Das Management der Geschäftsbank will eigenständig bleiben und trommelt dafür bei Aktionären, Politikern und Kunden. Viele Asse hat es im Übernahme-Poker mit der Unicredit aber nicht in der Hand.
In Frankfurt ist die Zentrale der Commerzbank mit 259 Metern das höchste Gebäude der Stadt, inklusive Antenne misst es sogar 300 Meter. Der Wolkenkratzer des Architekten Sir Norman Foster überragt die Zwillingstürme der Deutschen Bank um satte 100 Meter. Das massive Hochhaus wirkt in der Skyline wie ein Fels in der Brandung. Doch Mitte September rollten sinnbildlich Schockwellen durch das Gebäude, weil der italienische Konkurrent Unicredit einen Aktienverkauf des Bundes genutzt hatte, um bei der Bank gross einzusteigen.
Inzwischen kontrolliert das Mailänder Institut 21 Prozent der Commerzbank-Aktien, teilweise über Derivate. Der Unicredit-Chef Andrea Orcel lässt wenig Zweifel daran, dass er die Bank gerne übernähme, zumal sein Institut mit der HypoVereinsbank (HVB) bereits in Deutschland vertreten ist.
Inzwischen hat sich das ebenfalls vom Angriff überraschte Management der Commerzbank sortiert, das Verteidigungshandbuch aus der Schublade geholt und Berater engagiert. Es stellt sich allerdings die Frage, ob es für die Abwehr einer Übernahme nicht zu spät ist.
Neue Gespräche zwischen Commerzbank und Unicredit
Der Vorstand der Bank betont seit Beginn des Übernahmekampfes, die Unabhängigkeit behalten und die bestehende Strategie für 2027 umsetzen zu wollen. Das bestätigte die Konzernchefin Bettina Orlopp am Mittwoch bei der Vorlage der Geschäftszahlen für das dritte Quartal erneut. Zumindest verbal hat sie dafür auch Unterstützung aus Berlin von Bundeskanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner bekommen. Der Aufsichtsrat hatte die bisherige Finanzchefin Orlopp kurzerhand auf 1. Oktober zur Vorstandsvorsitzenden gemacht und ihren ohnehin bald scheidenden Vorgänger Manfred Knof frühzeitig aus der Verantwortung genommen.
Aus der Sicht vieler Beobachter sind die Würfel jedoch im Prinzip schon gefallen.
Erstens wollten die Aktionäre die Transaktion, wie man an der positiven Entwicklung der Aktienkurse von Commerzbank und Unicredit sehen würde, heisst es. Zweitens hätten die Aufsichtsbehörden offenbar keinen Einwand gegen eine Übernahme: In den vergangenen Wochen hatten sich zahlreiche Vertreter grundsätzlich positiv zu grenzüberschreitenden Bankenfusionen geäussert.
Das Management der Commerzbank muss nun die Aktionäre davon überzeugen, dass ihre eigene Strategie werthaltiger ist als eine mögliche Übernahme. Derzeit fehlt aber noch eine Vergleichsbasis, denn die Italiener haben noch keinen Geschäftsplan für ein gemeinsames Institut vorgelegt. Zwar zeigen Orcel und sein Team starkes Interesse an der Transaktion, halten sich zumindest offiziell jedoch auch eine längerfristige Beteiligung oder den Verkauf der Aktien offen. Gespräche zwischen der Commerzbank und der Unicredit hat es bisher nur Anfang Oktober gegeben. Seitdem herrscht Funkstille. Für die kommenden Wochen ist ein zweites Treffen angedacht.
Gedulden sich die Aktionäre, oder drängen sie auf die Übernahme?
Die über viele Jahre kriselnde Commerzbank hat sich zwar betriebswirtschaftlich deutlich erholt: Sie will im Jahr 2027 endlich wieder ihre Kapitalkosten verdienen und bis dahin die Geschäftsergebnisse nachhaltig weiter verbessern.
Es ist jedoch offen, ob sich die Aktionäre so lange gedulden und ob die Strategie der Unabhängigkeit für sie einen höheren Mehrwert bringt als ein Verkauf an die Unicredit. Die Aktien der Commerzbank sind jedenfalls seit Mitte September um rund 30 Prozent gestiegen. Sollte Unicredit vom Übernahmevorhaben abweichen, würden die Titel sehr wahrscheinlich wieder deutlich fallen – zum Ärger der Aktionäre.
