Mittwoch, Februar 12

Eigentlich sollten sich nur die Trainer scheren lassen, doch dann hielten auch Odermatt und Co. den Kopf hin. So kam es zu den schrägen Auftritten an der Siegesfeier des Abfahrtsweltmeisters Franjo von Allmen.

Man kennt die Fussballerfrisur, ziseliert bis in die Haarspitzen. Für die Kicker ist die Haarpracht so wichtig, dass sie sogar ihren eigenen Coiffeur an grosse Turniere mitnehmen. Das gab an der Europameisterschaft 2021 zu reden, als es wegen der Pandemie strikte Schutzmassnahmen gab und die Schweizer einen Hairdresser aus der Heimat ins Quartier in Rom fliegen liessen. Was tut man nicht alles, um am Tag X in Topform zu sein.

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Jetzt gibt es also auch die Skifahrerfrisur, und die ist rasch gemacht: Man nehme einen elektrischen Haarschneider und fräse irgendwie über den Schädel. Das Schweizer Ski-Team zeigte sich dabei kreativ, wie am Sonntag an der Siegerehrung des Abfahrtsweltmeisters Franjo von Allmen in Saalbach zu sehen war. Die einen sahen aus, als hätten sie gerade einen schweren Lausbefall hinter sich, Marco Odermatt erinnerte irgendwie an einen Lehrer mit Haarausfall. Und Stefan Rogentin könnte mit seiner Tonsur gleich ins Kloster eintreten.

Eine Wette bei der Party in Kitzbühel

Den Ursprung hatte diese Aktion in einer Wette, die in mutmasslich nicht ganz nüchternen Zustand abgeschlossen wurde. Auslöser war Alexis Monney, der noch vor kurzem einen adretten Schnitt mit halblangen Haaren trug. Dem Trainer Reto Nydegger war das schon zu viel. Er machte vor einem Jahr mit Monney ab, dass dieser die Frisur stutzt, sobald er im Weltcup aufs Podest fährt. Monney triumphierte im Dezember in Bormio, aber Nydegger hatte da nach eigenen Angaben die Abmachung wieder vergessen.

Dann kam Kitzbühel, und Monney raste in den zweiten Rang. Das Adrenalin, das ihnen auf der furchterregenden Streif ins Blut schiesst, bauen die Athleten später jeweils in der Disco «The Londoner» ab. Der Sieger stellt sich an den Zapfhahn, das Bier fliesst in Strömen, es wird getanzt und gegrölt. Monney trat dort mit nacktem Oberkörper und frisch poliertem Schädel an. Und in jener Nacht wurde auch beschlossen: Wird ein Schweizer Abfahrtsweltmeister, lassen sich die Trainer scheren.

Als in Saalbach nun tatsächlich WM-Gold für Franjo von Allmen resultierte, hielten nicht nur die Trainer ihr Versprechen, sondern fast das gesamte Team zog mit. Alle Schweizer Abfahrer liessen Haare, auch der Alpinchef Hans Flatscher wollte nicht zurückstehen, und der sonst so zurückhaltende Cheftrainer Tom Stauffer liess sich die Schläfen rasieren. Sein stolzer Schnauzer blieb hingegen unangetastet.

Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass Schweizer Abfahrer mit Frisuren experimentieren. Als Didier Cuche im Winter 1997/98 dazu ansetzte, die Weltspitze zu erobern, liess er sich für jedes Rennen die Haare anders färben. Auf die Frage, was er mache, wenn er gewinne, antwortete er: «La boule à zéro!» Auf Deutsch: einen Kahlschnitt. Cuche siegte in Kitzbühel, bat aber den Coiffeur, ein paar Millimeter stehenzulassen.

Denn er hatte Angst, dass er sich sonst erkälten könnte, er hatte ja noch die Winterspiele in Nagano vor sich. Dass es ihm auf ein paar Millimeter Haare ankam, war typisch für den Neuenburger. Er überliess Zeit seiner Karriere kein Detail dem Zufall, studierte stundenlang an der richtigen Einstellung des Skischuhs herum und testete sogar selbst Rennanzüge, wenn er der Ansicht war, Swiss Ski verfüge nicht über die schnellsten Textilien.

Mit den Jahren ergab sich bei Cuche die «boule à zéro» von selbst, die Haare fielen aus, und er wurde mit seinem markanten Kahlkopf zum besten Abfahrer der Welt. Er gewann noch viermal auf der Streif und stellte sich im «Londoner» hinter die Bar. Solche Rituale muten in der heutigen Zeit ziemlich schräg an, im Skizirkus aber werden sie kritiklos akzeptiert. Als Bruno Kernen 1997 Abfahrtsweltmeister wurde, sollen die Leute beim Feiern in einer Bar durch knöcheltiefes Bier gewatet sein. Franjo von Allmen sagte am Sonntag: «Heute gehen wir z’Bode.»

Odermatt tritt angetrunken im TV-Studio auf

Saufen bis zum Umfallen – und das mit Ansage. Was andere Sportler hinter geschlossenen Türen tun, wird im Skisport öffentlich inszeniert. Als Marco Odermatt 2023 Abfahrtsweltmeister wurde, feierte er im Après-Ski. Später trat er sichtlich angetrunken im Schweizer Fernsehen auf, zeigte auf eine Flasche Wein und sagte: «Ich glaube, die Flasche müssen wir auch gleich mal öffnen. Damit ich reden kann.» Die Skiwelt feierte ihn für seine authentische Art. Der Münchner «Merkur» schrieb: «Wer mag es dem sympathischen Schweizer verdenken?»

In Saalbach aber stand nicht der Alkohol, sondern das kreative Haareschneiden im Zentrum. Der Silbermedaillengewinner Vincent Kriechmayr konnte die Bilder der geschorenen Schweizer kaum fassen und lobte die Schweizer Friseurskunst. Er war nach gleich zwei WM-Siegen 2021 ebenfalls angetrunken im TV-Studio aufgetreten, worauf die nicht österreichischen Skifreunde das Wort «Damenspitz» lernten.

Die Schweizer werden wohl noch einmal zum Haarscherer greifen und sich den Einheitsschnitt «boule à zéro» verpassen. Oder sie tragen in den kommenden Monaten Tag und Nacht ihre Skimütze. Bleibt nur zu hoffen, dass sie ihre skifahrerischen Superkräfte nicht verlieren. In der Bibel können sie nachlesen, was so ein Kahlschlag mit dem herkulischen Samson machte. Erst als seine Haare nachgewachsen waren, kam er wieder zu Kräften.

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