Mittwoch, November 12

In Paris tickt die Uhr immer lauter: Bis am Donnerstag gibt Premierminister Attal wohl sein Amt auf. Doch die siegreichen linken Parteien können sich nicht auf einen Regierungschef einigen.

Wer wird in den kommenden Monaten Frankreich regieren? Emmanuel Macron, so viel steht fest, hat es nicht eilig mit der Nominierung eines neuen Premierministers. Am liebsten wäre es ihm, wenn sich vor der Klärung der Personalfragen eine breite regierungsfähige Koalition bilden würde, die von gemässigten Linken über die Macronisten bis hin zur bürgerlichen Rechten reicht. Doch eine überparteiliche Regierung der nationalen Einheit bleibt auch in der zweiten Woche nach der Wahl vorerst ein frommer Wunsch.

Denn die Parteien der linken Wahlunion Nouveau Front populaire (NFP) erheben den Anspruch, allein eine Regierung zu bilden. In der neuen Nationalversammlung werden sie die stärkste Fraktion bilden; wenn auch ohne eine absolute Mehrheit. Den Wunsch des Präsidenten sehen sie als Versuch, ihnen den Wahlsieg zu «stehlen».

Durch ein einziges Ziel vereint

In Wirklichkeit sind die Mitglieder des NFP – Sozialisten, Grüne, Kommunisten und La France insoumise (LFI) – von ihrem guten Ergebnis im zweiten Wahlgang überrumpelt worden. Dennoch kündigten sie unmittelbar nach der Bekanntgabe der Resultate an, in den Tagen danach einen Namen für das Amt des künftigen Premierministers vorzuschlagen. Nun, eine Woche später, wartet man immer noch. Denn jede Partei innerhalb des NFP hatte von Beginn an Ideen und vor allem Kriterien, um die von den Partnern genannten Kandidaten als inakzeptabel abzulehnen.

Innerhalb der Allianz ist keine der Parteien so dominant, einen unbestrittenen Führungsanspruch haben zu können. Die extrem linke LFI und die Sozialisten verfügen annähernd gleich viele Abgeordnetensitze. Grüne und Kommunisten könnten somit den Ausschlag geben, falls der Entscheid mit einer Mehrheit getroffen würde.

Doch zunächst suchten die NFP-Parteien einen Konsens; und am Wochenende sah es so aus, als hätten sie ihn in der Person von Huguette Bello gefunden. Die Präsidentin der Inselregion La Réunion sass lange Jahre in der Assemblée und war Mitglied in verschiedenen Gruppen und Fraktionen. Auch aus den Reihen der Macronisten wurde sie in den letzten Jahren als Regionalpolitikerin mehrfach gewürdigt. Die 73-Jährige war vom Kommunisten-Chef Fabien Roussel vorgeschlagen worden. LFI und die Grünen fanden diese Kandidatur einer Politikerin aus einem Überseegebiet ebenfalls attraktiv. Die Sozialisten aber wollten bis dahin ihren Parteichef Olivier Faure nominieren – und niemanden sonst. Huguette Bello lehnte in der Folge das «Angebot», Regierungschefin zu werden, dankend ab. LFI reagierte daraufhin mit einer Blockadehaltung. Man werde die Verhandlungen um einen Regierungschef oder eine Regierungschefin aussetzen, bis man sich auf einen gemeinsamen Kandidaten für den Vorsitz des Parlaments geeinigt habe, teilte die Parteiführung am Montag mit.

Die Zeitung «Le Figaro» fragte am Montag ironisch, ob diese linke Wahlunion tatsächlich regieren wolle. Der NFP ist in aller Eile, nach der Auflösung der Nationalversammlung durch Präsident Macron, gebildet oder eher improvisiert worden. Die Priorität war, eine Machtergreifung durch das rechtsnationalistische Rassemblement national zu verhindern. Nun zeigt sich, dass vor allem dieses Ziel die «Volksfront» zusammengehalten hat.

Attal hat schon vorgesorgt

Zumindest theoretisch gesehen, tickt die Uhr bereits ziemlich laut. Denn am Donnerstag trifft sich die Nationalversammlung zur konstituierenden Sitzung. In den folgenden Tagen werden wichtige Posten wie der Vorsitz und die Leitung von Kommissionen vergeben. Bis dahin müsste Macron eigentlich den Rücktritt seines bisherigen Premierministers Gabriel Attal annehmen; nur dann können Attal und seine Minister ihre Mandate als Abgeordnete antreten. Attal hat sich bereits zum Fraktionschef der Mittepartei wählen lassen; es ist offensichtlich, dass er sich nach neuen Aufgaben umschaut.

Der Rücktritt der derzeitigen Regierung würde auch den Weg für die Bildung einer neuen frei machen. Doch Macron könnte sich, trotz Rücktrittswunsch von Attal, Zeit lassen – manche Beobachter vermuten, sogar bis nach den Olympischen Spielen in Paris. Es ist nämlich möglich, dass die gegenwärtige Regierung zurücktritt und in diesem Status die Geschäfte weiterführt, also das Land am Laufen hält. Politische Initiativen könnte das Kabinett aber nicht ergreifen – es wäre dann zu einer reinen Verwaltungseinheit degradiert. Nicht nur Macron, der seinen Wunsch nach einer breiten Koalition nicht so schnell aufgeben wird, auch die neue Volksfront hätte damit Zeit gewonnen.

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