Freitag, Oktober 18

Das Lucerne Festival finanziert sich durch Sponsoring und durch den Kartenverkauf seit Jahren zu neunzig Prozent selbst. Kann Hochkultur also ohne Hilfe vom Staat auskommen? Warum setzt sich das Luzerner Modell nicht allgemein durch? Ein Gespräch mit dem Festival-Intendanten Michael Haefliger.

Herr Haefliger, mit rund 120 Veranstaltungen und jeweils um die 85 000 Besucher allein im Sommer ist das Lucerne Festival das grösste klassische Musikfestival der Schweiz. Sie betonen gern, dass Sie im Unterschied zur Festspiel-Konkurrenz in Bayreuth und Salzburg fast ohne Gelder von der öffentlichen Hand auskommen. Wie finanziert sich das Lucerne Festival?

Als ich das Festival 1999 übernommen habe, lag das Budget bei rund 10 Millionen Franken. Mittlerweile haben wir es etwa verdoppelt. Gelungen ist das durch den Aufbau einer stabilen Zusammenarbeit mit Sponsoren, mit Stiftungen und jetzt auch mit immer mehr mit Mäzenen und Freunden. Sie alle sorgen dafür, dass das Festival heute auf einer soliden finanziellen Basis steht. Der gesamte Sponsoring-Bereich hat 2023 gut 47 Prozent beigetragen. Aus dem Kartenverkauf haben wir gut 42 Prozent erwirtschaftet.

Sie erreichen mit diesem Modell also einen Eigenwirtschaftlichkeitsgrad von rund 90 Prozent – in vielen künstlerischen Grossbetrieben gilt schon eine Quote von deutlich über 30 Prozent als Erfolg. Was können Sie, das die anderen nicht können?

Unser Luzerner Modell ist sicher kein alltägliches Modell. Es ist über mehr als zwanzig Jahre gewachsen und hat sich stark entwickelt. Ich hatte das Glück, dass schon mein Vorgänger Matthias Bamert erste Schritte in dieser Richtung unternommen hat: Er hatte bereits vor der Eröffnung des Kultur- und Kongresszentrums KKL 1998 erkannt, dass sich dadurch nicht nur die Möglichkeiten, sondern auch die Erwartungen an das Festival erheblich vergrössern würden. Deshalb hat er erste Partnerschaften mit Sponsoren aufgebaut. Ich konnte das dann intensivieren und auch entsprechende Strukturen im Festivalbüro schaffen. Heute kümmern sich bei uns fünf Mitarbeitende um den Aufbau und die Pflege der Beziehungen zu den Sponsoren, Stiftungen, Mäzenen und den Festivalfreunden.

Kann man Kunst also grundsätzlich eigenwirtschaftlich betreiben?

Mit dieser Vorstellung bin ich gross geworden. Ich habe in Amerika studiert und gesehen, wie dort Kultur finanziert wird. Als ich 1986 das Davos Festival gegründet habe, war es für mich ganz natürlich, private Partner und Sponsoren zu suchen. So ist es dann in Luzern bis heute geblieben. Aber ich würde keine Ideologie daraus machen. Man darf nicht vergessen, dass Theater und vor allem Opernhäuser viel personalintensiver und kostspieliger sind als der vergleichsweise schlanke Betrieb eines Konzertfestivals. Ein Opernhaus mit einem Eigenwirtschaftlichkeitsgrad von 90 Prozent durch den Kartenverkauf und durch Sponsoren betreiben zu wollen, ist ein äusserst ambitioniertes Ziel: wegen der Fixkosten für die beteiligten Ensembles, für die nötigen Gewerke, das Bühnenpersonal, für Ausstattungen und so weiter.

Modelle mit privater Finanzierung haben auch ihre Tücken. In den USA, wo sie die Regel sind und im Kulturbereich im grossen Massstab praktiziert werden, kommt es häufiger zu Einflussnahmen von Sponsoren auf künstlerische Entscheidungen. In Europa gilt das nach wie vor als verpönt. Wie stehen Sie dazu?

