Mittwoch, Oktober 2

Der Druck in Richtung Nachhaltigkeit könnte ebenso wie die schlechte Stimmung in der Bauindustrie schwer wie Zement auf den Aktien von Heidelberg Materials lasten. Doch die Analyse zeigt ein anderes Bild.

Die Zahl hängt der Branche nach: 8%. So hoch ist nämlich der Anteil der Zementherstellung am weltweiten Kohlendioxidausstoss (CO2) unter anderem gemäss Untersuchungen des britischen Thinktanks Chatham House. Kein Wunder, dass die Politik weltweit dabei ist, regulierend einzugreifen. Damit stehen Baustoffhersteller vor ähnlichen Herausforderungen wie Stahlproduzenten, ihre Produktion auf mehr Nachhaltigkeit zu trimmen.

Trotzdem sieht es an der Börse gar nicht so düster aus bei Heidelberg Materials, einem der weltweit grössten Baustoffhersteller. Im Gegenteil; der Markt hat begonnen, die unternehmerische Weichenstellung zu honorieren. Doch von Anfang an.

Baustoffhersteller wie Heidelberg Materials produzieren mit Zement eine Art Bindemittel, das dafür sorgt, dass aus Zutaten wie Wasser, Sand und Kies Baubestandteile wie Mörtel oder Beton werden. Die Crux: Seine Herstellung ist CO2-intensiv. Da ist zum einen die Energie, die benötigt wird, um die Öfen zu befeuern, in denen der Kalkstein zu Zementklinker gebrannt wird. Dahinter verbirgt sich ein Zwischenprodukt auf dem Weg zum Zement, wie er in Säcken auf allen Baustellen der Welt zu finden ist. Zum anderen wird Kalkstein während dieses Prozesses entsäuert, so diktiert es die Chemie. Dabei wird ebenfalls CO2 frei. Und dann ist da noch der Transport, der für weitere Emissionen sorgt.

In der Summe trägt die Zementherstellung so die rund 8% zu den weltweiten CO2-Emissionen bei. Diese Zahl muss sinken, so der erklärte Wille von Politik und Unternehmen wie Heidelberg Materials und Konkurrenten wie Holcim oder Cemex. Klar ist aber auch: «Die Dekarbonisierung ist eine Herkulesaufgabe», sagt Dominik von Achten, der Vorstandsvorsitzende von Heidelberg Materials, im Interview mit der NZZ.

Und um die Mischung noch zähflüssiger zu machen, ist da zudem das weltweit fordernde Umfeld für die Baubranche: Die gestiegenen Zinsen verteuern die Finanzierung, sei es im Wohnungsbau oder bei Infrastrukturvorhaben, was die Nachfrage dämpft.

Starkes Momentum

Trotz diesem grauen Umfeld geht es mit den Aktien von Heidelberg Materials seit Monaten stetig aufwärts. Auch in Relation zum Schweizer Konkurrenten Holcim hat Heidelberg Materials die Nase vorn. Das deutsche Unternehmen ist mittlerweile wieder so viel wert wie im Jahr 2008. Mehr noch, die Titel weisen auch mehr Dynamik auf als viele andere Papiere. Betrachtet man das Kursmomentum der vergangenen sechs Monate, laufen die Heidelberg-Valoren dem mit Tech-Werten gespickten US-Index Nasdaq 100 davon. In der Analyse von The Market rangiert Heidelberg Materials auf Platz 165 von 1300 Werten im S&P 500, im europäischen Stoxx 600 und im Schweizer SMI. Die Valoren des Konkurrenten Holcim stehen auf Platz 190 ebenfalls gut da.

Quantitative Fondsmanager wie Martin Weinrauter mit seinem G&W Aktien Deutschland Trendfonds haben diese Entwicklung sehr wohl registriert. «Wir sind in dem Unternehmen investiert, weil es sich seit nun eineinhalb Jahren in einem Aufwärtstrend des Aktienkurses befindet und dieser im relativen Vergleich stärker steigt als eine Reihe von anderen Unternehmen», sagt er.

