Sie sind rar geworden, aber es gibt noch ein paar Restauranttische direkt am Zürichsee. Als besonders erfreuliches Beispiel erweist sich das «Schiff» in Freienbach.
Wasser gilt als Verheissung, ob in der Sommerhitze oder in der Milde des Herbsts. Entsprechend begehrt sind Restauranttische am See – und verbreitet die Klagen über deren Mangel in Zürich. Die jahrzehntealte Idee für ein Esslokal auf dessen Bürkliterrasse droht zu versanden, während rund um den Zürichsee die Angebote schwinden.
Diesem Umstand trotzt eine gastronomische Institution am linken Ufer, das in Zürich als Pfnüselküste verleumdet wird. Im oberen Teil jedoch, der zum steuergünstigen Kanton Schwyz zählt, riecht es eher nach Gold. Dort wird in Pfäffikon, genauer in Freienbach, seit gut hundert Jahren direkt am See gewirtet, nämlich im zum gleichnamigen Hotel gehörenden Restaurant Schiff. Vom Bahnhof erreicht man es in ein paar Gehminuten, der malerische Weg führt vorbei an Feldern und am Schlossturm, der im Besitz des Klosters Einsiedeln ist.
Der von Holz geprägte Gastraum erinnert an eine grosse Kajüte, wobei Bereiche oder Tische mit mobilen Schall- und Schutzwänden abgetrennt werden können – eine Idee, die durchaus Schule machen sollte. Uns aber zieht es an diesem lauen Sommerabend hinaus in die stattliche Gartenwirtschaft. Wir ergattern unter Bäumen mit Lichtgirlanden eines der Tischchen in der vordersten Reihe, direkt am Hafen beim Bootshaus. Ein Taucherli ruft, ein Entenpaar ruht, und uns erfasst leise Melancholie: Wer weiss, wie viele laue Nächte dieses Jahr wohl noch für uns bereithält?
Erst recht gilt: Pflücke den Tag samt einem guten Teil der Nacht! Der junge Helfer, der uns bei der Umsetzung dieses Vorhabens unterstützt, erweist sich als vorbildlicher Vertreter seines Berufsstands: Er agiert freundlich, ohne unterwürfig zu wirken, hat ein Ohr für Sonderwünsche, kennt die Karte in- und auswendig und weiss über die Gerichte und Getränke bestens Bescheid. In seinem Akzent klingen osteuropäische Wurzeln an, wobei er die Frage nach diesen zurückhaltend beantwortet: «Ich spreche Russisch, Rumänisch und Spanisch.» Und prima deutsch, möchte man anfügen.
Das Vorurteil, dass an besonders guten Lagen selten besonders gut gewirtet wird, gilt hier als widerlegt. Dazu trägt nebst dem hochmotivierten Service- auch das Küchenteam unter der Leitung von Andres Ziegler bei. Es hält die Auswahl vernünftig klein und lässt Klassikern einen gelungenen Twist angedeihen. Beim Caesar Salad (Fr. 20.–) etwa vertritt gebeizter Saibling das Poulet, die herzhaften «falschen Schiff-Schneggen» (Fr. 19.–) entpuppen sich als gerollte Felchenfilets, die unter einer Café-de-Paris-Sauce die oft so servierten Weinbergschnecken imitieren.
Die Speisekarte trägt als Prolog ein «Sommergedicht» der Solothurner Kochlegende Anton Mosimann, es ist eher ein Aufsätzchen, dessen Zeilenfall ein Versmass vorgaukelt. Doch das bleibt das einzige Blendwerk hier. Den Kern des Fischangebots – ausschliesslich inländischer Herkunft – bilden Egli, Zander und Felchen, jeweils in drei Zubereitungsarten. Die Fischerfamilie Weber liefert ihre Fänge aus dem Zürichsee, wobei sie an diesem Tag Felchen herausgezogen hat und die anderen Arten aus einer Zucht stammen.
Also bestellen wir Felchen, in zwei Varianten. Hervorragend schmecken sie gebacken (Fr. 45.–); dass die mundgerechten Stücke nur in Mehl gewendet und nicht in Bierteig gehüllt sind wie bei den meisten Chnusperli, bringt ihr Aroma voll zur Geltung. Ausgezeichnet sind auch die auf der Haut gebratenen Filets «Urenkelart» (Fr. 47.–) an Salsa verde und mit einem Concassé aus Tomatenwürfeln. Im Preis inbegriffen ist nebst Salzkartoffeln oder Reis ein Salat, das sämige French Dressing hat eine feine Estragonnote.
Am Tisch sitzt ein grosser Fan von Züri-Gschnätzeltem, der mit jenem des Hauses samt Rösti glücklich wird (Fr. 44.–). Zum originellen, nicht zu süssen Limoncello-Tiramisù (Fr. 14.–) schliesslich wird ein Gläschen Eierlikör kredenzt – und am Ende noch ein Espresso offeriert. Mit Letztgenanntem entschuldigt sich der Kellner für die etwas lange Wartezeit vor dem Hauptgang. Diese Geste ist nur eines von diversen Beispielen für die Detailpflege: Ein Cherry-Tomätchen ziert den Fischteller, es ist nicht roh wie vielerorts, sondern im Ofen geschmort. Und auf den Tischen leuchten Öl- statt neumodische Akku-Lämpchen.
Als Supplement wird uns von der anderen Seeseite, wohl aus Stäfa, kurz vor 22 Uhr gratis ein opulentes Feuerwerk geboten. Es ist ein echtes, kein Tand mit Drohnen, und trägt unsere doppelte Bitte zum Himmel: Lass den Sommer noch etwas bleiben – und erhalte uns solche Orte!
Restaurant Schiff
Unterdorfstrasse 21
8808 Pfäffikon / Freienbach
Telefon 055 416 17 18
Für diese Kolumne wird unangemeldet und anonym getestet und am Ende die Rechnung stets beglichen. Der Fokus liegt auf Lokalen in Zürich und der Region, mit gelegentlichen Abstechern in andere Landesteile.
Die Sammlung aller NZZ-Restaurantkritiken der letzten fünf Jahre finden Sie hier.