Israelische Behörden dürfen nicht mehr mit «Haaretz» kommunizieren und keine Anzeigen in dem Blatt schalten. Kritiker bemängeln Einschränkungen der Pressefreiheit.
Keine Anzeigen, keine Interviews, keine Zusammenarbeit: Israels Regierung reisst alle Brücken zur linken «Haaretz» ein, der ältesten Zeitung des jüdischen Staates. Laut einem «Haaretz»-Artikel in eigener Sache hat die israelische Regierung am Sonntag eine Resolution von Kommunikationsminister Shlomo Karhi angenommen, wonach jeder Regierungsstelle untersagt wird, mit Haaretz zu kommunizieren. Zudem dürfen die Regierung und ihre Behörden künftig keine Anzeigen mehr in der Zeitung platzieren.
«Haaretz» weist darauf hin, dass die Resolution nicht auf der Traktandenliste der wöchentlichen Kabinettssitzung gestanden habe. Deshalb habe das Büro der Generalstaatsanwältin die Vorlage auch nicht prüfen können, wie es sonst üblich sei.
Der Entscheid ist laut Kommunikationsminister Karhi in erster Linie wegen einer Rede des «Haaretz»-Herausgebers Amos Schocken an einer Konferenz in London im vergangenen Monat gefallen. Dort hatte Schocken für Sanktionen gegen israelische Regierungspolitiker plädiert und militante Palästinenser «Freiheitskämpfer» genannt. Später relativierte Schocken seine Worte und präzisierte, dass er Mitglieder der Terrororganisation Hamas nicht so bezeichne.
Kritische Zeitung mit geringer Reichweite
«Haaretz» ist eines der wenigen israelischen Medien, die eine kritische Haltung zum Gaza-Krieg einnehmen. Im vergangenen Monat veröffentlichte die Zeitung einen Leitartikel, in dem sie behauptete, Israel führe eine ethnische Säuberung im nördlichen Gazastreifen durch. Die israelische Armee hatte Anfang Oktober wieder intensive Kämpfe im Norden Gazas aufgenommen, die Bewohner zur Evakuation aufgefordert sowie humanitäre Hilfslieferungen für das Gebiet blockiert.
«Haaretz» wird vor allem von einem internationalen Publikum wahrgenommen und repräsentiert bei weitem nicht die Haltungen der israelischen Gesellschaft. Laut einer neuen Umfrage erreicht die Zeitung nur etwa fünf Prozent aller Leserinnen und Leser in dem Land.
Bereits wenige Wochen nach Kriegsausbruch hatte Kommunikationsminister Karhi der Zeitung vorgeworfen, «defaitistische und falsche Propaganda sowie Hetze gegen den Staat Israel während des Krieges» zu verbreiten. In einer Begründung des Entscheids schrieb der Generaldirektor von Karhis Ministerium, die Worte des Herausgebers hätten «Ekel hervorgerufen und auf eine Entkopplung von fundamentalen Werten hingewiesen, in einer Zeit, in der der Staat Israel einen Krieg führt, der gerechter nicht sein könnte».
Welche Auswirkungen der Boykott auf die Arbeit von «Haaretz» neben den finanziellen Einbussen hat, ist noch nicht klar. Eine Mitarbeiterin der Zeitung teilte der NZZ mit, sie befürchte, keine Akkreditierung mehr vom Presseamt der israelischen Regierung zu erhalten. In einer Stellungnahme teilte «Haaretz» mit, es handle sich um einen weiteren Schritt Netanyahus, die israelische Demokratie zu untergraben.
Medien in Israel stehen unter Druck
Israel hatte bereits im Mai dem katarischen Sender al-Jazeera verboten, auf seinem Staatsgebiet zu arbeiten. Gleichzeitig hat ein parlamentarisches Komitee eine Vorlage verabschiedet, die die Privatisierung des öffentlichrechtlichen Fernsehsenders Kan zum Ziel hat. Sollte innert zwei Jahren kein Käufer für den Sender gefunden werden, würde dieser eingestellt. Die Generalstaatsanwaltschaft zeigte sich besorgt über den Schritt, der ihrer Meinung nach den Zugang zu unabhängigen Nachrichten einschränke.
Organisationen wie die Internationale Journalistenföderation oder Reporter ohne Grenzen warnen seit Beginn des Gaza-Kriegs vor der Beschneidung der Pressefreiheit in Israel. Im globalen Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen liegt Israel derzeit auf Platz 101 von 180 – weit vor den meisten Staaten im Nahen Osten. Dennoch hätten Desinformationskampagnen und repressive Gesetze in dem Land stark zugenommen, schreibt die Organisation.