Ich kenne den Einwand, aber er ist für unser Festival kein Thema. Einfach deshalb, weil mein Team und ich viel Zeit auf die Vermittlung unserer Ideen in Gesprächen mit unseren Geldgebern verwenden. Gerade der Intendant hat da eine wichtige Funktion als Berater und Moderator, das macht mittlerweile einen grossen Teil meiner Arbeitszeit aus. Und ich stelle immer wieder fest, dass man auch neuartige oder ausgefallene Ideen bloss richtig vermitteln muss. Beim «Diversity»-Sommer 2022 war das so. Dieses Motto wurde ja in der Öffentlichkeit zum Teil kontrovers diskutiert, auch in Ihrer Zeitung. Bei den Sponsoren gab es kaum Einwände, weil wir unseren Partnern offenbar vermitteln konnten, warum uns das Thema ein Anliegen ist und dass es dabei weder um den Zeitgeist ging noch um blosse Provokation.

Wären Sie freier in Ihren künstlerischen Entscheidungen, wenn das Festival mehr staatliche Subventionen erhalten würde?

Der Kanton und die Stadt Luzern unterstützen uns derzeit mit rund zwei Millionen Franken, das ist immerhin mehr als noch vor einem Jahr. Und es ist ein wichtiges Signal, dass die Stadt und der Kanton uns mittragen. Eine weitere Erhöhung würde jedoch nichts daran ändern, dass sich heute kein Veranstalter mehr erlauben kann, die Wünsche und Erwartungen des Publikums weitgehend zu ignorieren. Im Übrigen arbeiten auch die meisten subventionierten Häuser heute parallel mit Sponsoren zusammen. In jedem Fall muss das Programm überzeugen, andernfalls helfen auch Subventionen nicht.

Spielen Sie auf die schlechten Auslastungszahlen am Schauspielhaus Zürich an?

Nein, und dazu möchte ich mich nicht äussern. Ich kenne die genauen Hintergründe nicht. Wir sind froh, dass wir in Luzern regelmässig eine Auslastung von rund 85 Prozent oder mehr erreichen.

Ihre hohe Eigenwirtschaftlichkeit beruht auch auf dem Kartenverkauf. Kehrseite der Medaille sind allerdings Kartenpreise bis zu 320 Franken für einzelne Konzerte. Wie wirken Sie dem Eindruck entgegen, Hochkultur sei eine elitäre Angelegenheit?

Die Frage ist zentral. Denn natürlich liegt der Gedanke nahe, wenn man solche Preise sieht. Wir stehen damit in der Schweiz und international unter den Kulturinstitutionen übrigens nicht allein. Ich möchte aber betonen, dass es in Luzern nur bei einzelnen, besonders aufwendigen Orchesterkonzerten so weit hinaufgeht. Und auch dann tragen wir Sorge, dass es pro Konzert immer ein Kontingent von Karten in der günstigsten Preiskategorie gibt, die 30 oder 40 Franken kosten. Interessierte, die etwa die Berliner Philharmoniker oder das Lucerne Festival Orchestra hören wollen, sollen sich das leisten können. Das ist ein Credo unseres Festivals.

Aber genügt das, um nicht nur bereits «Interessierte», sondern auch neues Publikum zu gewinnen?

Wir bieten jede Saison ausserdem über vierzig Gratisveranstaltungen an, etwa die Konzerte der «40 Min.»-Reihe. Hier gibt es weder finanzielle Hürden noch irgendeinen Grund für Schwellenängste. Unsere Besucherstatistiken zeigen, dass viele Menschen, die das Festival auf diesem Weg kennenlernen, später auch Karten für die regulären Konzerte erwerben. Das Modell funktioniert.

Wie gewinnen Sie in Ihrem Modell die nötige finanzielle Sicherheit? Wegen der langen Planungsvorläufe im Musikbetrieb müssen doch heute schon Verträge über Veranstaltungen geschlossen werden, die erst in zwei oder drei Jahren stattfinden.