Bettina Orlopp und ihr Stellvertreter Michael Kotzbauer verweisen öffentlich zu Recht immer wieder darauf, dass Fusionen und Übernahmen grundsätzlich von grossen Umsetzungsrisiken begleitet werden. Das weiss man bei der Commerzbank aus eigener Erfahrung, weil die Übernahme der Dresdner Bank das Institut ab dem Jahr 2008 selbst auf Jahre beschäftigt und an den Rand des Ruins gebracht hatte. Die Vereinheitlichung von IT-Systemen und Organisationsstrukturen sowie bei grenzüberschreitenden Transaktionen auch noch kulturelle Unterschiede, differierende Interessen der Stakeholder und unterschiedliche Sprachen sind grosse Herausforderungen.
Sollte es jedoch zu einem offiziellen Übernahmeangebot der Unicredit kommen, könnte – abhängig vom gebotenen Preis – das dann bestehende Angebot attraktiver erscheinen als eine nur potenziell gute Entwicklung über die kommenden Jahre.
Andrea Orcel hält sich bedeckt
Am Mittwoch liess der Unicredit-Chef Orcel aus Mailand verlauten, dass seine Bank unmittelbar kein Übernahmeangebot plane. «Es ist ein langer Prozess», sagte Orcel im Interview mit Nachrichtenagenturen. «Wir wollen die Möglichkeit haben, alle wichtigen Interessengruppen, einschliesslich der Bundesregierung, davon zu überzeugen, dass eine mögliche Fusion Mehrwert schafft.»
Sollten die Aussagen nicht nur Taktik sein, gewänne das Management der Commerzbank Zeit, um die eigenen Aktionäre zu überzeugen. Dazu haben Orlopp und ihr Team die Strategie geschärft und die Geschäftsziele nach oben korrigiert. Am 13. Februar will der Vorstand ferner eine neue mittel- bis langfristige Strategieplanung veröffentlichen. Beobachter halten es für nahezu sicher, dass dabei neue aggressive Zielsetzungen bekanntgegeben werden, mit denen die Commerzbank ihre Aktionäre von der Unabhängigkeit überzeugen will.
Zugleich ködert das Management die Anteilseigner. An diesem Donnerstag startet ein Aktienrückkaufprogramm über 600 Millionen Euro, und ein weiteres Rückkaufprogramm über 400 Millionen hat die Bank bei den Aufsichtsbehörden bereits beantragt. Zudem will das Institut für das Geschäftsjahr 2023 mindestens 70 Prozent des Konzerngewinns den Aktionären zukommen lassen.
Einige Mittelständler eilen der Bank verbal zu Hilfe
Darüber hinaus stützt sich die Bank auf ihre Bedeutung für mittelständische Unternehmen, für die man sich vor allem auch als zuverlässiger Begleiter auf die ausländischen Märkte in der ganzen Welt versteht. Einige bekannte Mittelständler sind der Commerzbank verbal zu Hilfe geeilt, etwa Martin Herrenknecht, Chef des gleichnamigen Tunnelbauers. Die Commerzbank sei bisher für den Mittelstand und seine Familienunternehmen ein sehr verlässlicher Partner gewesen, das sehe er gefährdet, sagte Herrenknecht dem «Handelsblatt». Er wolle nicht, dass über seine Kredite in Mailand entschieden würde.
In einer Befragung zur Übernahme der Commerzbank unter rund 170 Finanzentscheidern bei Unternehmen bewerteten gut zwei Drittel die potenzielle Übernahme als «eher negativ» oder «negativ». Sie fürchten unter anderem schlechtere Konditionen von der neuen Bank und ein geringeres Gespür für den Mittelstand. Dabei sahen die Kunden der Commerzbank eine Transaktion deutlich kritischer als jene Befragten, bei der die Commerzbank nicht als Hausbank aktiv ist.
Derzeit behandelt der Commerzbank-Vorstand die Unicredit schlicht wie einen grossen Anteilseigner – und nicht wie einen Angreifer oder künftigen Verhandlungspartner. Einige Beobachter meinen, das Management sollte selbst mit Forderungen in die Offensive gehen.
So könnte die Commerzbank ins Spiel bringen, dass beim etwaigen Verschmelzen mit der Unicredit-Tochter HypoVereinsbank ein Grossteil des möglichen Stellenabbaus dort stattfinden müsse. Das würde aber wohl die Umsetzung der Transaktion einleiten. Bei der HypoVereinsbank prangt jedenfalls schon lange das Logo der Unicredit an den Gebäuden.
Ob dieses Logo künftig auch am Commerzbank-Tower der Frankfurter Skyline über die Stadt leuchten wird, dürfte sich wohl schon in den kommenden Monaten entscheiden.
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