Donnerstag, März 13

Die Firma D-Wave behauptet, mit Quantencomputern ein praxisrelevantes Problem gelöst zu haben, das selbst die besten Supercomputer überfordern würde. Nicht ganz, sagen zwei Studien.

Das kanadische Unternehmen D-Wave hat gemäss eigenen Angaben den langersehnten Durchbruch im Bereich Quantencomputing geschafft. In Experimenten mit hauseigenen Quantenprozessoren habe ein Forscherteam das Verhalten magnetischer Materialien in wenigen Sekunden simuliert. Klassische Supercomputer würden für solche Simulationen bis zu eine Million Jahre und den weltweiten Jahresstromverbrauch benötigen. Damit sollen Quantencomputer endlich ein praxisrelevantes Problem gelöst haben, das sonst unlösbar wäre.

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Ihre Ergebnisse beschreiben die rund 60 Autoren im Fachjournal «Science». In einer Medienmitteilung verkündet D-Wave, erstmals die «Quantenüberlegenheit» demonstriert zu haben.

Kurzlebiger Quantenvorteil

Der Begriff steht für den Wettlauf, den sich Hersteller von Quantencomputern seit Jahren liefern. Sie wollen alle die Ersten sein, die zeigen, dass ihre Geräte etwas berechnen können, das sonst unberechenbar wäre. Doch bisherige Erfolgsmeldungen erwiesen sich jedes Mal als äusserst kurzlebig.

Google sprach zuerst 2019 von Quantenüberlegenheit und machte das Schlagwort weltweit bekannt. In Experimenten mit einem hauseigenen Quantencomputer hatten Google-Forscher Berechnungen durchgeführt, für die selbst die schnellsten herkömmlichen Supercomputer praktisch ewig brauchen würden.

Aber die Aufregung legte sich bald, als Fachleute von IBM und andere Forschungsgruppen zeigten, dass klassische Computer das gleiche Problem deutlich schneller lösen können, wenn verbesserte Algorithmen eingesetzt werden.

Auch IBM war einmal Opfer von übermässigem Optimismus. Im Juni 2023 veröffentlichten Forscher der Firma eine Studie im Fachjournal «Nature», die zeigen sollte, dass Quantencomputer einen uneinholbaren Vorsprung bei der Simulation magnetischer Materialien hätten. Doch nur wenige Tage später erzielten Wissenschafter des California Institute of Technology in Pasadena vergleichbare Resultate mit klassischen Computern.

Eine zweite Widerlegung folgte zwei Wochen darauf durch Physiker des Flatiron Institute in New York: Diesmal war nicht einmal ein Supercomputer nötig; die Rechenleistung eines Smartphones genügte. Die von unabhängigen Experten geprüfte Studie dazu erschien ein halbes Jahr später in einem Physikjournal.

Auch jetzt erscheint der Jubel einer Quantencomputer-Firma verfrüht. Denn fast zeitgleich mit der D-Wave-Ankündigung melden sich zwei Forschungsgruppen mit noch nicht begutachteten Studien, die Zweifel an den Schlussfolgerungen der «Science»-Publikation wecken.

Zum einen sind das wieder dieselben Forscher des Flatiron Institute in New York, die bereits IBM widerlegt hatten. Letzte Woche stellten sie neue klassische Simulationstechniken vor, mit denen die D-Wave-Berechnungen in weniger als einem Tag machbar seien. Für diesen konkreten Fall schätzte D-Wave die Rechenzeit für klassische Computer jedoch auf rund 250 Jahre.

Und nur wenige Stunden vor Erscheinen der D-Wave-Studie doppelten Forscher der EPFL in Lausanne nach. Mit einer anderen, von D-Wave ebenfalls nicht berücksichtigten Methode erreichen sie in nur einigen Stunden Rechenzeit für den gleichen Spezialfall ähnliche Ergebnisse wie D-Wave.

Kommerzieller Nutzen noch unklar

Die D-Wave-Studie befasst sich mit einer Art von magnetischem Material, das Physiker als Spin-Glas bezeichnen. Der Spin ist eine quantenphysikalische Grösse, die bestimmt, wie sich Atome, Moleküle oder Festkörper in einem Magnetfeld verhalten. Im Eisen richten sich die Spins wie winzige Kompassnadeln nach dem Magnetfeld aus; im Spin-Glas zeigen sie hingegen in alle möglichen Richtungen.

