Sonntag, April 20

Lori Glori träumte von einer Karriere als Pop-Star. Ihr Werdegang führte aus den USA nach Europa, wo sie sich als Euro-Dance-Vokalistin profilierte. Ihr Leben wird in «Last Night a DJ Took My Life» aufgearbeitet.

Manchmal ist das Theater eine Art Tribunal, das zwar nicht Gerechtigkeit schaffen, aber immerhin Anklage erheben kann. Am Mittwochabend bei der Premiere von «Last Night a DJ Took My Life» in der Schiffbau-Box werden zu Beginn die Namen von Geschädigten genannt. Und schicksalshaft schlägt eine Pauke einen rituellen Beat.

Schon die erste Szene erweist sich als Akt historischer Fairness. Denn bei den Genannten – Martha Wash, Jocelyn Brown, Melanie Thornton, Loleatta Holloway und einigen anderen – handelt es sich durchwegs um afroamerikanische Sängerinnen, deren üppige und virtuose Stimmen zahllose Disco- und Dance-Hits befeuerten. Trotz ihren herausragenden vokalen Beiträgen blieben sie bis heute zumeist im Dunkeln der Anonymität, während sich die DJ und Produzenten feiern liessen. Überdies wurden sie auch finanziell nicht immer fair entlohnt.

Der Traum vom Erfolg

Exemplarisch für diese Erfahrung ist das Schicksal von Lori Glori, deren Karriere im Musical «Last Night a DJ Took My Life» nun szenisch aufgearbeitet wird. Dabei tritt sie gleich selbst in der Hauptrolle auf. Dass nicht alles rund gelaufen ist in ihrem Leben, deutet schon die riesige, aber brüchige Schallplatte an, die in den Kulissen hängt. Sie dient zuweilen auch als Video-Screen, auf der alte Musiksendungen wie «Soul Train» oder Diskussionsrunden mit Arabella Kiesbauer gezeigt werden.

Als junge Frau aus San Francisco hatte Lori Glori Musikalität und Leidenschaft im Gospelgesang von Baptistenkirchen getankt. Jetzt tritt sie zusammen mit zwei Schwestern noch einmal in einem Trio auf, dem der Herrgott einst wohlgesinnt war. Jedenfalls sollen die drei mehrere Gesangswettbewerbe gewonnen haben. Der Erfolg nährte bei Lori Glori den Traum von einer Pop-Karriere. So landete sie zunächst beim afroamerikanischen Macker Bill Summer und seiner Funk-Band Summers Heat. Später versuchte sie sich als Solosängerin; davon zeugt noch ihre House-Track «Body & Soul».

Lori Gloris musikalischen Werdegang nutzt Regisseurin Joana Tischkau, um die Sängerin und die sechs sie begleitenden Schauspielerinnen und Schauspieler in poppigen Aufzügen zu präsentieren. Der Glitter und Glanz mal knalliger, mal folienartig changierender Textilien ebenso wie meterlange, silber-blonde Extensions sorgen für einen optischen Rausch (Kostüm: Nadine Bakota). Fast werden die musikalischen Eindrücke dadurch übertönt.

Bei Pop auf der Theaterbühne besteht oft die Gefahr, dass die ohnehin auf Image und Rollenspiel ausgerichtete Musik durch die zusätzliche Inszenierung etwas von ihrer Wucht und Energie verliert. Hier sorgt der Auftritt der 64-jährigen Protagonistin aber stets für ein authentisches musikalisches Engagement.

Während die Geschichte der Pop-Musik revueartig und mitunter trefflich-parodistisch weiterverfolgt wird bis in die Zeiten von Breakdance, Hip-Hop und Techno, steuert «Last Night a DJ Took My Life» auf einen konkreten Konflikt zu. Lori Glori nämlich hat in den neunziger Jahren Aufnahmen gemacht für einen aufstrebenden Aargauer DJ. Auf seinen internationalen Tourneen aber lässt der Musiker den Vokalpart im Playback einspielen, während seine Frau und Tänzerin – «Dancy Nancy» – den Gesang live bloss lippensynchron simuliert.

Die Episode beruht auf einem realen Hintergrund: Tatsächlich ging Lori Glori in den neunziger Jahren für DJ Bobo (auf der Bühne nur «DJ» genannt) ins Studio. Und bis heute fühlt sie sich von ihm um den gerechten Lohn betrogen. Auf Anfrage wollte DJ Bobos Management dazu aber nicht Stellung nehmen.

Die Moral von der Musik

Der Fall Lori Glori wird in «Last Night a DJ Took My Life» als Lehrstück dafür gezeigt, wie sich mittelmässige europäische Musiker und Produzenten immer wieder an afroamerikanischer Kunst vergreifen und dabei nicht nur Urheberrechte verletzten, sondern auch die Würde der Künstlerinnen und Künstler.

In einer fiktiven, etwas langatmigen TV-Sendung wird über das Thema diskutiert. Irgendwann wird auch ein Dreigestirn des Bösen bemüht – Patriarchat, Rassismus, Sexismus –, um das flagrante Unrecht begrifflich zu fixieren. Eindrücklicher aber als die Moral von der Geschichte sind in «Last Night a DJ Took My Life» gleichwohl die bunten Klamotten, die Persiflage von Ravern und Produzenten. Und last, but not least die beherzte Stimme von Lori Glori.

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