1945 feierte die Kultfigur von Alfred Rasser im Küchlin-Theater in Basel Premiere. Die Neuauflage versetzt Läppli in die Gegenwart, verpasst aber die Chance auf eine aktuelle Satire.
Der 8. Mai 1945 war auch in Basel ein Feiertag. Das Ende des Zweiten Weltkriegs wurde in der Stadt, die direkt an der deutschen Grenze liegt und so mit der Naziherrschaft stärker konfrontiert war als andere Regionen, besonders gefeiert – nicht zuletzt in den «Beizen».
Das vielleicht legendärste Treffen jenes 8. Mai 1945 hat allerdings wohl so nie stattgefunden. Denn die Menschen, die sich an jenem Tag verabredet hatten, waren bloss Kunstfiguren, entstanden im Kopf des Kabarettisten und Autors Alfred Rasser (1907–1977).
Die Rede ist vom vielleicht bekanntesten Uniformträger der Schweiz, dem HD-Soldat Läppli. Läppli verabredet sich im Theaterstück (und dem Film gleichen Namens) noch in den turbulentesten Tagen des Zweiten Weltkriegs mit seinem besten Freund Mieslin und weiteren Bekannten mit den Worten «Also, am säxi noch em Krieg im ‹Krug›!», einem Restaurant in der damaligen Basler Innenstadt.
Obwohl Rasser seinen Läppli ursprünglich aus Buckten im Kanton Baselland kommen lässt, beginnt und endet das Original-Theaterstück in einem Restaurant der Stadt Basel. Schliesslich ist der Mann mit dem charakteristischen Schnauz, nach dem literarischen Vorbild des «braven Soldaten Schwejk» des Tschechen Jaroslav Hasek, hier eingerückt. Läppli und Mieslin schaffen es an jenem 8. Mai 1945 in den «Krug» – wenn auch nicht um sechs.
Der «HD (Abkürzung für den früheren militärischen Begriff «Hilfsdienst») Läppli» ist aus dem kollektiven kulturellen Gedächtnis der Schweiz heute nicht mehr wegzudenken. Noch immer überzeugt die Figur des nur vordergründig verblödet wirkenden Bürgers, der den militärischen und oft auch militaristischen Betrieb der Armee bis und auch noch nach 1945 erheblich stört. Vielleicht, weil die Figur gleichzeitig einen Anarchismus verkörpert, der sich jeglichem uniformem Zeitgeist widersetzt.
Die Rückkehr an den Originalschauplatz in Basel
Der «HD Läppli» war bis jetzt in Basel klar im «Fauteuil» am Spalenberg verortet. Das bekannte Kleintheater wird seit der Einweihung von der Familie Rasser geführt. Sowohl Alfred Rasser als auch später sein Sohn Roland haben dort einst den Läppli gespielt.
Dabei war die Uraufführung des Stückes am 31. Dezember 1945 gar nicht im «Fauteuil» über die Bühne gegangen – das existierte 1945 noch gar nicht –, sondern als glanzvolle Silvesterpremiere im ehemaligen Küchlin-Variété-Theater. Dieser für Basel historische Ort hat längst Legendenstatus: 1912 eröffnet, traten hier ab den 1920er Jahren bekannte Künstlerinnen wie Josephine Baker auf. Später bespielten jeweils Fasnächtler die heiligen Hallen – die älteste Vorfasnachtsveranstaltung, das «Drummeli», ist auch längst legendär.
Da war das «Küechli», wie es in Basel genannt wurde, allerdings bereits Kino und nicht mehr Variété. In den 2000er Jahren wurde es geschlossen, die Kinokrise hatte da auch Basel erreicht.
Als «Saal 1» inzwischen wieder in Betrieb genommen, sind vom historischen Variété äusserlich nur noch die elegant-geschwungenen Balkone im ersten und zweiten Rang übriggeblieben. Im Parkett dienen heute prosaisch zweckbestimmte und entsprechend unbequeme Stühle als Sitzgelegenheit.
Im «Saal 1» feierte diesen Mai das neue Stück «Mensch Läppli» nun Premiere. Es stammt aus der Feder von Sabina Rasser, einer Tochter des Künstlers aus zweiter Ehe, die auch die Regie übernommen hat. Die Idee dazu will ihr in Traumbegegnungen mit ihrem Vater gekommen sein, wie sie im Programmheft schreibt.
Läppli in die Gegenwart versetzt
«Mensch Läppli» spielt in der Gegenwart. Die Bedrohung für die Armee und das Land kommt darin nicht mehr von den Nazis und ihren Schweizer Helfern, sondern durch Cyber-Attacken von unbekannten Mächten, die beim Schweizer Militär für PC-Abstürze und Unsicherheit ohne Ende sorgen. Entsprechend gibt es am Schluss des Stückes nichts zu feiern und vor allem keinen Friedensschluss zu begiessen. Denn diese weitgehend anonymen Bedrohungen aus dem Internet sind dauerhaft.
So stiehlt sich folgerichtig eine Figur nach der anderen stumm und grusslos aus der Beiz. Bis schliesslich nur noch Läppli und seine Vermieterin, Frau Müller (auch sie eine Figur aus dem Originalstück, gespielt von Denise Wey), übrigbleiben. Und sie ebenso vergeblich wie intensiv versucht, den eisernen Junggesellen doch noch für eine Hochzeit zu begeistern.
Diesen neuen Läppli verkörpert Patrick Allmandinger, in Basel vor allem als «Almi» bekannt. «Almi» ist ein überzeugender Läppli, er schwadroniert, stolpert sprachlich über jedes Fremdwort und schneidet zur Freude des Publikums die charakteristischen Grimassen, dass es eine Freude ist.
Über die inhaltliche Dürftigkeit des Stücks hilft das aber auf die Dauer nicht hinweg. Läppli, der eigentlich zu Beginn des Stücks nur wieder gerne einen kleinen Job bei der Armee hätte, hegt sogar Pläne als Astronaut. Das ist von der Logik des Stückaufbaus kaum verständlich. «Mensch Läppli» verpasst so die Chance für eine durchaus aktuelle Satire über die zuletzt so pannenanfällige Schweizer Armee.
Die Truppe hat gleichwohl grosse Pläne – sie kündigt im Programmheft eine mehrmonatige Schweizer Tournee an. Dass sie dabei als erste Station ausgerechnet Rheinfelden gewählt hat, den langjährigen Wohnort Alfred Rassers, mag man als Hommage an den grossen Schweizer Künstler werten. Oder vielleicht auch ein «Exgüsi» dafür, dass in seinem Namen mit seiner bekanntesten Figur für einmal mässig gute Werbung getrieben wurde.