Sonntag, September 8

Ein epischer Streit nimmt ein unerwartetes Ende.

Es ist ein epischer Streit um eine Kleinigkeit: Seit sechs Jahren kämpfen die Stadt Zürich und der Kanton um die Frage, ob die Nationalität von Tatverdächtigen in Polizeimeldungen genannt werden soll oder nicht.

Die Meinungen sind gemacht: Die linken Gegner aus der Stadt sagen, die Nennung der Nationalität schüre Ressentiments gegen Ausländer und sei unnötig. Schliesslich spiele die Herkunft kaum eine Rolle für die Verübung von Straftaten, wichtiger seien Faktoren wie der Bildungsstand oder der sozioökonomische Status.

Die Bürgerlichen und namentlich die SVP halten dem entgegen, dass Herkunft und Sozialisation sehr wohl eine Rolle spielten und die Bevölkerung ein Anrecht auf Transparenz habe. Den Linken gehe es nur darum, zu verschleiern, dass Ausländer häufiger straffällig würden.

Einig wurden sich die beiden Lager nie, und so wurde die Sache zu einem wendungsreichen Machtkampf inklusive Volksabstimmung und Bundesgerichtsentscheid.

Zuletzt schien die Stadt wieder die Oberhand gewonnen zu haben, doch nun hat der Kanton zurückgeschlagen: Mit einem drögen Doppelstrich in einer kantonalen Weisung, die den Namen Wosta trägt, hat er die Stadt düpiert.

Junger Jurist beschwert sich beim Bundesgericht

Um zu verstehen, warum dies eine entscheidende Wendung in diesem Streit ist, muss man bis zur Volksabstimmung im März 2021 zurückblicken. Damals lehnten die Stimmberechtigten zwar die Initiative der SVP ab, nahmen aber den Gegenvorschlag des Regierungsrats an. Mit dem Ja wurde im Zürcher Polizeigesetz der Artikel 51 a geschaffen. Dieser schreibt fest, dass die Herkunft von Tätern genannt werden muss.

Damit hätte die Sache eigentlich erledigt sein sollen. Doch ein junger Jurist der GLP reichte nach der Abstimmung eine Beschwerde gegen den Gesetzesartikel beim Bundesgericht ein. Die Beschwerde wurde zwar abgewiesen, doch das Gericht kam in seinem Urteil zu einem überraschenden und brisanten Schluss: Der neue Artikel im Polizeigesetz regelt gar nicht das, was beabsichtigt war.

Das kantonale Gesetz kann der Polizei nämlich nur Vorgaben machen, wie sie bei Unfällen oder Vermisstmeldungen die Öffentlichkeit informieren muss. Sobald es um Polizeimeldungen zu Straftaten geht, ist die nationale Strafprozessordnung massgebend. Und diese macht der Polizei keinerlei Vorgaben zur Nennung von Nationalitäten.

Die Gegner der Herkunftsnennung witterten Morgenluft. Doch trotz dem Bundesgerichtsurteil blieb die Stadtpolizei Zürich dabei, die Nationalität zu nennen. Dabei berief sie sich auf die Weisung der Oberstaatsanwaltschaft für das Vorverfahren oder eben kurz: die Wosta. Diese schreibe die Nationalitätennennung vor.

Damit wollte sich das Zürcher Stadtparlament jedoch nicht zufriedengeben. SP, Grüne, GLP und AL reichten ein Postulat ein, das die Stadtpolizei aufforderte, auf Herkunftsangaben zu verzichten. Letzten November überwies die Mehrheit des Gemeinderats den Vorstoss an den Stadtrat. Ihr Hauptargument: Die Weisung richte sich nur an die Staatsanwaltschaft.

Da es also keine rechtliche Grundlage gebe, welche die Stadtpolizei zwinge, die Herkunft von Tätern zu nennen, könne sie auch darauf verzichten. Das sei schliesslich auch, was die Stadtbevölkerung wolle, die gegen die kantonale Initiative der SVP und den Gegenvorschlag der Kantonsregierung gestimmt habe.

Die grüne Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart nahm das Postulat im Namen des Stadtrats gerne entgegen. Denn auch der Stadtrat will, dass die Polizei auf die Nationalitätennennung verzichtet.

Die überraschende Wende

Das Pendel hatte scheinbar wieder zugunsten der Stadt zurückgeschlagen. Die entscheidende Frage war nun aber, ob sich die umstrittene Weisung tatsächlich nur an die Staatsanwaltschaft richtet. Die Oberstaatsanwaltschaft wollte den politischen Entscheid im Gemeinderat damals nicht kommentieren.

Wenige Wochen später passierte dann aber etwas Erstaunliches: Auf den 1. Januar 2024 wurde die Weisung der Oberstaatsanwaltschaft angepasst. Auf der ersten Seite ist seither zu lesen, dass Textstellen, die am rechten Rand mit einem Doppelstrich markiert sind, sich an Staatsanwaltschaft und Polizei richten.

Und siehe da: Auf Seite 280, wo der umstrittene Abschnitt zu finden ist, steht am Rand ein Doppelstrich. Also gilt nun auch für die Stadtpolizei, dass bei «Tätern, Tatverdächtigen und Opfern neben dem Alter und dem Geschlecht in der Regel auch die Nationalität bekanntzugeben» ist.

Auf Anfrage schreibt die Oberstaatsanwaltschaft, dass sie die Weisung als Folge des Bundesgerichtsentscheids und in Nachachtung des Volksentscheids von 2021 angepasst habe. Dass die Weisung nur kurz nach dem Vorstoss im Gemeinderat angepasst wurde, ist aber kein Zufall. So schreibt die Oberstaatsanwaltschaft, dass der Vorstoss bei den Strafverfolgungsbehörden «nicht unbemerkt» geblieben sei. Nach verschiedenen rechtlichen Abklärungen und Gesprächen habe man die entsprechende Passage in der Weisung dann mit dem Doppelstrich versehen.

«Ein höchst problematisches Vorgehen der Behörden»

Bei der SVP freut man sich über den Schritt der Oberstaatsanwaltschaft. Es sei ja auch langsam Zeit geworden, dass die Sache erledigt werde, findet der Gemeinderat Stephan Iten. Schliesslich habe die Bevölkerung vor drei Jahren klar gesagt, was sie wolle. Die Behörden hätten nun nichts anderes getan, als diesen Willen umzusetzen.

Bei den Gegnern kommt das Manöver der Behörden weniger gut an. Die GLP-Gemeinderätin Serap Kahriman ist der Kopf hinter dem parlamentarischen Vorstoss. Sie sagt: «Es ist höchst problematisch, wenn eine brisante politische Frage von der Verwaltung durch die Hintertür geregelt wird.» Rechtlich könne sie die Sache noch nicht abschliessend beurteilen. Im Mindesten hätte sie aber eine öffentliche Mitteilung erwartet, wenn die Oberstaatsanwaltschaft die umstrittene Weisung anpasst.

Selbst der Zürcher Stadtrat wusste im Voraus nichts von der Anpassung, wie das Sicherheitsdepartement auf Anfrage schreibt. Als die Änderung erfolgt sei, sei immerhin die Stadtpolizei informiert worden. Aus Sicht des Stadtrates hat sich die Angelegenheit nun aber endgültig erledigt, es bestehe kein Spielraum mehr, auf die Herkunftsangaben zu verzichten. «Wir nehmen die Anpassung zur Kenntnis und schreiben das Postulat als erledigt ab», schreibt das Sicherheitsdepartement.

Der Kanton hat nach sechs Jahren Streit nun also einen Schlussstrich gezogen. Einen doppelten.

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