Viele Investoren blicken auf die Konjunktur, um abzuschätzen, wie sich die Aktienmärkte entwickeln. Das ist ein Irrtum, denn die Börsen laufen der Konjunktur voraus. Viel wichtiger ist es, die Liquidität im Auge zu behalten – und dort zeigen sich erste Warnsignale.
Eine altbekannte Regel wird von Investoren meist ignoriert: Die Börsen laufen der Konjunktur voraus. Damit ist auch die derzeit robuste US-Konjunktur für sich alleine genommen noch kein Grund für weiter steigende Aktien- und Kreditmärkte. Dementsprechend ist auch erst nach einem stärkeren Einbruch der Aktien- und Kreditmärkte mit einer Rezession zu rechnen. Die fast täglich stattfindenden Diskussionen, ob es demnächst zu einer Rezession kommt oder nicht, sind für die Börsen also irrelevant.
Daran ändert auch die Wahl von Donald Trump zum 47. Präsidenten der USA nichts. Seine versprochenen wirtschaftsfreundlichen Sofortmassnahmen wie Steuersenkungen, Zölle und Deregulierungen werden zwar schnell auf die Konjunktur, die Inflation, das Staatsdefizit und die langfristigen Zinsen wirken, aber eben nicht auf die Aktienmärkte.
It’s the Liquidity, Stupid!
Vielmehr spielen Geld- und Liquiditätsflüsse, die durch die Notenbanken und die private Geldschöpfung im Bankensystem generiert werden, die alles entscheidende Rolle. Und hier zeigen sich erste Warnsignale: Verschiedene vorauseilende Liquiditätsindikatoren schwächen sich bereits seit einiger Zeit ab: Insbesondere versiegt die bisher gigantisch sprudelnde Liquiditätsquelle «Overnight Reverse Repo Facility» der US-Notenbank.
Dabei handelt es sich um rund 2500 Mrd. $ der US-Notenbank (Fed), die den Banken und Geldmarktfonds während und nach der Pandemie als Überschussreserven zur Verfügung gestellt wurden, die aber erst in den vergangenen 18 Monaten abgerufen wurden. Diese Gelder flossen in kurzlaufende US-Staatsanleihen (T-Bills) und wurden damit geldmengen- und börsenwirksam. Das war einer der Hauptgründe der starken Aktien- und Kreditmärkte in den vergangenen 18 Monaten. Mittlerweile sind diese Reserven aber praktisch vollständig aufgebraucht.
Zudem geht das «Quantitative Tightening» der US-Notenbank weiter und entzieht den Märkten zusätzlich Liquidität. Erste Anzeichen eines drohenden monetären Luftlochs sind unvermittelte Sprünge der Geldmarkt-Refinanzierungssätze und schlecht laufende Treasury-Auktionen des US-Schatzamtes.
Allerdings wirkt eine fallende Liquiditätsversorgung praktisch immer mit einer mehrmonatigen Verzögerung. Wir nähern uns deshalb der monetären Gefahrenzone, haben sie aber noch nicht ganz erreicht. Es zirkuliert noch viel Restliquidität im System. Zudem kompensieren die nach wie vor extrem hohen Staatsausgaben, insbesondere in den USA, zumindest teilweise die rückläufige Liquiditätsversorgung. Steigende Staatsausgaben führen zu erhöhter konjunktureller Dynamik und kurbeln das Konsumwachstum an, das über einen Abbau der Ersparnisse der privaten Haushalte finanziert wird. Damit wird brachliegende Liquidität auf den Sparkonten «aktiviert».
Ungleichgewichte nehmen zu
Trotz dieser noch vorhandenen Restliquidität nehmen in den USA verschiedene fundamentalökonomische Ungleichgewichte weiter zu. Der Dienstleistungskonsum ist aktuell der Haupttreiber der Konjunktur, während das verarbeitende Gewerbe und die mittelständischen Unternehmen schon länger unter Druck stehen.
