Mittwoch, Januar 15

In Tbilissi kam es zu einem Skandal, als eine russische Bürgerrechtlerin die in einer Kathedrale ausgestellte Ikone der Matrona von Moskau mit Farbe verunstaltete. Es zeigt die Heilige bei der Segnung Stalins.

Am 9. Januar bespritzte Nata Peradse, eine Bürgerrechtsaktivistin und die Gründerin der NGO «Partisan Gardening», die Ikone der heiligen Matrona von Moskau, welche zurzeit in der Kathedrale der Heiligen Dreifaltigkeit im georgischen Tbilissi ausgestellt ist, mit blauer Farbe.

Dieser bilderstürmerische Akt zog einen öffentlichen Skandal nach sich. Der Dekan der Kathedrale ordnete an, die Ikone reinigen zu lassen und fortan an der Hauptwand anzubringen. Eine Gruppe von Personen, die der rechtsgerichteten Union der orthodoxen Eltern und der Allianz der Patrioten angehören, versuchte, gewaltsam in die Wohnung von Peradse einzudringen. Mitglieder der Regierungspartei Georgischer Traum forderten die Verabschiedung eines Gesetzes, das, sich an der russischen Gesetzgebung orientierend, die «Verletzung religiöser Gefühle» unter Strafe stellt. Gleichzeitig verlangte die georgische Opposition die Entfernung der Ikone aus der Kathedrale.

Mit dem Segen der heiligen Matrona

Die Ikone, welche diesen öffentlichen Aufruhr ausgelöst hat, stellt die heilige Matrona dar, welche 1993 von der russisch-orthodoxen Kirche heiliggesprochen wurde. Laut einer apokryphen Hagiografie, die vom russischen Patriarchat nicht anerkannt wird, besuchte Stalin die Frau 1941 in ihrer bescheidenen Moskauer Wohnung, als sich die deutsche Wehrmacht dem Stadtrand näherte. Der Segen der heiligen Matrona, so die Legende, soll entscheidend für den sowjetischen Sieg gewesen sein.

Die Darstellung der Stalin segnenden Matrona auf der Ikone war der Grund für den Zusammenprall der verfeindeten politischen Kulturen in Tbilissi. Es war Irma Inaschwili, die Anführerin der prorussischen Allianz der Patrioten, welche die unglückselige Ikone der Kathedrale stiftete. Laut russischen Quellen soll Alexander Udalzow, der Leiter der vom russischen Aussenministerium gegründeten Stiftung für die Unterstützung und den Schutz der Rechte von im Ausland lebenden Landsleuten, bei der Spende die Hand im Spiel gehabt haben.

Die erste Darstellung der heiligen Matrona, die Stalin segnet, entstand 2008 in der Kirche der heiligen Fürstin Olga in St. Petersburg. Ewstafi, der Pater Superior der Kirche, hatte die Ikone in Auftrag gegeben. Während die Organisation «Kommunisten von St. Petersburg», die an die russisch-orthodoxe Kirche den Appell gerichtet hatte, Stalin heiligzusprechen, die Initiative des Pater Superior voll und ganz unterstützte, waren die Vertreter des Moskauer Patriarchats anderer Meinung. Die Ikone wurde aus der Kirche entfernt, und Ewstafi, der behauptete, den Diktator wie seinen eigenen Vater zu verehren, wurde getadelt. Nichtsdestoweniger tauchte das «unkanonische» Bild von Stalins Segnung auf verschiedenen hagiografischen Ikonen der Matrona von Moskau auf.

Bis vor kurzem war solches nur Randgeplänkel. Mit der russischen Invasion der Ukraine änderte sich die Dynamik. 2008 konnte der geächtete Ewstafi kaum ahnen, dass sein bescheidener Versuch, den sowjetischen Despoten zu heiligen, nur vierzehn Jahre später ins Zentrum der russischen Propaganda rücken würde.

Im Januar 2022 wurde der Film «Maria. Save Moscow» unter der Regie von Wera Storoschewa mit grossem Propagandaaufwand lanciert. Die Handlung dieses patriotischen Thrillers entfaltet die Geschichte von Matrona. Während Stalins Besuch gibt die Heilige dem Diktator Ratschläge, wie er Moskau vor Hitlers Armeen retten könne. So wird ihm aufgetragen, die Kirchen zu öffnen und die Ikone der Heiligen Mutter von Tichwin durch die bedrohte Stadt zu tragen.

Irrungen und Wirrungen

Während sich die erste Aufgabe für Stalin als relativ einfach erweist, stellt die zweite eine grössere Herausforderung dar. Denn die Ikone der Jungfrau von Tichwin befindet sich in dem von der Wehrmacht eroberten Gebiet. So wird denn eine Gruppe von NKWD-Agenten unter der Leitung von Maria Petrowa hinter die feindlichen Linien geschickt.

Nach vielen Irrungen und Wirrungen kehrt Maria mit der wandernden Ikone triumphierend in die sowjetische Hauptstadt zurück. In der letzten Sequenz verlädt eine Gruppe von NKWD-Offizieren die Heilige Mutter von Tichwin auf ein Militärflugzeug, um sie über Moskau zu fliegen und so das Wunder der Niederlage der Nazis sicherzustellen. In Wahrheit übergaben die Deutschen die von ihnen erbeutete und von den Bolschewiken beschlagnahmte Ikone der orthodoxen Mission von Pskow, einer russisch-orthodoxen Organisation, die mit den Nazis kollaborierte. Von da gelangte sie 1944 nach Lettland und nach Deutschland und zuletzt in die USA. Erst 2004 kehrte sie nach Russland zurück.

2008 war das Moskauer Patriarchat noch keineswegs geneigt, den Tyrannen zu verherrlichen. Erst fünf Jahre zuvor hatte es einen kirchlichen Feiertag zum Gedenken an 321 heiliggesprochene Märtyrer-Priester, die während der stalinistischen Säuberungen von 1937 bis 1938 hingerichtet wurden, eingeführt. Heute können Bilder vom Schlächter Stalin und von seinen Opfern auf russischen Ikonen friedlich koexistieren.

Der Kult um die heilige Matrona ist von zentraler Bedeutung, da er zur Verschmelzung zweier Ideologien beiträgt – des orthodoxen Christentums und des militaristischen Kults von Putin um den grossen Sieg im «Vaterländischen» Krieg. Auch heute braucht Russland verzweifelt ein Wunder, um den Sieg über die sogenannten ukrainischen Faschisten zu erringen. Um dieses Ziel zu erreichen, scheinen Putin und Patriarch Kirill bereit zu sein, in ihren Gebeten den heiligen Stalin anzurufen.

Nach den Protesten in Tbilissi hat der georgische Patriarch Ilia II. eine vernünftige Lösung gefunden. Er ordnete an, dass die Ikone in der Kathedrale verbleiben kann, allerdings mit einer Änderung – die «Segnung Stalins» wird übermalt. Ein Glück, gibt es in der Hagiografie der heiligen Matrona zahlreiche weitere Legenden, die weniger politisch aufgeladen sind.

Konstantin Akinsha, in Kiew geboren, ist ein ukrainisch-amerikanischer Kunsthistoriker, Kurator und Journalist und Experte für Raubkunst im Zweiten Weltkrieg. – Aus dem Englischen von A. Bn.

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