Langfristig eher günstig

Hinzu kommt: Legt man die Bewertung im langfristigen Vergleich über zehn Jahre zugrunde, wird deutlich, dass sich die Titel derzeit eher am günstigen Ende befinden. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) liegt derzeit bei gut 7,8.

Auch auf Basis der Analystenschätzungen für die kommenden zwölf Monate werden die Valoren lediglich mit dem 8,5-Fachen und damit eher am günstigen Ende des Spektrums gehandelt. An dieser Kennzahl gemessen ist Heidelberg Materials deutlich günstiger als Holcim.

Doch «price is what you pay, value is what you get», mahnte die Investorenlegende Warren Buffett. Den Preis zahle man, den Wert bekomme man. Eine Warnung also vor «Value Trap»-Unternehmen – nur vordergründig attraktiven, weil niedrig bewerteten Gesellschaften, die jedoch aus gutem Grund billig sind.

Was für einen Wert bekommen Anleger im Fall von Heidelberg Materials? Laut den Analysten von Stifel hätten die Aktien früher tatsächlich als Falle für wertorientierte Investoren betrachtet werden können. Doch das habe sich geändert. Das Unternehmen befinde sich nun in der besten Form seit Mitte der Neunzigerjahre.

Kapitaldisziplin schafft Spielraum für Ausschüttungen

Die Zahlen des Unternehmens weisen tatsächlich in diese Richtung. Der Ebitda zum Beispiel, also der Gewinn vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen und Amortisationen, erreichte im vergangenen Jahr 3,7 Mrd. €. Das entspricht beinahe einer Verdopplung innerhalb von zehn Jahren. Nach Einschätzung zum Beispiel von Berenberg ist dabei noch Luft nach oben: Bis 2026 rechnen die Analysten mit einer stetigen Steigerung auf 4,8 Mrd. €.

Auch bei den Gewinnmargen geht es tendenziell aufwärts. 2023 lag die Ebitda-Marge über 17%. Für die Jahre 2024, 2025 und 2026 prognostizieren die bei S&P Capital IQ erfassten Analysten jeweils mehr als 20%. Holcim kam hier allerdings schon 2023 auf eine Marge von fast 22%. Die Analysten gehen davon aus, dass es dieses Jahr mehr als 24% werden.

Die Verschuldung des deutschen Konzerns ist zuletzt deutlich gesunken. Eine Tendenz, die dem Unternehmen Spielraum verschafft, sei es für Akquisitionen, sei es für Aktienrückkäufe, wie es sie praktiziert, oder beim Bestreben, grünen, also CO2-armen Zement zu produzieren. Noch vor wenigen Jahren hatte Holcim in dieser Disziplin die Nase vorn.

Die Analysten von Berenberg loben in ihrer Unternehmensanalyse die Verbesserung der Kapitaldisziplin. Der Lohn für die Anleger: eine attraktive Dividendenrendite von derzeit 3,7%.

Die «Decarbonara-Strategie»

Ein Teil des Fundaments dieser vergleichsweise guten Position dürfte auch die Nachhaltigkeitsstrategie des Unternehmens sein. Während Konkurrenten wie Holcim ihr Heil in einer grösseren Produktvielfalt suchen, bleibt Heidelberg Materials dem Zement treu – allerdings in Grün, mit nachhaltigem Fokus.

Anthony Codling, Analyst bei RBC Capital Markets, nennt es in einer Analyse die «Decarbonara-Strategie» wegen des klaren Fokus auf die Dekarbonisierung der Zementherstellung. «Heidelberg ist der erste Anbieter von Netto-null-Zement, und wir glauben, dass die Konzentration darauf belohnt werden wird», sagt er.