Insgesamt ist diese Struktur nicht nachhaltig. Zudem schwächelt der Arbeitsmarkt hinter den Kulissen. Die Anzahl von Arbeitnehmern mit mehreren Jobs nimmt stark zu, was die Beschäftigungszahlen verzerrt. Diese Ungleichgewichte dürften längerfristig rezessive Tendenzen begünstigen und werden die zunächst nur monetär generierten Probleme an den Aktienmärkten in Form fallender Liquiditätsversorgung in einer zweiten Phase verstärken.
Da die konjunkturellen Ungleichgewichte aber, wie erwähnt, im Moment noch nicht börsenrelevant sind und die abnehmende Geldversorgung erst mit Verzögerung wirkt, sehen wir im Moment für Aktien- und Kreditmärkte erst Warn- aber noch keine Verkaufssignale. Der Aufwärtstrend ist aktuell noch nicht gebrochen, und das für die Märkte wichtige Geldmengenaggregat M2 steigt in den USA sogar noch an. Damit wirkt noch eine starke monetäre Restenergie.
Trotzdem verschlechtert sich die markttechnische Situation zunehmend, insbesondere an den US-Märkten. Bemerkenswert sind bereits seit einiger Zeit bedeutende Aktienverkäufe von Grossinvestoren in den USA (allerdings marktschonend nur in steigende Märkte hinein) sowie eine zunehmend euphorische Anlegerstimmung, besonders jetzt nach der US-Präsidentenwahl.
Der Konsens ist überwältigend, dass die von Donald Trump angekündigten Massnahmen gut für die Aktienmärkte sind. Allfällige Probleme werden mehrheitlich ausgeblendet. Zudem befinden sich die Bewertungen nahe an historischen Höchstwerten, was auch durch die rekordhohen Cash-Bestände von Warren Buffetts Beteiligungsgesellschaft Berkshire Hathaway bestätigt wird.
Anstieg der Zinsen bereitet Sorgen
Beachtenswert für den Aktienmarkt ist zudem der jüngste Anstieg der Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen auf über 4,3% und damit über das 80%-Perzentil der Renditen in den vergangenen drei Monaten. Historisch führte dies oft zu Marktkorrekturen (und auch zu weiter steigenden langfristigen Zinsen). Allerdings kann es auch bei diesem Indikator zu Verzögerungen kommen, bis die Märkte reagieren. Siehe dazu die folgende Grafik:
Es zieht somit langsam, aber sicher Herbstnebel auf, und eine Navigation auf Sicht wird immer ratsamer. Konkrete Verkaufssignale sollten aber abgewartet werden. Wichtige monetäre Signale wären hier ein Rückgang der US-Geldmenge M2, die wie erwähnt im Moment noch steigt (Anmerkung: Sie finden die M2-Daten im wöchentlichen The Market Chart Pack auf Seite 14).
Auch eine deutliche Abschwächung des Dollars gegenüber dem japanischen Yen würde auf eine weitere Auflösung des Yen-Carry-Trades und damit auf Kapitalabfluss aus den USA hinweisen. Generell bedeutet die Auflösung des Yen-Carry-Trades eine Liquiditätsverminderung nicht nur in den USA, sondern auch für das globale Finanzsystem. Sobald diese Signale in den kommenden Monaten auftreten, sollten Portfoliorisiken deutlich reduziert werden.
Beat Thoma
Beat Thoma ist Chief Investment Officer und Leiter des Investment Office bei Fisch Asset Management in Zürich. In seiner Rolle ist er verantwortlich für die Erarbeitung und Umsetzung der Anlagepolitik. Vor seinem Eintritt bei Fisch Asset Management im Jahr 2000 war er 14 Jahre lang bei der UBS und der Security Pacific Bank in Genf verantwortlich für den Handel und Verkauf von Wandelanleihen. Thoma publizierte Research zu Börsenzyklen sowie zwei Bücher zur Chaostheorie und dynamischen Systemen an den Finanzmärkten. Er verfügt über einen Abschluss in Mathematik und Ökonomie der Universität Zürich.