Sonntag, April 27

Die Finma hat den bisher sehr eigenständigen Bereich für die Versicherungsaufsicht teilweise aufgespalten. Man sei in die zweite Reihe versetzt worden, monieren Versicherungsexperten.

Es war eine aussergewöhnliche Woche: Für einmal dominierten Nachrichten aus der Versicherungsbranche den Schweizer Finanzplatz. Grund war der angekündigte Zusammenschluss von Baloise und Helvetia, über den die Aktionäre der beiden Versicherer am 23. Mai in einer ausserordentlichen Generalversammlung abstimmen werden. Nach der Zurich wird die neue Helvetia Baloise Holding die zweitgrösste Versicherungsgruppe der Schweiz mit einem Anteil von rund 20 Prozent am Schweizer Versicherungsmarkt.

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Zwar ist der Beitrag der Schweizer Versicherer an der Bruttowertschöpfung des Finanzplatzes Schweiz überproportional gross. So steuern die Versicherer mit etwas mehr als halb so vielen Beschäftigten (Vollzeitäquivalent) einen ähnlich grossen Beitrag (37,1 Prozent) an die nominale Bruttowertschöpfung bei wie die Banken (44 Prozent).

Sonst aber liegt der Fokus von Investoren, Medien und Öffentlichkeit meist viel stärker auf den Banken. Das spiegelt sich auch bei der Finanzmarktaufsicht (Finma), die deutlich mehr Ressourcen für die Überwachung der Banken wie der global systemrelevanten Grossbank UBS einsetzt.

Diese Situation habe sich seit dem 1. April dramatisch verschärft, monieren hochrangige Versicherungsexperten. Auf jenes Datum hat der Finma-Direktor Stefan Walter einen neuen Aufsichtsbereich namens «Integrierte Risikoexpertise» geschaffen. Dieser fokussiert auf Risiken bei Banken und Versicherern.

Genug Sachkenntnisse?

In diese neue Einheit zentralisiert wurden ein Grossteil der Wissenschafter und Mathematiker der Finma und damit auch ein grosser Teil der Spezialisten, welche bisher im Aufsichtsbereich Versicherungen Solvenztests modellierten. Jene unterstehen neu nicht mehr immer nur Versicherungsprofis, sondern auch Bankexperten. Auch die neue Risikoeinheit selbst wird vom Banken-Profi Marianne Bourgoz Gorgé geführt. Die bisherige Chefin der Versicherungsaufsicht, Birgit Rutishauser, gab anlässlich der Reorganisation ihren Weggang aus der Finma bekannt.

Gesprächspartner befürchten nun, dass die neuen Chefs der Versicherungsspezialisten zu wenig Sachkenntnisse hätten. Und weiter, deutlich gefährlicher, dass die Finma mit der Neuorganisation nun ihre Anforderungen für die Banken zunehmend eins zu eins auf die Versicherer anwenden werde, um alles einheitlich zu handhaben, das ist von mehreren Seiten zu hören.

Dass diese Sorge nicht gänzlich unbegründet ist, zeigt ein Rundschreiben der Finma von diesem März zum Thema Liquidität. In der Randziffer 20 steht: «Versicherer planen und beurteilen die Liquiditätspositionen zukunftsgerichtet über einen Horizont von einem Jahr und, mit Ausnahme von begründeten Fällen, auch über einen Horizont von einem Monat.»

«Versicherer haben langfristige Verbindlichkeiten», sagt Urs Arbter, Direktor des Schweizerischen Versicherungsverbandes. «Ein Betrachtungshorizont von einem Monat ist zu kurzfristig, die Gefahr eines Versicherungs-Runs besteht nicht. Diese Vorgabe orientiert sich an den Anforderungen der Finma für die Banken und stellt für Versicherer reine Bürokratie dar», führt Urs Arbter weiter aus.

Generell sei die Liquidität bei Versicherern kein Problem, auch nicht juristisch. Brauche eine Auslandstochter eines Versicherers dringend Liquidität, gebe es nicht wie bei der Holding-Struktur einer UBS irgendeine rechtliche Verpflichtung, diese Tochter zu retten.

