spielern zählt der Kicker Harrison Butker, ein Mann wie eine Karikatur aus dem Amerika der Ära Trump.

Vor Jahresfrist entschied Harrison Butker mit einem Field Goal den Super Bowl. Als die Kansas City Chiefs ein paar Monate danach im Weissen Haus vom Präsidenten Joe Biden empfangen wurden, trug der American-Football-Spieler einen Pin mit Babyfüssen auf dem Revers und eine Krawatte, auf der stand: «Vulnerari Praesidio»: Beschützt die Schwächsten.

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Es ist eine Losung, mit der man sich schnell einmal identifizieren kann, gerade in den USA des 21. Jahrhunderts mit ihrem sozialen Gefälle, das steiler ist als der Mount Everest. Aber Butker, 29, meinte nicht die Obdachlosen der Skid Row von Los Angeles, nicht das Elend der Opioid-Süchtigen des Mittleren Westens und selbstverständlich schon gar nicht die Opfer des Menschenhandels, die als Zwangsprostituierte in den schäbigsten Motels des Landes als moderne Sklaven gehalten werden.

«Ich will, dass wir für die Wehrlosesten kämpfen, für das ungeborene Leben», sagte Butker der Fox-Moderatorin Laura Ingraham – so etwas wie der weiblichen Version von Tucker Carlson. Ingraham schert sich eigentlich recht wenig um die Ansichten von Athleten. Dem Basketball-Superstar LeBron James gab sie vor einigen Jahren die Losung «Shut up and dribble» mit auf den Weg, nachdem dieser seine Gedanken zu sozialer Ungerechtigkeit geäussert hatte. Es sei «niemals ratsam, politische Ratschläge von jemandem entgegenzunehmen, der pro Jahr 100 Millionen Dollar damit verdient, einen Ball aufspringen zu lassen».

«Shut up and dribble»? Bei Butker macht Fox News eine Ausnahme

Butker verdient derzeit 6,4 Millionen Dollar damit, an knapp 20 Tagen im Jahr einen ovalen Ball mit Anlauf durch zwei Aluminiumstangen zu kicken. Was ihn für Fox offenkundig zu jemandem macht, an dem man sich dringend orientieren sollte, politisch. Natürlich wähle er Donald Trump, sagte Butker der verzückten Ingraham, schliesslich sei das ein Pro-Life-Präsident, wie Amerika ihn noch nie gesehen habe. Er spricht die Sprache der fundamentalistischen religiösen Rechten, die in den USA in den vergangenen Jahren stark an Einfluss gewonnen haben und die Frauen vor Abtreibungskliniken bedrängen. Eine der dafür verantwortlichen Organisationen verkauft die Krawatte, die Butker getragen hat, für 69 Dollar 95 in den Farben Malve und Blassblau.

Mit den Einnahmen finanziert die Organisation die Lobbyarbeit, die zum Ziel hat, ein generelles Abtreibungsverbot durchzusetzen – selbst im Fall von Inzest oder einer Vergewaltigung. Ein Kind muss unbedingt geboren werden, auch wenn die Mutter das nicht will. Wenn es auf der Welt ist, schaue man bitte schön einmal selbst, wie man es aufziehen kann – es ist doch jeder seines eigenen Glückes Schmied.

Wobei Butker sogar noch einen Schritt weitergegangen ist. Im Mai hielt er am Benedictine College in Kansas eine Rede vor Studienabgängerinnen. Es ist der Moment für inspirierende Worte. John F. Kennedy mahnte 1963 vor der American University: «Lasst euch nicht davon blenden, dass jemand andere Ansichten haben kann. Wir leben alle auf diesem kleinen Planeten. Wir atmen alle die gleiche Luft ein. Wir sind alle sterblich.» Der Drehbuchautor Aaron Sorkin sagte 2012 in Syracuse: «Vergesst nicht, dass ihr Bürger dieser Erde seid und dass man Dinge tun und zeigen kann, die nichts kosten und den Spirit anderer Menschen anheben: Respekt, Höflichkeit, Charakter.»

Oder man kann jungen Frauen, die gerade vier Jahre ihres Lebens damit verbracht haben, sich zu Psychologinnen, Künstlerinnen oder Krankenpflegerinnen ausbilden zu lassen, sagen: Eigentlich gehört ihr an den Herd. Butker hielt das in seiner unergründlichen Weisheit für die beste Idee. Frauen, sagte Butker, würden «teuflische Lügen» über Karriere-Ambitionen erzählt bekommen. Gescheiter wäre es, sie würden sich an seiner Ehefrau Isabelle orientieren, die ihre Karriere als Medizinerin aufgab, um «einen der wichtigsten Titel überhaupt anzunehmen: den der Ehefrau und Mutter». Butker warnte in seinem mäandernden Auftritt zudem vor der «Tyrannei von Vielfalt, Gerechtigkeit und Inklusion». Und er bezeichnete den Besuch von «Pride»-Veranstaltungen als «Todsünde».

