Dienstag, April 1

Am Montag wird Marine Le Pen erfahren, ob ihr eine Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl 2027 noch möglich sein wird. Vier Fragen zu dem mit Spannung erwarteten Gerichtsurteil.

Vier von zehn Franzosen gaben Marine Le Pen bei der letzten Präsidentschaftswahl 2022 im zweiten Wahlgang ihre Stimme. Derzeit würde die 56-Jährige laut einer Umfrage sogar schon im ersten Wahlgang 37 Prozent der Stimmen bekommen – 10 Prozentpunkte mehr als noch vor drei Jahren. Kein Zweifel, die Galionsfigur des rechtsnationalen Rassemblement national (RN) wäre eine der aussichtsreichsten Anwärterinnen auf den Élysée-Palast.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Dreimal hat Marine Le Pen vergeblich für das höchste Amt kandidiert, doch jedes Mal gewann sie mehr Stimmen als zuvor. Es könnte also beim vierten Anlauf klappen – wäre da nicht der seit Ende September laufende Prozess gegen Le Pen und 24 weitere Angeklagte wegen Veruntreuung von EU-Geldern. Die Staatsanwaltschaft fordert in dem Verfahren nicht nur fünf Jahre Haft und eine Geldstrafe von 300 000 Euro, sondern ein sofort wirksames fünfjähriges Verbot für Le Pen, öffentliche Ämter zu bekleiden. Von einer erneuten Präsidentschaftskandidatur wäre sie ausgeschlossen.

An diesem Montag wird ein Urteil des Pariser Strafgerichts erwartet – mit potenziell gravierenden Folgen für Frankreich und Europa.

Was genau wird Marine Le Pen vorgeworfen?

Vorweg: Nicht nur Le Pen, sondern auch ihre Partei als juristische Person sowie 24 aktive und ehemalige Funktionäre des Rassemblement national (das damals noch Front national hiess) müssen sich vor Gericht verantworten. Auch der im Januar verstorbene Parteigründer Jean-Marie Le Pen zählte zu den Angeklagten. Der zentrale Vorwurf lautet, dass die Partei Gelder des Europäischen Parlaments für parlamentarische Assistenten erhalten habe, die in Wahrheit parteiinterne Aufgaben in Paris erledigten. Zwischen den Jahren 2004 und 2016 habe der Front national auf diese Weise 4,6 Millionen Euro veruntreut.

Die Staatsanwaltschaft glaubt, dass die damals hoch verschuldete Partei ein «organisiertes und zentralisiertes System» der Zweckentfremdung von EU-Mitteln aufgebaut hat. So soll Marine Le Pen beispielsweise ihre ehemalige Stabschefin Catherine Griset und ihren früheren Leibwächter Thierry Légier als parlamentarische Assistenten angestellt haben, obwohl diese so gut wie nie im Europaparlament auftauchten. Um den Betrug zu vertuschen, sollen einige Angeklagte sogar Urkunden gefälscht haben. Weil Le Pen als Hauptdrahtzieherin gilt, fällt das geforderte Strafmass für sie besonders hoch aus. Ihren Mitangeklagten drohen überwiegend Bewährungsstrafen oder Geldbussen.

Wie wahrscheinlich ist eine Verurteilung?

Die Beweislage gilt als recht eindeutig: Die Ermittler stützen sich auf zahlreiche interne Parteidokumente, Zeugenaussagen und E-Mail-Korrespondenzen, die den Verdacht der Scheinbeschäftigung erhärten. Marine Le Pen selbst bestreitet alle Vorwürfe und spricht von einem politisch motivierten Verfahren. Ihre Verteidiger argumentierten, dass nicht genau definiert sei, welche Tätigkeiten Assistenten konkret ausüben dürfen, wenn sie sowohl in Brüssel als auch für ihre Partei tätig seien. Die Regularien der EU sind jedoch klar: Parlamentarische Assistenten sollen ausschliesslich für Tätigkeiten bezahlt werden, die im direkten Zusammenhang mit der Arbeit des EU-Parlaments stehen.

Die entscheidende Frage ist, wie streng die Richter urteilen: Zwar fordert die Staatsanwaltschaft neben einer Freiheits- und Geldstrafe auch eine fünfjährige Ämtersperre – doch das Gericht ist nicht an diesen Antrag gebunden. Es könnte die politische Unwählbarkeit («inéligibilité») auch auf ein Jahr begrenzen. Wichtig ist zudem, ob das Urteil die Ämtersperre für sofort vollstreckbar erklärt, wie es die Staatsanwaltschaft verlangt. Denn in der Regel hat eine Berufung in Frankreich aufschiebende Wirkung.

Wer stünde bereit, Le Pen zu ersetzen?

Mit dem erst 29-jährigen Parteichef Jordan Bardella steht ein möglicher Nachfolger als Präsidentschaftskandidat schon seit längerem bereit. Der politische Ziehsohn von Marine Le Pen übernahm 2021 den Vorsitz des RN und gab sich bisher zurückhaltend, wenn es um eigene Präsidentschaftsambitionen ging. Doch Ende 2024 veröffentlichte der Europaabgeordnete eine vielbeachtete Biografie, was in Frankreich viele als Vorbereitung auf eine mögliche Kandidatur deuteten. Auch in der französischen Bevölkerung kommt Bardella gut an: In einer Umfrage sprachen sich kürzlich 34 Prozent der Befragten für ihn aus. Allerdings verwehren sich Vertreter der Partei bis jetzt jeglicher Diskussion über einen möglichen Ersatz für Le Pen. Dass sie in der Partei nach wie vor alle Fäden in der Hand hält, ist ein offenes Geheimnis.

Hat der Prozess der Partei geschadet?

Nein. Meinungsumfragen legen nahe, dass der Prozess Marine Le Pen und ihrer Partei in der Öffentlichkeit bisher nicht geschadet hat. Im Gegenteil: Das RN profitiert weiter vom Vertrauensverlust gegenüber den traditionellen Volksparteien und von der Unzufriedenheit mit der Politik Emmanuel Macrons. Vor allem in den kleinstädtischen und ländlichen Gebieten Frankreichs stossen die Nationalisten auf breite Resonanz. Für die Wähler des RN sind Themen wie soziale Sicherheit und Migration ohnehin wichtiger als ethische und moralische Fragen in der Politik. Dass Le Pen den Prozess genutzt hat, um sich als Opfer eines politischen Komplotts zu inszenieren, scheint bei ihren Anhängern auch zu verfangen.

Exit mobile version