Mittwoch, Oktober 2

Im Zeitraum von 2016 bis 2020 starben an der Zürcher Herzklinik mehr Patienten, als erwartbar gewesen war. Um den Ruf der Institution wiederherzustellen, braucht es eine gründliche Untersuchung.

Die Verantwortlichen des Universitätsspitals Zürich wollten einen Schlussstrich unter die Affäre Francesco Maisano ziehen. Vor drei Jahren entlastete der Bericht eines Anwaltbüros den einst gefeierten Chirurgen und Chef der Herzklinik vom schwerwiegendsten aller Vorwürfe: der Gefährdung des Patientenwohls.

Doch es zeigt sich in diesen Tagen mit aller Deutlichkeit: Das Kapitel Maisano ist nicht abgeschlossen. Es wird so lange auf dem Unispital lasten, bis das Wirken des früheren Klinikdirektors umfassend untersucht ist. Die bisherige Aufarbeitung genügt nicht, es sind unterdessen neue Vorwürfe aufgetaucht.

2020 verliess Maisano das Unispital «in gegenseitigem Einvernehmen», nachdem sich unter seiner Ägide die Qualität der Eingriffe verschlechtert hatte. Im Zeitraum von 2016 bis 2020 starben an der Zürcher Herzklinik in allen Operationskategorien mehr Patienten, als erwartbar gewesen war. Das belegen Statistiken des BAG.

Drastische Zahlen waren vor einigen Tagen in der «Welt am Sonntag» zu lesen. Zitiert wurde aus einem mysteriösen Bericht, der nie veröffentlicht wurde und der laut eigenen Aussagen weder dem Unispital noch der Zürcher Gesundheitsdirektion bekannt ist. Demnach sei die Mortalitätsrate unter Maisano «zehn- bis 15-mal höher» gewesen als in vergleichbaren Kliniken.

Das Unispital bestreitet die Zahl; sie treffe «inhaltlich nicht zu», sagte ein Sprecher gegenüber der NZZ. Doch die Vorwürfe sind in der Welt und bedürfen einer unvoreingenommenen Abklärung.

Gewichtig sind auch die Aussagen von Maisanos direktem Nachfolger Paul Vogt. Der Chirurg sprach im April an einer Gerichtsverhandlung von «langen Listen mit toten Patienten», die er vorgefunden habe. Er berichtete von nicht zugelassenen Implantaten, von «unethischem und kriminellem Verhalten» unter der Ärzteschaft, schlicht von einem «Desaster».

Es ist richtig, dass diese Vorgänge nun noch einmal gründlich untersucht werden. Personen wie Vogt, die früh auf Missstände hingewiesen haben, sollte man nicht ächten, sondern möglichst in den Prozess einbeziehen.

Das Unispital hat angekündigt, eine Task-Force einzuberufen. Es ist wichtig, dass diese Expertengruppe wirklich unabhängig arbeitet. Ein Gefälligkeitsgutachten nützt niemandem etwas – schon gar nicht dem Unispital, welches das grösste Interesse an einer transparenten Aufarbeitung haben sollte.

Schliesslich geht es um nicht weniger als den guten Ruf des wichtigsten Zürcher Spitals. Dieser hat durch die Vorkommnisse gelitten; die Herzoperationen gingen zeitweise merklich zurück. Positiv ist, dass sich die Qualität seit Maisanos abruptem Abgang vor vier Jahren merklich gesteigert hat. Sie befindet sich wieder auf Normalniveau.

Positiv sind auch die Anpassungen an der Organisationsstruktur, die Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli initiiert hat. Die SVP-Frau hat die Aufsicht über das Unispital, das dem Kanton gehört. Auch personelle Wechsel im Spitalrat haben sich bewährt.

In den letzten Tagen machte Rickli allerdings einen nervösen Eindruck. Unter anderem klagte sie den Finanzblog «Inside Paradeplatz» wegen Persönlichkeitsverletzung an. Und sie schoss im Kantonsrat gegen Medien, die rund um das Unispital bloss «Klatsch und Gerüchte» verbreiteten. Das wirkte wenig souverän.

Transparenz muss nun für alle Beteiligten das oberste Gebot sein. Für ein umfassendes Bild sollte die Unispital-Task-Force nicht nur, wie angekündigt, alle Todesfälle von 2016 bis 2020 untersuchen. Sondern auch die Komplikationen mit den von Maisano selbst entwickelten Implantaten. Die Ergebnisse sollten veröffentlicht und breit diskutiert werden. Das gilt auch für die Verantwortlichkeiten: Wer wusste wann von den Schwierigkeiten? Warum unternahm man nicht früher etwas dagegen?

Möglich, dass auch die Justiz noch einmal energischer untersuchen muss. Die Zürcher Staatsanwaltschaft hatte einst Abklärungen getroffen, aber nicht weiterverfolgt. Das könnte sich bei neuen Erkenntnissen ändern. Für einen Schlussstrich ist es zu früh.

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