Tatsächlich hat sich das Unternehmen vorgenommen, bis 2030 die Hälfte des Umsatzes mit nachhaltigen Produkten zu erzielen. Ausserdem verpflichtet es sich, die CO2-Emissionen bis 2030 auf 400 kg pro Tonne Zement zu senken. 1990 lag dieser Wert noch bei 740 kg. Möglich machen soll das der Fokus unter anderem auf drei Ansatzpunkte: die Produkte, die Prozesse und den Umgang mit erzeugtem CO2.

Beim Produktportfolio geht es zum Beispiel darum, emissionsarme und wiederverwertete Materialien zu nutzen. Dazu verkündete das Unternehmen beispielsweise im Mai, mit B&A Group eine englische Gesellschaft übernommen zu haben, die sich auf die Wiederaufbereitung von Erdaushub und Zuschlagstoffen wie Sand und Kies spezialisiert hat.

Das Schlagwort Prozesse wiederum umfasst etwa die Umstellung auf Strom aus erneuerbaren Energiequellen. Und unter der Flagge «Carbon Capture, Utilisation and Storage» (CCUS) läuft bei Heidelberg Materials alles, was die Abscheidung, die Nutzung und die Speicherung von CO2 betrifft, also zum Beispiel die Verpressung des Gases.

Das Vorzeigeprojekt entsteht im norwegischen Brevik: Dort wird die weltweit erste CO2-Abscheideanlage im industriellen Massstab in einem Zementwerk gebaut. Unter anderem dieses Werk ermöglicht dann die Herstellung von CO2-freiem Zement (evoZero), der bald auf den Markt kommen soll.

Altes Produkt, neue Strahlkraft

Damit könnte en passant auch ein Abgrenzungskriterium für Heidelberg Materials entstehen – das der Nachhaltigkeit, des grünen Zements. Wie tief Kunden dafür indes in die Tasche zu greifen bereit sind, wird sich zeigen. Bei Heidelberg Materials ist man optimistisch: «Bei evoZero handelt es sich um ein völlig neues Produkt, für das der Markt einen anderen Preis definieren wird», sagt von Achten. «Die Nachfrage dürfte das Angebot weit übersteigen.»

Auch das Finanzhaus RBC Capital Markets zeigt sich in diesem Punkt zuversichtlich: «Heidelberg Materials hat den Vorteil des `First Mover. Dieser Fokus wird sich auszahlen.» Die Kosten für den grünen Zement seien zwar hoch, aber der Preis, den Produzenten dafür erzielen, werde noch höher sein. «Zement mit geringen und gar keinen CO2-Emissionen wird auf steigende Nachfrage stossen», folgern die RBC-Analysten.

Was bedeutet das für die Gewinnaussichten des Unternehmens? Für RBC kommen da die Kosten für CO2-Zertifikate ins Spiel, die Emittenten wie Heidelberg Materials einsetzen müssen, um ihre Emissionen zu kompensieren. Derzeit liegt der CO2-Preis knapp unter 80 € pro Tonne. Bloomberg prognostiziert für 2030 einen Preis von 149 €. Gelänge es Heidelberg Materials auf dieser Grundlage, ihre CCUS-Ziele zur Reduzierung der CO2-Emissionen bis 2030 zu erreichen, also den Ausstoss um kumulativ 10 Mio. t zu senken, läge der kumulative Nutzen bei rund 843 Mio. €.

«Wenn man ESG will, muss es in unseren Augen Heidelberg Materials sein», sagt RBC-Analyst Codling über die Baustoffbranche. Berenberg hat für die Aktien ein Kursziel von 105 € ausgerufen.

Fazit: Heidelberg Materials hat sich im Vergleich mit Holcim bei den CO2-Emissionen deutlich verbessert. Der Börse ist diese Entwicklung nicht verborgen geblieben, wie das starke Kursmomentum zeigt, das durchaus noch anhalten könnte.

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