Eine 77-Jährige soll das kantonale Jagdgesetz übertreten haben. Kürzlich urteilte eine Einzelrichterin am Bezirksgericht Hinwil über den Fall.
Die 77-jährige Rentnerin nennt den Vogel liebevoll «Mäusi». Dabei handelt es sich um einen Mäusebussard, den sie in ihrem Garten regelmässig fütterte. Nach einer ersten Busse will sie damit aber aufgehört haben.
Seit Inkrafttreten des neuen kantonalen Jagdgesetzes am 1. Januar 2023 dürfen Wildtiere im Kanton Zürich nicht mehr von Privatpersonen verköstigt werden. Ausgenommen ist laut Paragraf 18 lediglich «das massvolle Füttern von Singvögeln, Wasservögeln und Eichhörnchen.»
Die 77-jährige Seniorin sitzt als Beschuldigte vor einer Einzelrichterin am Bezirksgericht Hinwil. Sie hat eine Busse von 250 Franken kassiert, weil sie gegen Paragraf 18 verstossen haben soll. Einen entsprechenden Strafbefehl vom Statthalteramt des Bezirks Hinwil hat sie angefochten und eine Rechtsanwältin zur Verteidigung mitgenommen. Sie will den Fall gerichtlich beurteilen lassen.
Es gibt eine juristische Vorgeschichte: Die Rentnerin hatte früher zugegeben, den Mäusebussard gefüttert zu haben. 2020 sei das Tier am Flügel verletzt gewesen und sie habe ihn wieder aufgepäppelt, gepflegt und gefüttert. Sie habe extra einen Gärtner beauftragt, um einen Abflugmast zu bauen, damit der Vogel besser starten könne. Nach Inkrafttreten des neuen Jagdgesetzes erstattete ein Nachbar Anzeige. Die Rentnerin akzeptierte im Juli 2023 einen ersten Strafbefehl mit einer Busse von 250 Franken, der rechtskräftig wurde.
Kontrolle am Samichlaustag
Im neuen Strafbefehl wird der Frau vorgeworfen, am 6. Dezember 2023 erneut vorsätzlich Wildvögel mit Fleisch gefüttert zu haben. Aufgrund der Meldung des Nachbarn soll der Jagdaufseher bei ihr eine Kontrolle durchgeführt haben. – «Das ist nicht wahr», sagt die Frau vor Gericht.
Die Einzelrichterin legt ihr ein Foto vor, das offenbar der Nachbar angefertigt hat. Die Beschuldigte bestätigt, dass es aus ihrem Garten stammt. – Was man darauf sehe, will die Richterin wissen. – «Ein Tischchen, ein Vogel, ich glaube, das ist einfach gefälscht», sagt die Rentnerin.
«Was liegt auf dem Tisch?» – «Körner».
«Es hat kein Fleisch auf dem Tisch?» – «Ämel von mir nicht!»
Sie füttere Vögel jeden Tag mit zwei Kilogramm Körnern, sagt die Rentnerin; ein Kilogramm am Morgen und ein Kilogramm am Abend. Auf weitere Nachfrage erklärt sie, der Vogel auf dem Foto sehe aus wie «Mäusi». Es stimme aber nicht, dass der Jagdaufseher am 6. Dezember mit Polizisten bei ihr zur Kontrolle vorbei gekommen sei. Nach dem ersten Strafbefehl habe sie den Vogel nicht mehr mit Fleisch gefüttert.
Laut der Aussage des Jagdaufsehers soll es auf dem Tischchen im Garten Fleischreste von Pouletstückchen gehabt haben. Die Frau bestreitet das.
Warum sie den Vogel früher gefüttert habe, will die Einzelrichterin wissen. – «Weil er immer kommt und Hunger hat», sagt die Rentnerin. Sie gibt zu, sie habe gewusst, dass es verboten worden sei. «Aber es geht um ein Tier, das Hunger hat. Das hat auch ein Recht auf Essen, wie wir alle auch.»
Ihre Verteidigerin beantragt einen vollumfänglichen Freispruch. Mäusebussarde müssten täglich mehrere Mäuse fressen, sonst trete ein schneller Gewichtsverlust ein. Wenn Schnee liege, fänden sie keine Nahrung mehr. Die Rentnerin habe «Mäusi» jahrelang gefüttert. Deshalb komme er regelmässig auf Besuch. Vom Inkrafttreten des neuen Jagdgesetzes am 1. Januar 2023 wisse «Mäusi» nichts. Die Beschuldigte gebe ihm jetzt aber nichts mehr.
Die Fotos des Nachbarn seien widerrechtlich erstellt worden. Diesbezüglich laufe eine Anzeige. Auf dem Foto sei nicht ersichtlich, was «Mäusi» fresse. Die Rentnerin könne sich nicht an einen Besuch des Jagdaufsehers erinnern. Im Polizeirapport, der erst am 8. Dezember auf dem Polizeiposten erstellt worden sei, sei ein angebliches Ausrücken von Polizisten nicht erwähnt.
5000 Franken Entschädigung für Anwaltskosten
Die Einzelrichterin spricht die 77-Jährige Frau nach rund zweistündiger Beratung vollumfänglich frei. Die Rentnerin erhält pauschal 5000 Franken Entschädigung vom Staat für ihre Anwaltskosten. Es sei Sache der Behörden, der Rentnerin die Übertretung nachzuweisen. Die Frau bestreite die Fütterung von Wildvögeln mit Fleisch. Auf den Fotos lasse sich nicht erstellen, was der Vogel fresse. Und die Aussagen des Jagdaufsehers würden das Gericht nicht vollständig überzeugen, begründet die Einzelrichterin.
Es bestünden unüberwindliche Zweifel daran, dass der Jagdaufseher tatsächlich am 6. Dezember bei der Frau kontrolliert habe, zumal er mehrfach bei der Frau gewesen sei und bezüglich des Datums eine Verwechslung vorliegen könne.
Die Rentnerin habe zwar eingestanden, Wildvögel täglich mit zwei Kilogramm Kernen zu füttern. Das sei aber nicht Gegenstand der Anklage und müsse deshalb vom Gericht nicht beurteilt werden. Das Jagdgesetz lasse als Ausnahmen nur «massvolles» Füttern von Singvögeln, Wasservögeln und Eichhörnchen zu. Sie habe zwar Zweifel, ob zwei Kilogramm Kernen täglich als «massvoll» bezeichnet werden könnten, gibt die Richterin zu bedenken. Aber das müsse eben nicht beurteilt werden, weil es nicht in der Anklage stehe.
Urteil GC240008 vom 29. 10. 2024, noch nicht rechtskräftig.