Die Mitte-Partei will die Individualbesteuerung mit einem eigenen Vorschlag verhindern. Doch ihr Alternativmodell entlastet dieselbe Gruppe: Ehepaare mit gleichmässigem Einkommen.
Es handle sich um einen «Murks», um ein «Bürokratiemonster», um einen «Angriff auf die Ehe»: Die Individualbesteuerung, die von den freisinnigen Frauen angestossen wurde, wird laut und vehement kritisiert. Die Kritik ist nicht einfach zu kontern: Traditionelle Ehepaare mit nur einem Lohn müssten künftig zum Teil erheblich mehr direkte Bundessteuern bezahlen als heute. Wer eine solche Vorlage verteidigt, macht sich in bürgerlichen Kreisen nicht beliebt. Die Botschaft, dass die Mehrheit der verheirateten Paare von der individuellen Veranlagung profitieren wird, hat es im allgemeinen Getöse schwer.
Die SP kann zuschauen
In der Juni-Session wird sich entscheiden, ob die Individualbesteuerung im Parlament eine Mehrheit erhält. Die Mitte und die SVP lehnen die Reform nach wie vor entschlossen ab. In einer bequemen Lage ist die SP. Sie unterstützt das Prestigeprojekt der FDP, nicht zuletzt deshalb, weil sie ihre Forderungen durchsetzen konnte: Die Steuerausfälle wurden reduziert, auf 600 Millionen Franken. Die Progression wird angehoben, die direkte Bundessteuer wird noch ausgeprägter zu einer Reichensteuer, als sie es ohnehin schon ist. Die SP kann die Kontroverse unter den bürgerlichen Parteien also gelassen beobachten. Ungemütlich ist das Ganze für die FDP: Sie muss der eigenen Wählerschaft erklären, warum traditionelle Familien stärker belastet werden («jeder Einzelfall ist bedauerlich») und Steuererhöhungen plötzlich nicht so schlimm sein sollen.
Egal, ob sich die FDP-links-Allianz im Parlament durchsetzt oder nicht: Die politische Debatte über die Ehepaarbesteuerung geht weiter. Denn die Mitte-Partei lockt mit einer Alternative, die «alle Ehepaare gerecht besteuern will». Sie hat eine Volksinitiative eingereicht, welche die sogenannte alternative Steuerberechnung fordert.
Das Modell ist keine Erfindung der Mitte. Der Bundesrat hatte die alternative Steuerberechnung dem Parlament vor ein paar Jahren als Kompromiss unterbreitet, doch erfolglos. Das Vorhaben scheiterte 2019. Während die «Traditionalisten» von SVP und Mitte der Vorlage zustimmten, sagten die «Progressiven» von FDP und Linken Nein.
Doch mit der Mitte-Volksinitiative wird die alternative Steuerberechnung nun erneut zum Thema. Das Modell hält vereinfacht gesagt an der gemeinsamen Besteuerung der Ehegatten fest, das heisst, Mann und Frau reichen wie heute zusammen eine Steuererklärung ein. Die Steuerbehörde rechnet anschliessend für das Ehepaar den Steuerbetrag aus und macht dazu zwei Kalkulationen – die erste nach der üblichen gemeinsamen Veranlagung und die zweite nach der Individualbesteuerung, wie sie für Konkubinatspaare gilt. Die Ehepaare müssen den tieferen Steuerbetrag zahlen; die Benachteiligung gegenüber den unverheirateten Paaren wäre beseitigt. Die Regelung lehnt sich an das System an, wie es in Deutschland gilt.
