Freitag, November 29

Obwohl die Schweiz gegen Spanien fast die gesamte Begegnung in personeller Überzahl spielt, verliert sie in der Nations League erneut. Bei der Heimniederlage verteidigt die Nationalmannschaft ungenügend, ärgert sich wieder über den VAR und vermisst ein paar langjährige Schlüsselspieler.

Am Ende fielen die Schweizer auseinander. Zwei Pässe tief aus der eigenen Hälfte, einmal sogar von Torhüter David Raya, genügten den effizienten Spaniern, um in der 77. und in der 80. Minute die Tore zum 3:1 und zum 4:1 durch den überragenden Fabian Ruiz sowie den eingewechselten Ferran Torres zu erzielen. Die Schweizer Defensivspieler überboten sich mit Stellungsfehlern und Aussetzern, wie schon bei den zwei Gegentoren in der Startphase.

Und so ist der Fehlstart in die Nations League perfekt: 0:2 in Dänemark, 1:4 gegen den Europameister Spanien. Natürlich hat Murat Yakin ein paar Argumente auf seiner Seite, wenn er sagt, dass der Ball in diesen zwei Begegnungen gegen die Schweiz gerollt sei – und es an Spielglück gefehlt habe inklusive einiger sehr diskutabler VAR-Entscheidungen. Aber der Nationaltrainer wird auch festgestellt haben, dass es an der personellen Breite fehlt, um Absenzen wie jene der gesperrten Granit Xhaka und Nico Elvedi sowie der verletzten Dan Ndoye und Silvan Widmer zu kompensieren.

Was sich angedeutet hatte, wird immer offensichtlicher: Der überraschende Rücktritt des routinierten, spielstarken Abwehrspielers Fabian Schär trifft Yakin hart. Grégory Wüthrich hinterliess gegen Spanien nicht nur bei mehreren Gegentoren einen ungenügenden Eindruck. Mit Ausnahme von Manuel Akanji fehlt es den Schweizern an international valablen Verteidigern. «Wir stecken in einem Umbruch», sagt Yakin, «und das benötigt Zeit.»

Wann ist ein Hands ein Hands?

Gegen Spanien war es eine erste Halbzeit mit Geschichten für ein halbes Länderspieljahr. Und selbstverständlich stand der VAR im Mittelpunkt, weil er das eigentlich immer und ganz bestimmt viel zu oft tut. Der Videobeweis ist in dieser Form ein Ärgernis und eine Absurdität. Es kann nicht im Sinne des Fussballs, wenn eine mögliche Abseitsstellung in der Entstehung eines Tores oder einer Roten Karte wegen Millimetern minutenlang angeschaut wird.

Die Schweizer jedenfalls haderten am Sonntagabend in Genf wie in Dänemark erneut mit dem VAR. Beim frühen 1:0 der Spanier in der vierten Minute konnte nicht zweifelsfrei geklärt werden, ob der Schweizer Torhüter Gregor Kobel den Kopfball von Joselu mit einem starken Reflex wirklich erst hinter der Linie pariert hatte.

Vor dem recht frühen 2:0 für die Spanier noch in der Startviertelstunde durch Fabian hätte man auf Foulspiel an Michel Aebischer entscheiden können. Dazwischen hatten die Schweizer das 1:1 durch Becir Omeragic erzielt, welches nachträglich aberkannt wurde, weil Remo Freuler in der eigenen Hälfte ein Hands unterlaufen war. Genau gleich übrigens wie dem 17-jährigen Lamine Yamal im eigenen Strafraum kurz darauf – aber da griff der VAR nicht ein.

Und die Frage ist mal wieder: Wann ist ein Hands ein Hands?

Es gab noch die eine und andere umstrittene Aktion mehr in der ersten Halbzeit, in der es zuweilen zu und her ging wie auf dem Schulhausplatz. Es war ein wildes Spiel ohne grobe taktische Fesseln, mit auf diesem Niveau ungewöhnlichen Räumen hüben wir drüben. Das lag auch an der Roten Karte gegen den spanischen Innenverteidiger Robin Le Normand in der 21. Minute wegen eines Notbremsefouls gegen Breel Embolo. Wobei der VAR hier mehrere Minuten benötigte, um festzustellen, ob Embolo zuvor im Abseits gestanden war. Vermutlich weiss er es bis jetzt nicht. Kalibrierte Linien und eine Torlinientechnologie standen in Genf nicht zur Verfügung.

Immerhin erholten sich die Schweizer vom Schock dieser spektakulären Startphase und erzielten noch vor der Pause mit relativ profanen Mitteln das Anschlusstor: Eckball Ruben Vargas, Kopfballverlängerung Embolo, Tor Zeki Amdouni. Der auffällige Vargas trieb die Schweizer in der ersten Halbzeit an, Amdouni traf mit einem Freistoss die Latte, insgesamt jedoch mangelte es den Aktionen des EM-Viertelfinalisten bald an Zielstrebigkeit und Genauigkeit. Vor allem nach dem Seitenwechsel fiel den Schweizern wenig ein. Gefährliche Szenen kreierten sie keine mehr, von der personellen Überzahl von insgesamt 79 Minuten vermochten sie nicht zu profitieren.

Ungenügendes Defensivverhalten

Was im Schweizer Spiel besonders fehlte: eine überraschende Idee, ein unerwarteter Einfall, ein Shaqiri-Moment. Xherdan Shaqiri ist aus dem Nationalteam zurückgetreten. Vielleicht wird man sich in Zukunft noch das eine oder andere Mal mit Wehmut daran erinnern, dass er im letzten Jahrzehnt in solchen engen Begegnungen regelmässig mit einer Finte, einem Schuss, einem Geniestreich brilliert hatte.

Der Wille war den Schweizern in der verregneten zweiten Halbzeit nicht abzusprechen, die Qualität über weite Strecken aber schon. Vargas baute wie Amdouni eklatant ab, die fehlende Spielpraxis war ihnen anzumerken. Embolo rieb sich an vorderster Front in vielen Zweikämpfen auf. Aus dem Mittelfeld kamen ohne den gesperrten Granit Xhaka kaum Impulse, von der Seite keine brauchbaren Flanken. Und als der Ball doch einmal zum 2:2 im Tor lag, hatte er vorher nach einem Eckball die Seitenauslinie überschritten. Um das festzustellen, brauchte es keinen VAR.

Womöglich sind die Schweizer mit dem 1:4 aber sogar noch gut bedient. Sie waren in den ersten Minuten, als die Spanier noch alle Spieler auf dem Rasen hatten, vor allem vom Tempo Yamals überfordert. Das Wunderkind des Weltfussballs wurde wie Nico Williams, der andere flinke Flügelstürmer, früh ausgetauscht.

Auf die Schweizer wartet nach dem rauschenden Sommer an der Europameisterschaft nun ein ungemütlicher Herbst in der Nations League. Im stimmungsvollen, ausverkauften Stade de Genève landete Yakins Team auf dem Boden der Realität. Die Ernüchterung war spürbar. Weiter geht es im Oktober mit dem undankbaren Auswärtsspiel in Serbien sowie dem Heimspiel gegen Dänemark. Der Nationaltrainer Yakin muss bis dahin ein paar grundlegende Überlegungen anstellen, um seiner Auswahl wieder mehr Stabilität zu verleihen. Das EM-Märchen ist weit weg.

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