Europa will dem Vorbild der USA folgen und die Raketenindustrie wettbewerbsfähiger machen. Der Start einer kommerziellen Rakete aus Deutschland ist der erste Schritt in diese Richtung.

Am Donnerstag könnte ein Meilenstein für die europäische Raumfahrt erreicht werden. Eine Rakete des deutschen Unternehmens Isar Aerospace soll von einem Raketenstartplatz in Norwegen aus in den Weltraum fliegen.

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Dieses Ereignis ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Zum einen wäre es das erste Mal, dass eine von Westeuropa aus startende Rakete eine Erdumlaufbahn erreichte. Bis jetzt heben europäische Raketen vom Weltraumbahnhof in Französisch-Guayana ab. Viel wichtiger ist allerdings, dass es sich bei der Spectrum um eine kommerzielle Rakete handelt. Der Start ist deshalb der erste Schritt, die europäische Raketenindustrie wettbewerbsfähiger zu machen.

Ob der Start gelingt, ist ungewiss. Auch die erste Rakete von SpaceX erreichte erst beim vierten Versuch eine Erdumlaufbahn, was die Firma von Elon Musk fast in den Konkurs trieb. Dass Isar Aerospace so weit gekommen sei, sei aber ein riesiger Erfolg, sagt Walther Pelzer. Er leitet die deutsche Raumfahrtagentur im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).

Ein Startup gewinnt das Vertrauen von Investoren

Isar Aerospace gehört zu einer Reihe von Raketen-Startups, die in den letzten Jahren in Europa gegründet wurden. Das Unternehmen ging 2018 aus einer studentischen Initiative an der Technischen Universität München hervor. Anfangs hatte Isar Aerospace 40 Mitarbeiter. Heute sind es mehr als 400. Finanziell ist das Unternehmen gut aufgestellt. Es verfügt über ein Kapital von 400 Millionen Euro und ist damit das am besten finanzierte Raketen-Startup in Europa. Das meiste Geld stammt von privaten Investoren.

Die Serienproduktion der Spectrum-Rakete erfolgt weitgehend in Eigenregie. Fast 90 Prozent der Komponenten stellt das Unternehmen selbst her, darunter die Raketentriebwerke. Um die Kosten zu senken, setzt es auf innovative Verfahren wie den 3-D-Druck.

Die Spectrum-Rakete ist 28 Meter hoch und besteht aus zwei Stufen. Damit ist sie wesentlich kleiner als die Falcon 9 von SpaceX oder die europäische Trägerrakete Ariane 6. Mit ihren zehn Triebwerken kann sie Nutzlasten von bis zu einer Tonne in den erdnahen Weltraum bringen.

Mit dieser Transportkapazität zählt die Spectrum zu den sogenannten Microlaunchern. Diese Raketen sind dafür ausgelegt, kleine Kommunikations-, Erdbeobachtungs- oder auch experimentelle Satelliten in eine Erdumlaufbahn zu bringen. Solche Kleinsatelliten, die manchmal nicht grösser als eine Schuhschachtel sind, liegen derzeit im Trend. Sie lassen sich schneller und günstiger herstellen als konventionelle Satelliten. Laut Schätzungen werden rund 90 Prozent der Satelliten, die in den nächsten Jahren in den Weltraum gebracht werden, nicht schwerer als 500 Kilogramm sein.

Heute werden solche Kleinsatelliten oft mit grossen Raketen ins All befördert, die mit der primären Nutzlast nicht voll ausgelastet sind. Solche Rideshare-Flüge seien relativ günstig, sagt Pelzer. Aber der Hauptkunde entscheide, wann und wohin die Rakete fliege. «Microlauncher sind eher mit einem Taxi zu vergleichen, das die Kleinsatelliten in die gewünschte Umlaufbahn bringt.» Mit diesen Raketen könne man deshalb besser auf die Bedürfnisse der Satellitenbetreiber eingehen.

In den USA und in China gibt es bereits Firmen, die mit den Microlaunchern erfolgreiche Geschäfte machen. In Europa wurde das Marktpotenzial dieser Raketen lange unterschätzt. Die Entwicklung von Trägerraketen liegt hier fast vollständig in der Hand von Arianespace. Und dieses staatlich geförderte Grossunternehmen glaubte, mit den grossen Ariane- und den mittelgrossen Vega-Raketen das gesamte Spektrum von Nutzlasten abdecken zu können.

