Montag, November 17

Das deutsche Parlament kann sich nicht selbst auflösen. Um Neuwahlen herbeizuführen, braucht es einen Umweg. Deshalb stellt der Bundeskanzler die Vertrauensfrage. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

An diesem Montag stellt Bundeskanzler Olaf Scholz im Deutschen Bundestag die Vertrauensfrage. Wenn ihm das Vertrauen nicht ausgesprochen wird, so will er am Montagnachmittag dem Bundespräsidenten vorschlagen, den Bundestag aufzulösen. «Das ist mein Ziel», sagte Scholz am vergangenen Mittwoch, nachdem er den entsprechenden Antrag bei der Parlamentspräsidentin gestellt hatte. «Damit möchte ich den Weg freimachen für vorgezogene Bundestagswahlen.» In einer Demokratie seien es die Wähler, die den Kurs der künftigen Politik bestimmten, so Scholz.

Nach der Sitzungseröffnung um 13 Uhr wird Olaf Scholz zunächst eine rund 25-minütige Erklärung abgeben, an die sich eine rund zweistündige Aussprache anschliesst. Danach soll namentlich über den Antrag des Bundeskanzlers abgestimmt werden. Das bedeutet, dass das Abstimmungsverhalten jedes einzelnen Abgeordneten mit etwas Verzögerung veröffentlicht wird. Es kann sich also kein Parlamentarier anonym für oder gegen Scholz aussprechen.

Wenn die Mehrheit der Abgeordneten dem Kanzler erwartungsgemäss das Vertrauen verweigert, kann Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier «auf Vorschlag des Bundeskanzlers» innerhalb von 21 Tagen den Bundestag auflösen.

Auch wenn es zeitweilig Spekulationen gab, dass etwa die AfD dem Kanzler das Vertrauen aussprechen und damit Neuwahlen verhindern könnte, wird allgemein erwartet, dass Scholz’ Plan aufgeht, ihm das Vertrauen verweigert wird und die Neuwahl am 23. Februar 2025 stattfinden kann. Alle Parteien sind bereits im Wahlkampfmodus und haben ihre Kampagnen vorgestellt.

Die Grünen haben sicherheitshalber angekündigt, sich bei der Abstimmung zu enthalten. Als Teil der rot-grünen Minderheitsregierung müssten sie dem Kanzler eigentlich das Vertrauen aussprechen, doch das war ihnen zu riskant.

Würden die Grünen für Scholz stimmen, wären das zusammen mit der SPD schon 324 Stimmen. Dann könnte die AfD mit ihren 76 Abgeordneten Scholz rein rechnerisch zu einer Mehrheit verhelfen – 43 würden reichen. Das gilt mit der Entscheidung der Grünen als ausgeschlossen. Einige AfD-Abgeordnete haben angekündigt, Scholz das Vertrauen auszusprechen, um zu verhindern, dass Merz bald Bundeskanzler wird. Die AfD teilt die Haltung von Scholz, keine Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern und hält Merz als Kanzler für die schlechtere Wahl.

Der Bundestag kann sich nicht selbst auflösen. Um zu vorgezogenen Neuwahlen zu kommen, etwa weil eine Regierung gescheitert ist und nichts mehr zustande bringt, muss der Umweg über die sogenannte unechte Vertrauensfrage gegangen werden. Unecht deshalb, weil es das Ziel der Frage ist, Neuwahlen herbeizuführen – es wird also nicht angestrebt, tatsächlich das Vertrauen ausgesprochen zu bekommen. Alle Kanzler seit Willy Brandt haben sich dieses Instruments schon bedient, mit Ausnahme von Angela Merkel.

Die Grundlage bildet der Artikel 68 des Grundgesetzes. Da er für strategische Manöver eigentlich nicht vorgesehen ist, ist die unechte Vertrauensfrage umstritten. Gleichwohl ist sie in einer politisch instabilen Lage zulässig, wie das Bundesverfassungsgericht entschieden hat. Instabil ist die Lage derzeit, weil die Ampelregierung gescheitert und die FDP aus ihr ausgetreten ist, so dass die verbliebene rot-grüne Koalition keine Mehrheit mehr hat. Dem Bundeskanzler kommt es dabei zu, die Lage einzuschätzen. Olaf Scholz hat angekündigt, an diesem Montag die Vertrauensfrage zu stellen und dies auch ausführlich zu begründen. Sein Ziel seien Neuwahlen. Da Scholz in den Umfragen zurückliegt, besteht für ihn das Risiko, dass er aus der Neuwahl als Verlierer hervorgeht.

Insgesamt wurde die Vertrauensfrage schon fünfmal gestellt, zuletzt im Jahr 2005 von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Schröder hatte unter dem Titel «Agenda 2010» eine Reihe von Sozialreformen durchgesetzt und in der Folge mehrere Landtagswahlen verloren. Er entschloss sich im Mai 2005 zu einem riskanten Manöver: Er stellte die Vertrauensfrage, um sich bei Neuwahlen im Amt bestätigen zu lassen. Sein Plan ging nicht auf – Angela Merkel wurde Bundeskanzlerin. Zuvor hatte Schröder schon 2001 die Vertrauensfrage gestellt, um den Einsatz deutscher Truppen in Afghanistan demokratisch abzusichern.

Der erste Kanzler, der die Vertrauensfrage stellte, war Willy Brandt. Er stand wegen seiner Ostpolitik unter Druck, stellte 1972 die Vertrauensfrage und gewann mit einem Rekordergebnis die Neuwahl.

In dem Showdown zwischen Helmut Schmidt (SPD) und Helmut Kohl (CDU) stellte erst der eine, dann der andere die Vertrauensfrage. Schmidt war Kanzler einer sozialliberalen Koalition, auch damals gab es Streit um den Haushalt. Schmidt stellte 1982 die Vertrauensfrage, die er zunächst gewann. Die FDP trat wegen der Haushaltsstreitigkeiten aus der Koalition aus. Das Parlament wählte Helmut Kohl zum Kanzler. Um diese Wahl auch vom Volk bestätigen zu lassen, führte Kohl mit der Vertrauensfrage Neuwahlen herbei, die er 1983 gewann.

Scholz wird noch am Montag Bundespräsident Steinmeier vorschlagen, den Bundestag aufzulösen. Dazu hat Steinmeier längstens bis am 6. Januar Zeit. Die Neuwahl muss dann innert 60 Tagen stattfinden. SPD, Grüne und die Union als grösste Oppositionsfraktion haben sich auf den 23. Februar als Wahltermin verständigt. Der Bundespräsident hat bereits erkennen lassen, dass er diesen Termin für realistisch hält. Bis zum Zusammentritt des neuen Bundestages bleibt das alte Parlament arbeitsfähig – in Deutschland gibt es keine parlamentslose Zeit.

Scholz wirbt dafür, noch vor Weihnachten einige liegengebliebene Gesetze zu verabschieden, darunter Erhöhungen von Kindergeld und Kinderzuschlag, Entlastungen bei der sogenannten kalten Progression bei der Einkommensteuer, die finanzielle Absicherung des Deutschlandtickets und eine Stabilisierung der Stromnetzentgelte.

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