Mirrens Karriere begann im Theater, wurde lange übersehen und fand erst spät ihre internationale Bühne.
Helen Mirren war schon mit 20 eine elegante Bühnenschauspielerin. Speziell in Shakespeare-Rollen hatte sie die Theaterwelt für sich eingenommen. Kino und Fernsehen bissen lange nicht an. Mirrens Weltkarriere hob erst ab, als sie älter wurde.
Dann kamen die grossen Filmrollen, die Preise und schliesslich der Oscar. Den erhielt sie 61-jährig im Jahr 2007 für ihre Darstellung der damals noch lebenden Elizabeth II. in Stephen Frears’ Film «The Queen». Die geadelte Dame Mirren spielte die Queen gleich ein zweites Mal auf dem Theater in «The Audience» (2013) – mit Gefühl und Ironie.
Die Kritiker taten sich schwer damit, Helen Mirren in jungen Jahren in ernsten Rollen ernst zu nehmen. Abgesehen von ihrem Talent, ihrer Intelligenz, besass Mirren eine kurvenreiche Figur und einen lässigen Sex-Appeal. Was immer wieder zu sexistischen Angriffen führte.
Der Regisseur Michael Winner habe sie «wie ein Stück Fleisch» behandelt, sagte sie später. In einem bis heute berüchtigten und bizarren Fernsehinterview von 1975 sprach der BBC-Talkshow-Host Michael Parkinson unter anderem von ihrer «schlampenhaften Erotik». «Ernsthafte Schauspielerinnen können keinen grossen Busen haben, meinen Sie das?», erwiderte Mirren, woraufhin Parkinson sagte: «Ich glaube, er kann von der Leistung ablenken, wenn Sie wissen, was ich meine.» Mirren nannte Parkinson später einen «sexistischen alten Furz».
Genug bewiesen
Ihre Attraktivität war ein Thema, als sie jung war. Und sie blieb ein Thema. Ihre Haare liess sie weiss werden, und kosmetische Chirurgie lehnte sie ab. Die ältere Helen Mirren sieht «immer noch gut aus», wie ihr gerne bewundernd attestiert wird. Aber anstatt sich gegen die mediale Auseinandersetzung mit ihrem Äusseren zu wehren, schlug sie schliesslich Kapital daraus: Mit zwei Golden Globes, vier Emmys und einen Oscar in der Tasche musste sie niemandem mehr etwas beweisen.
Sie begann, Kosmetika gegen Falten unter dem Slogan «Weil ich es mir wert bin» zu bewerben. Der Wohltätigkeitsorganisation Age UK, die sich für die Belange älterer Menschen einsetzt, stiftete sie unter anderem den roten Bikini, mit dem sie 2008 von einem Paparazzo in den Ferien fotografiert wurde. Die Bilder der damals 63-Jährigen verbreiteten sich im Internet. Sie fand das fürchterlich, wie sie in einem Interview mit der «Zeit» sagte. Es sei ihr in dem Moment so vorgekommen, als sei ein Preis auf sie ausgesetzt worden. Doch: «Auch das wird vorbeigehen.»
Im vergangenen Jahr notierte der Londoner «Evening Standard»: «Mit ihren 79 Jahren ist Mirren nicht nur ein nationales Kulturgut, sondern auch eine unserer bemerkenswertesten alterslosen Schauspielerinnen.» Sie habe sich über die Erwartungen an die Langlebigkeit einer Frau auf der Leinwand hinwegsetzt. Es sei, als würde sie rückwärts altern. Der Artikel spielt darauf an, dass Mirren zu den wenigen Hollywood-Schauspielerinnen gehört, die mit zunehmendem Alter nicht etwa von der Leinwand verschwanden, sondern immer erfolgreicher wurden.
Atheistin in der Kirche
Geboren wurde die Schauspielerin in London unter dem Namen Elena Lydia Mironov als Tochter einer Engländerin aus der Arbeiterklasse und eines russischen Taxifahrers mit aristokratischen Vorfahren. Der Vater war während des Ersten Weltkriegs nach England gekommen und liess den Namen Mironov anglisieren.
Helen Mirren wuchs in einer Familie von Atheisten auf, besuchte aber eine katholische Schule. «Ich liebe das Theater der Kirche», sagte sie später. «Ich glaube auf eine leicht religiöse Art und Weise an die Kraft und den Wert des Theaters.»
Mit neunzehn wurde sie Mitglied der Royal Shakespeare Company, der sie fünfzehn Jahre angehörte. Später mischte sie Bühnenauftritte, Prestige-Kinorollen (Peter Greenaways «The Cook the Thief the Wife the Lover», 1989 oder Robert Altmans «Gosford Park», 2001) mit Popcorn-Filmen wie «F9: The Fast Saga» (2021). Ihre Engagements in «The Madness of King George» (1994) und «Gosford Park» (2001) wurden für den Academy Award nominiert.
An der Seite von Harrison Ford erschien sie als Matriarchin einer Viehzüchterfamilie in Montana in «1923» (2022–25), einem Prequel zur Erfolgsserie «Yellowstone». Im Jahr 2023 lieh sie ihre Stimme der Erzählerin in «Barbie», Greta Gerwigs Film über die Kultpuppe. Doch auch Mirren selbst hat einen Unsterblichkeitsstatus erreicht.
Die Engländerin, die sich gern mit Architektur oder Jura beschäftigt hätte, wenn sie nicht Schauspielerin geworden wäre, ist seit 1997 mit dem amerikanischen Filmregisseur Taylor Hackford verheiratet. Im britischen Fernsehen wurde sie unter anderem bekannt durch die Rolle einer Kommissarin in der Serie «Prime Suspect» (1996 und 2006). Darin spielt sie eine Ermittlerin, die bis zum Detective Superintendent aufsteigt und sich mit dem institutionalisierten Sexismus innerhalb der Polizei auseinandersetzen muss. Dabei war sie erfrischend uninteressiert an männlicher Anerkennung.
Die Figur der Kommissarin ist typisch für sie. Immer wieder kommt sie in ihren Rollen auf widerständige Frauen zurück. Oft agieren Mirren-Charaktere antagonistisch oder im Spannungsverhältnis zu der Gesellschaft, in der sie leben. Auch in ihrem berühmtesten Film, in dem die Schauspielerin die Queen verkörpert, wird dieser Zug deutlich. Es geht in Stephen Frears’ Werk um die Isolation einer Königin, die qua Tradition und Etikette den Anschluss an ihr Volk zu verlieren droht – und um die Einsamkeit einer Frau an der Spitze.
Zwiesprache mit Hirsch
Der Hintergrund des Films ist der millionenfach beleuchtete Autounfall, bei dem Lady Diana starb, und das Medienrauschen, zu dem die Queen bekanntermassen zunächst schwieg. In einer Szene hält Helen Mirren im schottischen Hochland eine einsame Zwiesprache mit einem Hirsch. Einem der Jagd ausgesetzten Tier, dem sie sich plötzlich nahe fühlt. Dass die riskante Szene gelingt, die leicht in den Kitsch hätte abgleiten können, ist Mirrens Feingefühl – ihrer Kunst – zu verdanken.
Offiziell schwieg das Königshaus dazu. Doch die echte damalige Königin, so hiess es, habe den Film gesehen und geschätzt. Bei einer Preisverleihung nickte Elizabeths Enkel Prinz William in ihre Richtung und sagte: «. . . and granny’s here» – «. . . Oma ist auch da». Am kommenden Samstag feiert Helen Mirren ihren 80. Geburtstag.