Montag, September 15

Er zählte zu den prägenden Figuren der brasilianischen Musik, die er durch Einflüsse aus Klassik und Jazz erweiterte. Am Samstag ist der ebenso geniale wie charismatische Künstler 89-jährig gestorben.

Wenn man Schweinchen an ihrem Ringelschwanz zupft, geben sie ein Grunzen oder Quieken von sich. Hermeto Pascoal hat das kompositorisch genutzt und in seinem Stück «Slaves Mass» (1977) die Stimmen aus dem Stall mit melancholischen Gitarrenakkorden kombiniert. Bei einem anderen wäre das ein billiger Witz geblieben. Der brasilianische Komponist, Sänger und Multiinstrumentalist aber schuf so eine organische Musik, in der er die verstörende Parallele von Tier- und Sklavenhaltung heraushob.

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Das Beispiel ist typisch für Pascoals wuchernde Musikalität. Den Unterschied von Unterhaltung und Kunst gab es in seinem Werk so wenig wie den Gegensatz von Volkskultur und Avantgarde. Im Werk dieses brasilianischen Genies lief alles kontrapunktisch zusammen.

Ein Original

Die Originalität war diesem Künstler anzusehen. Der Mann, der im Alter einen schulterlangen Zopf trug und einen fast ebenso langen Rauschebart, war 1936 in Alagoas im Nordosten Brasiliens als Kind mit Albinismus zur Welt gekommen. Seiner weissen Haut verdankte er einen Sonderstatus. Während andere Kinder auf dem Feld arbeiten mussten, liess man Hermeto offenbar zu Hause, wo er den Gesang der Vögel studierte und auf dem väterlichen Akkordeon herumspielte.

Hermeto Pascoal - Bebê

Die Familie zog später in die Hafenstadt Recife und schliesslich nach Rio de Janeiro. In diesen Jahren machte sich Hermeto Pascoal autodidaktisch mit der reichen Kultur brasilianischer Musik vertraut – von Choro bis Samba und Bossa nova. Gleichzeitig eignete er sich ein Instrument nach dem anderen an. Aber er profilierte sich nicht nur als Virtuose auf dem Akkordeon, auf verschiedenen Flöten, auf der Gitarre und dem Saxofon. Er integrierte auch immer wieder neue Klänge und Geräusche in seinen Sound. Später trat er oft mit seinem Sohn Fabio auf, der auf Tellern, Werkzeugen, Autohupen und Kochutensilien musizierte.

Treffen mit Miles Davis

Seine lokale Berühmtheit verdankte Pascoal der Zusammenarbeit mit brasilianischen Stars. So trat er in den 1960er Jahren in Bossa-nova-Formationen von Sérgio Mendes und Carlos Jobim auf. In seinem 1964 gegründeten Trio Sambrasa spielte er mit dem virtuosen Perkussionisten Airto Moreira, mit dem er sich immer mehr den Einflüssen aus Jazz und Jazzrock öffnete. Zum international gefeierten Musiker wurde der Brasilianer dann, als er 1971 in der Band des Jazztrompeters Miles Davis spielte. Auf dem Album «Live-Evil» (1971) ist Pascoal auf drei Stücken zu hören, die aus seiner Hand stammten.

In seinen Kompositionen, in denen er abenteuerliche Virtuosität bisweilen mit Schalk und Mutterwitz paarte, schien sich der schillernde Charakter des Komponisten zu spiegeln, der auf der Bühne bald den Komiker gab und bald den gestrengen Dirigenten. Tatsächlich waren die Anforderungen an die Mitmusiker so gross, dass die täglich probenden Bands zu kommunenähnlichen Gemeinschaften zusammenschmolzen – unter der Leitung von Guru Hermeto Pascoal. Am Samstag ist der grosse Musiker 89-jährig gestorben.

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