Allerdings ist die alternative Steuerberechnung kein Selbstläufer. Das zeigt ein Blick zurück. Im Parlament wurde die Vorlage 2019 mit ähnlichen Argumenten bekämpft, wie sie heute gegen die Individualbesteuerung vorgebracht werden. Die Vorlage schaffe neue Bürokratie und sei kompliziert, da die Steuerämter jeweils eine Schattenrechnung für Ehepaare erstellen müssten. Sie sei ein Murks, stelle die Ehepaare vergleichsweise zu gut und führe zu neuen Benachteiligungen anderer Bevölkerungsgruppen. «Es ist fast wie beim ehemaligen Panzer 68. Die Korrektur eines Mangels führt zu anderen Problemen, die wiederum korrigiert werden müssen», meinte ein FDP-Vertreter.
Einige Parlamentarier waren der Meinung, dass der Bund endlich ein Splittingmodell einführen solle, wie es die Mehrheit der Kantone kennt, während andere einzig die zivilstandsunabhängige Haushaltbesteuerung akzeptieren wollten, da nur sie der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Rechnung trage. Für die SP war die Sache klar: Sie wollte gar nichts vom Modell der alternativen Steuerberechnung wissen, denn es handle sich um eine «unsoziale Reichen-Vorlage». Der Bundesrat hatte die Steuerausfälle auf 1,5 Milliarden Franken beziffert.
Höhere Steuern für unverheiratete Eltern?
Nun weiss auch die Mitte-Partei, dass eine Einigung im Parlament schwierig sein wird. Sie verlangt deshalb in ihrer Initiative, dass der Bundesrat innert drei Jahren nach Annahme die alternative Steuerberechnung in einer Verordnung umsetzen muss. Der Bundesrat hat sich bereits Gedanken gemacht, welchen Spielraum ihm das Volksbegehren lässt.
Gewisse Optionen dürften dabei kaum im Sinne der Initianten sein. Beispielsweise nennt der Bundesrat in seiner Botschaft die Möglichkeit, unverheiratete Eltern und Alleinerziehende künftig stärker zu besteuern, indem sie nicht mehr dem günstigeren Verheiratetentarif unterstellt wären, sondern dem Tarif für Alleinstehende. Die Benachteiligung von Ehepaaren mit Kindern würde demnach nicht durch eine Steuersenkung, sondern durch eine Steuererhöhung für unverheiratete Eltern und Alleinerziehende abgeschafft. Weiter hält es der Bundesrat für denkbar, den Verheirateten- und Zweiverdienerabzug für Ehepaare aufzuheben, weil diese Abzüge bei der alternativen Steuerberechnung keine Berechtigung mehr hätten. Die möglichen Steuerausfälle bewegen sich laut dem Eidgenössischen Finanzdepartement in einer grossen Bandbreite: Sie können zwischen 700 Millionen bis 1,4 Milliarden Franken pro Jahr betragen, je nach der getroffenen Regelung beim Tarif und bei den Abzügen.
Einverdiener sind nicht benachteiligt
Schaut man sich an, wer von der Einführung der alternativen Steuerberechnung profitieren würde, zeigt sich eine auffällige Gemeinsamkeit mit der Individualbesteuerung. Die Gewinner wären zur Hauptsache dieselben, nämlich Doppelverdiener-Ehepaare, bei denen beide Partner ungefähr gleichmässig zum Haushalteinkommen beitragen. Diese Gruppe von Steuerzahlern leidet wegen der Addition der Einkommen und der steilen Progression am meisten unter der Heiratsstrafe, sie würde folglich durch die neue Berechnungsmethode am stärksten entlastet. Ihre Steuerrechnung dürfte auch deutlich tiefer ausfallen als jene der Einverdiener-Ehepaare mit demselben Einkommen, die Belastungsunterschiede könnten beträchtlich sein.
Den traditionellen Einverdiener-Ehepaaren wird die alternative Steuerberechnung kaum finanzielle Vorteile bringen, da sie heute gegenüber gleichgestellten Einverdiener-Konkubinatspaaren – aufgrund des günstigeren Verheiratetentarifs – bevorteilt und nicht benachteiligt sind. Das Modell schützt sie allerdings vor den Zusatzbelastungen, wie sie die Individualbesteuerung vorsieht.