Ein bisschen wirkt Butker wie eine Karikatur aus der gesellschaftskritischen Zeichentrickserie South Park. Aber in den USA hat die Realität die Fiktion ja längst überflügelt. Selbst bisher nicht unter dem Verdacht der galoppierenden Fortschrittlichkeit stehende Nonnen rügten Butker für seine rückwärtsgewandte Rede.

Religion ist ein dominierendes Thema in der NFL

Doch selbstverständlich erhielt der Kicker auch reichlich Zuspruch: Sein Trikot verkaufte sich besser als je zuvor. Und die Chiefs belohnten ihn kurz darauf mit dem lukrativsten Vertrag, den je ein NFL-Kicker unterschrieben hat. Mit einem Teil seiner Einnahmen hat er ein PAC gegründet, ein politisches Aktionskomitee. «Upright» heisst es, auf der Webseite steht: «Wir sehen jeden Tag, dass unsere Werte attackiert werden. In den Schulen, in den Medien, und sogar von unserer eigenen Regierung.» Man solle doch bitte spenden. Eine Million Dollar, oder auch nur $ 20.24, was clevere Symbolik ist, wie verdankenswerterweise in einer Klammer erklärt wird – das Geld helfe, damit christliche Werte «grosse Siege feiern» im Jahr 2024. Auch wenn 2025 mittlerweile ein, zwei Tage alt ist.

Es gibt einige Akteure in der National Football League (NFL), die offen mit Trump sympathisieren. Nick Bosa von den San Francisco 49ers liess sich mit dem roten «Make America great again»-Cap ablichten. Manche Profis feierten Touchdowns, indem sie die Tanzversuche des Präsidenten kopierten. Sie spüren gerade Aufwind in diesen ersten Tagen von Trumps zweiter Amtszeit. Und bestimmt ist es auch kein Zufall, dass die Liga sich dazu entschieden hat, den «End Racism»-Slogan nicht mehr auf den Super-Bowl-Rasen zu malen. Wie beim Meta-Konzern, der seine Grundsätze für Hassrede und Desinformation bei der ersten Gelegenheit über Bord warf, dauerte es nicht lange, bis die Maske fiel.

Butker muss sich darin bekräftigt fühlen, weiterhin das Evangelium zu verkünden. Gracie Hunt, die Tochter des schwerreichen Teambesitzers Clark Hunt, dankte Butker vergangene Woche öffentlich dafür, dass er dafür gesorgt habe, dass seine religiösen Überzeugungen «auf den Rest der Mannschaft abgefärbt» hätten.

Zumindest beim Quarterback Patrick Mahomes, dem Aushängeschild und Superstar der Chiefs, scheint das tatsächlich der Fall zu sein. Mahomes, 29, sagte, der dritte Super-Bowl-Einzug in Folge sei Gott zuzuschreiben und sowieso bedeute ihm Jesus «alles».

Religion ist ein dominierendes Thema im American Football und der NFL. Es gibt Teams, in denen sich eine grosse Anzahl von Spielern zum Bibelstudium trifft. Gott scheint für sehr viele Siege verantwortlich zu sein, für fast alle eigentlich, aber interessanterweise nie für Niederlagen. Der Quarterback Russell Wilson sagte einmal, eine höhere Kraft habe ihn dazu gebracht, den Ball gleich vier Mal zum Gegner zu werfen und das Spiel dann doch noch zu gewinnen: «Das ist Gott, der alles so dramatisch, so lohnend, so speziell gemacht hat.»

Für den Erfolg der Chiefs gibt es durchaus rationalere Erklärungen, man muss keine göttliche Eingebung haben, um ihn darauf zurückzuführen, dass das Team mit Andy Reid über einen legendären, brillanten Coach verfügt und mit Mahomes über einen der besten Spielmacher in der Geschichte der NFL.

Noch nie in der Historie hat ein Team drei Super Bowls in Folge gewonnen, nicht einmal Tom Brady mit den New England Patriots. Es ist ein Rendez-vous mit der Ewigkeit, das sich die Chiefs da erspielt haben, es findet in der Nacht auf Montag in New Orleans statt. Gegen die Philadelphia Eagles sind sie nur marginal favorisiert, es könnte eine enge Angelegenheit werden. Womöglich entscheidet wieder ein Field Goal das Endspiel der NFL. Vielleicht auch ein verschossenes.

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