Der nun veröffentlichte Briefwechsel der beiden Schriftsteller liest sich wie das Protokoll einer Zuneigung, der wenig zur Liebe gefehlt hat.
Schillernd im grauen Anzug: Kaum ein deutscher Schriftsteller liess sich schwerer auf den Punkt bringen als der linke Katholik Heinrich Böll. Er schrieb Romane voll wolkiger Menschenfreundlichkeit und sympathisierte mit der RAF. Elfriede Jelinek nannte ihn einen «Normalitätsterroristen». Da ist was dran, nur dass Bölls Art, normal zu sein, kaum jemandem Angst einjagen musste, am allerwenigsten wohl seiner Briefpartnerin Ingeborg Bachmann. Der gute Mann aus Köln war für sie da, wenn es um Krisen oder Karrierefragen ging. Ein Begleiter, nur neun Jahre älter, aber väterlich.
Es gehört zu den ungewohnt subtilen literaturbetrieblichen Aufregungen, jetzt die Korrespondenz zweier Menschen lesen zu können, zwischen denen es keine Missverständnisse gab. Man verstand einander und lernte mithilfe des anderen, sich selbst besser zu verstehen. «Was machen wir aus unserem Leben?» ist ihr nun veröffentlichter Briefwechsel übertitelt.
Näher kennengelernt haben sich die damals 25-jährige österreichische Autorin und der von der Kritik schon wahrgenommene Heinrich Böll bei der Tagung der Gruppe 47 in Niendorf an der Ostsee. Das war 1952. Vor den versammelten Grössen der deutschen Literatur las Ingeborg Bachmann mit zunehmend brechender Stimme. Sie wird sich später erinnern, «vor Aufregung am Ersticken» gewesen zu sein. Das Vorgelesene war kaum zu verstehen, «einige Herren sagten etwas dazu».
Ein paar Monate später treffen sich die beiden wieder bei der Gruppe 47. Es folgt ein erster Brief Bachmanns an Böll. «Es ist gut zu wissen, dass es Sie gibt», notiert sie darin. Ein Freundschaftssignal, noch bevor sich so etwas wie Freundschaft überhaupt hätte entwickeln können, aber dieser Satz wird gültig bleiben, bis das wechselseitige Voneinander-Wissen mit dem tragischen Tod der Schriftstellerin im Oktober 1973 endet.
Unterschiedliche Geldnöte
Aus Wien oder dem Heimatort Klagenfurt kommen Ingeborg Bachmanns dezente Beschwerden über das Schreibdasein. Über die Notwendigkeit, mit journalistischer Arbeit Geld zu verdienen oder für neue Projekte einen Verlag zu finden. Später werden die Briefe in Rom aufgegeben, dem Flucht- und Verhängnisort der Schriftstellerin.
Von Anfang an stellt sich Heinrich Böll Bachmann zur Seite. Versucht, ihr Aufträge deutscher Rundfunkanstalten zu vermitteln, und ist behilflich, als die Frage im Raum steht, ob Bölls eigener Verlag Kiepenheuer & Witsch oder Piper zur publizistischen Heimat der jungen Autorin werden soll. In den Briefen der beiden ungleichen Menschen wird Privates auf dezenteste Weise zur Sprache gebracht, und das liest sich in seinen Aussparungen fast wie ein eigener Roman.
Wenn der Familienvater Böll über die Geldnot klagt, in die er sich selbst durch den Bau eines voluminösen Hauses in Köln-Müngersdorf gebracht hat, dann ist das etwas anderes als die Lage der jungen Kollegin. Schon ein notwendiger Arztbesuch kann die Hoffnungen auf ein neues Sommerkleid zunichtemachen. Auch Ingeborg Bachmanns pneumatisches Liebesleben, das zwischen Durchatmen und Beklemmung pendelt, ist etwas anderes als die häusliche Stabilität Heinrich Bölls. Die Ehefrau Annemarie und die drei Söhne sind Teil einer symbiotischen Lebensgemeinschaft, die bisweilen auch zur Reisegesellschaft wird.