Versicherer dürfen untergehen

Alle Befragten verweisen auf das grundlegend unterschiedliche Geschäftsmodell eines Versicherers. Dieses sei geprägt vom Risikomanagement und von einer vergleichsweise langweiligen Anlagestrategie, die mehrheitlich Kaufen und Halten beinhalte, führt auch Urs Arbter aus. Die hohen Renditen würden erreicht, weil die Risiken extrem diversifiziert und das Geschäftsmodell durch Verträge mit Rückversicherern abgesichert seien. «Da es keine systemrelevanten Versicherer gibt, dürfen Versicherer auch untergehen», folgert Arbter. In einem solchen fast unmöglichen Szenario würden diese dann vom Markt absorbiert – dies im Gegensatz zu einer systemrelevanten Bank.

Für die Befragten ist klar, dass mit der Reorganisation die Aufsicht über die Versicherungen weitgehend entmachtet worden ist. Die Versicherer seien zugunsten der Banker in die zweite Reihe gesetzt worden – und zu Bittstellern mutiert. So sei seit dem 1. April auch unklar, wer Ansprechperson für welches Thema sei.

Als weiteres Beispiel für eine zu starke Bankenperspektive werden die längeren und härteren Vor-Ort-Kontrollen genannt. Solche will der Finma-Direktor Stefan Walter auch für die Versicherer. Grössere Teams als bisher sollen deutlich mehr Zeit bei den Versicherern vor Ort verbringen.

Ein Befragter erklärt, dass das kein sehr effizienter Weg sei. Die Finma dürfe ja heute schon jederzeit bei Fragen Informationen einholen, dazu müsse sie nicht jedes Mal zwei Wochen vor Ort sein. Längere Kontrollen mit mehr Personal dürften die Kosten für die Versicherer bis zu verdreifachen, sagt er und weiter, dass diese Kontrollen nicht zuletzt der Ausbildung von Finma-Personal dienen würden.

Ein Projekt mit Pilotcharakter

Auf Anfrage halten sich Unternehmen mit Kritik an der Finma stark zurück. Betont wird von der Baloise, der Helvetia, der Swiss Life und der Zurich einzig, wie wichtig es sei, dass in der Aufsichtspraxis weiterhin die Unterschiede in den Geschäftsmodellen berücksichtigt würden, unabhängig von der Organisationsstruktur der Finma. Das neue Modell will noch niemand beurteilen, dafür sei es noch zu früh.

Die Finma stellt sich klar gegen die Kritik. Dem Versicherungsbereich komme eine hohe Bedeutung zu, insbesondere beim Kundenschutz. Mit dem neuen Bereich werde Expertise gebündelt, damit so alle gegenseitig vom Wissen aus den verschiedenen Bereichen profitieren könnten, schreibt eine Finma-Sprecherin. Die Reorganisation sei ein natürlicher Schritt gewesen. Mit der Zentralisierung könnten nun bei Risiken, die alle beaufsichtigten Institute beträfen, wie dem Kreditrisiko oder dem Immobilienrisiko, Synergien geschaffen und besser genutzt werden. Grundsätzlich seien zudem Risiken bei Themen wie Governance und Compliance, aber auch bei Cyber und Geldwäsche ähnlich.

Auch seien die Verantwortlichkeiten klar geregelt, die Hauptverantwortung und die grundlegende Entscheidkompetenz lägen weiterhin bei der Versicherungsaufsicht. Ebenso seien die Hauptansprechpartner für die Versicherer die gleichen wie vorher, so die Finma. Diese würden auch von der vertieften Expertise aus dem neuen zentralen Bereich profitieren, da so Synergien gestärkt, Doppelspurigkeiten vermieden und zusätzliche Checks and Balances etabliert würden, schreibt die Finma weiter.

Teilweise recht gibt die Finma den Bedenken wegen der Vor-Ort-Kontrollen, die zu einem grösseren Aufwand führen könnten. Doch blieben der risikobasierte Ansatz und das verhältnismässige Vorgehen bestehen, schreibt die Finma.

Direktor Stefan Walter betont gerne, dass sich die Finma internationaler aufstellen müsse. Hier allerdings betritt die Schweizer Aufsicht vermutlich Neuland: So gibt es international offenbar keinen Regulator, der die Spezialistenfunktionen von Banken und Versicherungen so zentralisiert hat, wie das die Finma gemacht hat. Das Vorgehen der Schweizer Regulatoren habe deshalb wohl tatsächlich Pilotcharakter, bestätigt ein Experte.

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