Die D-Wave-Forscher und ihre Mitautoren der «Science»-Studie untersuchten, wie Spin-Gläser auf ein veränderliches Magnetfeld reagieren. Sie simulierten diesen Vorgang auf zwei verschiedenen D-Wave-Quantenprozessoren und verglichen die Ergebnisse mit jenen von klassischen Simulationen.

Doch wie die Studien aus New York und Lausanne zeigen, gibt es inzwischen noch bessere klassische Simulationstechniken, die D-Wave ausser acht liess. Sie lassen die vermeintliche Überlegenheit der D-Wave-Quantenprozessoren fragwürdig erscheinen.

EPFL-Professor und Mitautor der Lausanner Studie Giuseppe Carleo sagt, die Vergleiche von D-Wave seien unvollständig. Die Firma mache sich unglaubwürdig, indem sie von «Quantenüberlegenheit» rede, ohne ihre Quantenberechnungen mit den tatsächlich besten klassischen Alternativen zu vergleichen.

An einer Pressekonferenz verteidigte Andrew King, der Hauptautor der «Science»-Publikation, die eigene Arbeit. Weder die New Yorker noch die Lausanner Studie umfasse alle Fälle, die von D-Wave simuliert worden seien.

In letztgenanntem Punkt stimmt Joseph Tindall, Mitautor der New Yorker Studie, zu. Er fügt aber hinzu, dass eine komplette Reproduktion aller D-Wave-Tests gar nicht nötig sei. Die Behauptungen von D-Wave beruhten auf falschen Annahmen darüber, was mit den besten klassischen Methoden machbar sei. «Die Beweislast liegt nun bei D-Wave», sagt Tindall. Die Firma solle ihre Analysen wiederholen und zeigen, dass der Vorsprung des Quantencomputers auch im Vergleich zu den neuesten klassischen Methoden standhalte.

Jens Eisert ist Professor für Quantenphysik an der Freien Universität Berlin und berät die deutsche Bundesregierung zum Thema Quantencomputer. Er sagt, die D-Wave-Studie sei zwar wissenschaftlich interessant, aber «heillos überverkauft». Laut Eisert ist weder das untersuchte Problem besonders relevant noch sind die behaupteten Vorteile der Quantenberechnungen gegenüber klassischen Methoden gesichert.

Giuseppe Carleo zieht auch den praktischen Nutzen der D-Wave-Studie in Zweifel. Die D-Wave-Computer, Quanten-Annealer genannt, seien vor allem für die Lösung von Optimierungsproblemen ausgelegt, wie sie überall in der Wirtschaft vorkommen. Dafür gebe es also einen Markt. Bei der vorliegenden Simulation von Spin-Gläsern gehe es aber nicht um Optimierung, sondern um ein relativ obskures wissenschaftliches Problem. Der kommerzielle Nutzen sei ihm unklar.

Joseph Tindall findet es bedauerlich, dass Hersteller von Quantencomputern sich immer wieder zu überzogenen Behauptungen zu den Fähigkeiten ihrer Geräte hinreissen lassen. Heutige Quantencomputer seien noch zu anfällig für Fehler durch die kleinsten Störungen in ihrer Umgebung. Erst wenn die Firmen es schafften, diese Fehler in den Griff zu bekommen, hätten sie eine Chance, Vorteile gegenüber klassischen Rechnern zu erzielen. Tindall vermutet, dass das börsenkotierte D-Wave unter Druck stehe, seinen Investoren Ergebnisse vorzuweisen.

D-Wave, das 1999 als eines der ersten Startups im Bereich Quantencomputer gegründet wurde, hatte zuletzt mit erheblichen finanziellen Problemen zu kämpfen. Zwischen März 2023 und Oktober 2024 stand das Unternehmen dreimal kurz davor, von der New-York-Börse gestrichen zu werden, weil der Aktienkurs zu lange unter dem Minimum von einem US-Dollar verweilt hatte.

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