Mittwoch, März 19

Ein SRF-Film erzählt von seinem Kampf um ein bisschen Alltag.

Philipp Kutter liegt in einem Spitalbett, seine Unterarme sind einbandagiert, er ist in ein Krankenhemd gekleidet und hat die Augen geschlossen. Ein schwerverletzter, verletzlicher Mann – das ist das Bild. Er wird von der Zimmerdecke herunter gefilmt. Irgendwann schaut er hoch, in die Kamera, und in seinem suchenden Blick liegen die Fragen, die er sich selbst stellt: «Hat das alles einen Sinn? Was ist das für eine Aufgabe?» Er hat es noch nicht herausgefunden. Er sagt, er wolle kämpfen, wieder aufstehen, aber er liegt in diesem Bett und ist gelähmt.

Am 3. Februar 2023 ist Philipp Kutter, Nationalrat der Mitte-Partei aus Wädenswil, bei einer Skiabfahrt verunfallt. Seither ist er Tetraplegiker, vom Hals abwärts gelähmt. Der Unfall teilt sein Leben. «Ich hatte ein gutes Leben», sagt er, aber er weiss: «Ich kann nicht sagen, ich wäre gerne wieder der Alte, das geht nicht.» Er stieg mit den Töchtern ins Meer, er spielte Eishockey, und oft ging er in die Berge. Er schien, so vermitteln es die Bilder, die ausseralltäglichen Momente zu suchen. Jetzt liegt er im Paraplegiker-Zentrum in Nottwil, wo ihn zwei Pflegerinnen in einen Rollstuhl hieven. Therapie folgt auf Therapie – er sucht jetzt die alltäglichen Momente.

Davon erzählt ein Dokumentarfilm des Schweizer Fernsehens – der den «Neustart» von Philipp Kutter zeigt und seinen Kampf um ein bisschen Normalität.

«Frisur-Schema»

Über seinem Bett im Paraplegiker-Zentrum hängt ein Bild aus dem alten Leben: der offen lachende Philipp Kutter mit seinen über die Stirn gezogenen Haaren. «Frisur-Schema», hat jemand über das Bild geschrieben – so wissen die Pflegerinnen, wie sie zumindest die alte Frisur wiederherstellen können.

Als er sich digital den Delegierten seiner Mitte-Partei zuschaltet, trägt er Hemd, Blazer und ein Poschettli. Er ruft ihnen zu: «Politik ist meine Leidenschaft, und ich will mich da nicht aufhalten lassen von einem Unfall.» Das Maul funktioniere noch, «das Hirn auch einigermassen», mehr brauche ein Politiker ja nicht. Die Delegierten lachen. Dann sieht man Kutter wieder, wie er in Nottwil ein paar Stäbe an einen Holzbaum hängen muss, er ringt darum, «Phuu», sagt er.

Kampf um Fassung

Eigentlich will er zurückkehren in das Haus in Wädenswil, in dem er mit seiner Familie gewohnt hat. Aber es geht nicht, es würde zu viele Umbauten brauchen. Als Anja Kutter, seine Frau, ihr altes Leben einpackt, steht sie am Fenster und weint. «Es ist einfach der Abschied von unserem Leben, wie es war. Und wie es halt nie mehr wird.» Sie ist Fotografin, und eigentlich wollte sie seine Rückkehr dokumentieren, aber sie hat gemerkt, dass sie es nicht schafft. Wenn er ein Espressotässchen halten kann, hält sie das fest – aber ihre eigene Verzweiflung nicht. Sie scheitert an der Realität. Man schaut ihnen dabei zu, wie sie ihre alte Beziehung in das neue Leben hinüberzuretten versuchen. Er sagt: «In vielen Sachen bin ich wie ein kleines Kind, ich habe das sicher nicht gewollt.» Sie sagt: «Wir haben wieder schöne Momente. Aber das ändert nichts daran, dass es immer noch ein Seich ist.»

Als er im Herbst wieder in den Nationalrat gewählt wird, trägt er eine Krawatte. Er sitzt im Rollstuhl in der Wahlzentrale und trinkt aus einer PET-Flasche mit Röhrli. Und er sagt über die Ergebnisse seiner Partei: «Absolut phantastisch.» Diese Gleichzeitigkeit ist manchmal fast nicht auszuhalten. Er sitzt im Büro des Stadtpräsidenten von Wädenswil, der er ist, aber er muss sich anstrengen, um auf der Tastatur den richtigen Buchstaben zu finden, einen nach dem anderen. Seine Frau sagt einmal, es sei unfassbar. Es ist ein ewiger Kampf um Fassung.

Am Ende des Films sitzen sie nebeneinander. Sie sagt: «Du bist der Grösste für mich, gäll.» Und er sagt: «Danke, lieber Schatz.» Er weint. Man sieht, wie er mit seinen Armen kämpft. Es ist ein Happy End, in dem all die Brutalität des Schicksals aufscheint.

«Nationalrat Philipp Kutters Neustart – Leben mit der Lähmung» (Regie: Daniel Stadelmann), heute Donnerstag, 20.10 Uhr, SRF 1.

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