Man verbringt Wochen in der irischen Küstenlandschaft des Ortes Keel oder kündigt sich für Rom an: «Falls es nicht schwierig ist, würden wir wohl am besten 2–3 Zimmer (mit Küche oder dem Recht der Küchenbenutzung) in der Nähe der Villa Massimo mieten.» Ingeborg Bachmann organisiert diese Dinge für den Familienverband der Bölls, als es in ihrer eigenen Beziehung zu Max Frisch gerade schwierig ist. Man trifft sich auch gemeinsam, aber in den Briefen der Autorin kommen die Seismografien der Liebe kaum vor. Ein paar Mal wird Paul Celan erwähnt, aber das war es dann auch schon.
Es kann gut sein, dass der Briefwechsel mit Heinrich Böll für Ingeborg Bachmann eine Insel der Berechenbarkeit war, ein fester Boden der Empathie. Hier formuliert sie frei, hier gibt es keine Tücken des Ungesagten. Heinrich Böll ist ein Meister der Bescheidenheit. Auch wenn er die Freundin «mein liebes, liebes Kind» nennt, dann ist das keine patriarchale Hybris, sondern die Sprache einer auf katholisch-bürgerliche Art gerade noch möglichen Romantik.
Nach anderthalb Jahren Briefwechsel schreibt Heinrich Böll sogar einmal: «Liebe Inge, es ist mir schrecklich, daran zu denken, dass ich plötzlich sterben könnte, ohne Sie noch einmal gesehen zu haben. Diese Vorstellung ist vielleicht dumm, und sie ist sicher egoistisch, aber sie verfolgt mich, und ich bitte Sie, doch für mich erreichbar, nie ‹unbekannten Aufenthalts› zu sein.»
Ein besonderer Versuch der Liebe
Bachmann und Böll waren füreinander immer bekannten Aufenthalts. Zumindest in einem metaphorischen Sinn. Man wusste, wo der andere steht. Als Mensch, als Schriftsteller. Unterschiedlicher hätten beider Werke kaum sein können. Während der Ältere für die Jüngere grosse Bewunderung hegt und neidlos versteht, dass es in der Welt immer mehr «Bachmannianer» gibt, wie Böll einmal schreibt, bleibt umgekehrt das Bild leicht getrübt.
In einer von Ingeborg Bachmann begonnenen, aber schliesslich verworfenen Besprechung von Bölls «Der Zug war pünktlich» werden ästhetische Fragen zu Fragen einer Physiognomie der Menschlichkeit. Der Autor habe sich «ein starkes, keineswegs ausserordentliches Herz bewahrt», heisst es da. Es argumentiere «mit den unzulänglichen Waffen des Herzens: dem Vergeben, dem Mitleid, der Tapferkeit und einem Versuch zur Liebe».
Ohne Zweifel stellt Heinrich Bölls Korrespondenz mit Ingeborg Bachmann einen besonderen Versuch der Liebe dar, bei dem man nicht weiss, wie viel Tapferkeit und Selbstzurücknahme er diesen Briefeschreiber gekostet hat. Niemals macht Böll Aufheben von sich, seiner literarischen Karriere oder seinem Aufstieg zu einer Institution Deutschlands.
Auch sein Gegenüber wird nicht zum Mysterium verklärt. Als der «Spiegel» im Oktober 1973 den Literaturnobelpreisträger Böll um einen Nachruf auf Ingeborg Bachmann bittet, ist der Briefwechsel schon schütter geworden, und es wird sich darin eine hellsichtige Bemerkung zum öffentlichen Bild der Schriftstellerin finden: «Dass in der Ikonisierung einer lebenden Person eine schrittweise Tötung versteckt sein kann, müsste gerade an ihr deutlich werden.»
«Was machen wir aus unserem Leben?» Der Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Heinrich Böll. Briefe. Verlage Kiepenheuer & Witsch, Suhrkamp und Piper, Köln, Berlin, München 2025. 488 S., Fr. 59.90.