Europa erkennt das Potenzial von Microlaunchern

Doch vor einigen Jahren begann ein Umdenken. Den Anstoss dazu gab die deutsche Raumfahrtagentur. Im Jahr 2020 schrieb sie einen Wettbewerb für Microlauncher aus und stellte dafür 25 Millionen Euro zur Verfügung. Die Vorgabe lautete, mit einer selbst gebauten Rakete eine Nutzlast von 150 Kilogramm in den Weltraum zu befördern.

Isar Aerospace gewann 2021 die erste Runde dieses Wettbewerbs und wurde mit 11 Millionen Euro gefördert. Für ein Startup, das erst drei Jahre zuvor gegründet worden war, war das ein grosser Erfolg. Den gleichen Betrag bekam ein Jahr später die Firma Rocket Factory Augsburg zugesprochen, nachdem sie die zweite Runde des Wettbewerbs gewonnen hatte.

Die beiden deutschen Startups gehören zu einer Handvoll von europäischen Firmen, die auf gutem Weg sind, das Quasimonopol von Arianespace aufzuweichen. Dazu hat auch die Europäische Weltraumorganisation (ESA) beigetragen. Im Rahmen ihres Boost-Programms hat sie jüngst 44,2 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um die kritische Zeit bis zum ersten Flug zu überbrücken.

«Der Weltraum ist ein extrem schnell wachsender Markt», sagt Pelzer. Damit Europa von dieser Entwicklung profitieren könne, brauche es einen souveränen und kostengünstigen Zugang zum Weltraum. Der sei nur durch mehr Wettbewerb zu erreichen. Dass die Kommerzialisierung nun aktiv von der ESA und ihren Mitgliedsstaaten gefördert werde, bezeichnet Pelzer als einen Paradigmenwechsel. Das sei vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen.

Pelzer rechnet damit, dass es in diesem Jahr noch weitere Testflüge von europäischen Microlaunchern geben wird. Die Rocket Factory Augsburg ist gerade dabei, eine neue Unterstufe für ihre Rakete RFA One zu bauen. Die alte Unterstufe war vor einigen Monaten bei einem Test auf einem Raketenstartgelände in Schweden in Flammen aufgegangen. Auch die britische Firma Orbex und Hyimpulse aus Baden-Württemberg bereiten sich auf einen Start vor. Pelzer erwartet einen Dammbruch, wenn es die ersten erfolgreichen Flüge gibt. Für die Startups werde es dann erheblich einfacher, privates Kapital zu akquirieren.

Aber braucht es überhaupt so viele Microlauncher? Manche Analysten gehen davon aus, dass am Ende nur zwei bis drei europäische Raketenfirmen überleben können. Pelzer ist sich da nicht so sicher. «Es ist unmöglich vorherzusagen, wie sich die Nachfrage nach diesen Raketen entwickeln wird.» Der Erfolg hänge nicht zuletzt davon ab, wie innovativ und effizient die Firmen seien.

Microlauncher sind erst der Anfang

Wer es schafft, kleinere Nutzlasten zuverlässig in den Weltraum zu befördern, darf sich auch gute Chancen bei der European Launcher Challenge ausrechnen. Mit diesem Wettbewerb möchte die ESA in den nächsten Jahren die Entwicklung kostengünstiger Trägerraketen fördern. Das müssen nicht zwangsläufig Microlauncher sein. Es könnte auch eine grössere Rakete sein, die eines Tages das Erbe der Ariane 6 antritt. Den ausgewählten Firmen winken bis zu 169 Millionen Euro. Allerdings fehlt noch die Zustimmung des ESA-Ministerrats.

Ein Blick in die USA zeigt, dass der Bau grösserer Raketen keine unrealistische Erwartung ist. Auch SpaceX hat einmal klein angefangen. Die Falcon-1-Rakete, die 2006 zum ersten Mal erfolgreich startete, war 22 Meter gross und hatte eine Nutzlastkapazität von 180 Kilogramm. Zwanzig Jahre später baut SpaceX Raketen, die Menschen zum Mond und zum Mars bringen sollen.

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