Mittwoch, November 6

«Hof» ist der erste Band der Trilogie über den jungen Tue und sein Aufwachsen in einer Prekariats-Bauernfamilie. Diese war in Dänemark ein Riesenerfolg. Allerdings erschöpft sich Thomas Korsgaards ungnädiger Blick auf das Dasein in der Provinz bald in Effekthascherei.

Stellen wir uns nicht ganz Dänemark reich und glücklich vor? Ganz Dänemark? Nein, ein kleines Dorf am Limfjord leistet Widerstand: Hier sind die Bewohner arm und unglücklich, vor allem einer.

«Hof» ist der erste Band der Trilogie über den jungen Tue, die in Dänemark ein Riesenerfolg war. Dies obwohl sie auf dem platten Land in Mitteljütland spielt und das prekäre Leben einer Bauernfamilie schildert, die ständig um ihre Existenz kämpfen muss. Hübsch ist hier nur das blühende Tulpenfeld im Mai, sonst hören wir das alte Lied vom tristen, engen, tumben Leben auf dem Lande. Verführt das zum Kauf, weil sich manche darin wiedererkennen, oder weil es für die vielen Reichen und Glücklichen den Reiz exotischen Elends hat?

Eine Reihung von Lebenssituationen

Tue, gerade einmal zwölf, Ich-Erzähler und wohl das Alter Ego des Autors, sagt gleich im ersten Satz: «Es war, als wäre der Tod ein Teil von mir.» Er ist ein feinsinniger Junge, trotzdem ist die Aussage erstaunlich für einen Bub, der noch keinen Tod erlebt hat. Oder doch: den der Tiere, die hier zu Hause sind. Der Hof am Limfjord in der Nähe von Skive ist heruntergekommen, er ist ungepflegt und riecht. Die vom Vater zerhackten Ratten werden auf den Haufen mit dem toten Vieh geworfen. Trotz Antibiotika verenden Kälber und Schweine.

Die finanzielle Lage ist angespannt, der Vater muss Anteile am Hof an seinen raffgierigen Bruder verkaufen, der sich auch noch als Retter aufspielt. Die Ehe kriselt schon lange, aber als die Mutter ein totes Kind zur Welt bringt, bricht endgültig alles auseinander. Sie verfällt dem Glücksspiel und verzockt das Geld ihres Stiefvaters beim Online-Poker.

«Hof» ist kein durchgehender Roman, sondern eine Reihung von Lebenssituationen, was eine fliessende Lektüre verhindert. Der Autor erzählt keine Geschichte, sondern lauter Geschichten, 53 insgesamt. Denen zudem oft die Pointe fehlt, viele stürzen regelrecht ab, ohne eigentliche Erkenntnis. Die Dialoge sind durchaus lebhaft und ruppig und darin sicher realistisch. Daran hat auch die flotte Übersetzung einen Anteil. Dazu bloss eines: Ein «salmebog» ist kein Psalmenbuch, sondern ein Gesangbuch, und «salmer», wenn man sie singt, sind keine Psalmen, sondern Kirchenlieder; aber das nur nebenbei.

Ungnädiger Blick auf die Provinz

Die Würze des Elends sind die eingestreuten Ekligkeiten. Einmal lutscht der Junge ein gebrauchtes Kondom aus, «das alte Sperma war kalt und feucht.» Vor seinem Vater (dem er vorher einen Check gestohlen hat) flüchtet Tue auf einen Ast, «dann kackte ich». Darauf beschmiert ihm der wütende Vater mit einem kotbesudelten Stock das Bein.

Ungnädiger Blick auf die Provinz: Wenn etwas passiert, ist es nicht schön. Und nur wenig passiert, was schön werden könnte: die pubertierende Fummelei mit einem Schulkameraden oder die Begegnung mit Iben, einem etwas plakativ taffen, herausfordernden Mädchen, das Tues Homosexualität rasch erkennt.

Sympathisch ist Tue nicht gerade, auch nicht übertrieben empathisch. Er gehört nicht zu dieser Gesellschaft, erstens durch seine sexuelle Neigung, die er erst, jung wie er ist, nicht wahrhaben will, zweitens weil er die Welt durch die Brille seiner Isolation wahrnimmt. Er ist ein Held, weil er sich einsam fühlt. Aber wird er uns in seiner Einsamkeit wirklich nahegebracht? Reisst sein Schicksal uns mit?

Thomas Korsgaard, geboren 1995 in Viborg, vom Verlag als «Wunderkind der dänischen Literatur» angepriesen, hat Talent, aber Wunder hat er nicht vollbracht.

Thomas Korsgaard: Hof. Roman. Band 1 der Trilogie. Aus dem Dänischen von Justus Carl und Kerstin Schöps. Kanon-Verlag, Berlin 2024. 285 S., Fr. 33,50.

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