Die Partnerschaft mit einem Sponsor geht im Durchschnitt drei Jahre. Die Entwicklungen in der Wirtschaft sind viel dynamischer geworden, und wenn es einer Firma nicht gutgeht, steht schnell auch deren Sponsoring-Engagement infrage. Das Festival verfügt aber über finanzielle Ressourcen, so dass wir zur Not – rein theoretisch – die Aufwendungen für eine Spielzeit auffangen könnten. Dazu dürfte es jedoch niemals kommen. Denn glücklicherweise sind mit vielen Unterstützern längst tiefergehende Kooperationen entstanden.

Welchen «Mehrwert» bieten Sie Ihren Geldgebern? Das ebenfalls überwiegend privat finanzierte Rheingau Musik Festival gewinnt beispielsweise Firmen als Sponsoren für einzelne Konzerte, die im Gegenzug entsprechende Kartenkontingente erhalten.

Auch bei uns gehen vereinzelt Kartenkontingente an Sponsoren, aber wir würden nie so weit gehen, ganze Konzerte exklusiv an einen Sponsor zu verkaufen. Wir verstehen uns als Publikumsfestival, jeder soll Zugang zu allen Konzerten haben können. Wir schaffen für unsere Sponsoren sogenannte «Money can’t buy»-Momente, das sind zum Beispiel exklusive Einblicke hinter den Kulissen oder persönliche Begegnungen mit Künstlern. Und für viele ist der «Mehrwert» tatsächlich ideeller Natur.

Das klingt zu schön, um wahr zu sein.

Es ist doch so: Wer sich mit uns verbindet, tut das nicht nur wegen der Nennung seines Namens oder seiner Firma in unseren Publikationen oder wegen des Abdrucks eines Logos.

Sondern?

Man verbindet sich darüber hinaus mit dem Image und den Alleinstellungsmerkmalen dieses Festivals. Mit dem einzigartigen Reiz des Ortes, der architektonischen und akustischen Qualität von Jean Nouvels KKL. Mit der Exzellenz der beteiligten Künstler und Orchester. Und vielleicht auch mit der Vielfalt unseres Programms, das ja vom klassischen Sinfoniekonzert bis zur zeitgenössischen Musik reicht.

Wie erklären Sie sich generell die starke Verknüpfung von Kultur und Staat?

Es gibt viele mögliche Erklärungen, das hat zum einen sicher mit lange gepflegten Traditionen zu tun, aber grundsätzlich auch mit dem Bildungsauftrag, den der moderne Staat für sich reklamiert. Bei vielen historisch gewachsenen Kulturinstitutionen kommt der hohe Personalbedarf hinzu, der strukturell durch die Kunstform selbst bedingt ist. Wir sprachen bereits über die Opernhäuser: Sie können dort nicht beliebig das Orchester halbieren oder den Chor weglassen, ein paar Rollen im Ensemble streichen oder auf die Ausstattung verzichten. Die öffentliche Hand sichert in dem Fall über Subventionen den Rahmen ab, sie gewährleistet, dass diese Häuser arbeiten und ihren Kulturauftrag erfüllen können. Aber selbstverständlich darf man darüber nachdenken, wie man solche Institutionen noch effizienter führen kann, ohne Abstriche beim künstlerischen Niveau zu machen. Und auch darüber, welche Möglichkeiten es gibt, mit privaten Geldgebern zusammenzuarbeiten. Das geschieht heute ja schon mehr oder weniger überall.

Trotzdem sagen Sie, dass Ihr Modell nicht alltäglich sei. Warum setzt es sich nicht allgemein durch?

Es ist heute zumindest schon bei vielen Festivals weit verbreitet, und häufig haben diese Veranstalter einen höheren Eigenwirtschaftlichkeitsgrad. Das liegt unter anderem daran, dass Sie hier einen zeitlich klar umrissenen Rahmen haben und eine recht gut planbare Logistik bei den Veranstaltungen. Das ist mit einem vergleichsweise kleinen, aber hocheffizienten Team wie in Luzern zu leisten. Wenn Sie jedoch ein Theater oder Opernhaus im ganzjährigen Repertoirebetrieb bespielen wollen, sprechen wir beim Personal und bei der Logistik über ganz andere Dimensionen.

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