Design-Neuheiten
In drei Tagen zeigen am wichtigsten Designanlass Skandinaviens Hunderte von Ausstellern ihre Neuheiten. Alles zu sehen, ist unmöglich, doch diese vier Themen stachen besonders heraus.
Ein kleines Salone-Milano-Feeling machte sich im Vorfeld der «3 Days of Design» bemerkbar. Denn gefühlt jeder Brand gab per Mail seine Teilnahme am Festival bekannt. Dabei begann das Ganze ganz klein im Jahr 2013. Vier dänische Brands gründeten damals im nördlichen Hafenviertel Kopenhagens einen Designanlass. Mittlerweile sind die «3 Days of Design» das wichtigste Designfestival Skandinaviens – und stehen auch dem bekannten italienischen Mega-Anlass in nichts nach.
In drei Tagen kann man unmöglich alles sehen, denn seit letztem Jahr hat sich die Anzahl Aussteller und Events sogar verdoppelt. Beim Rundgang durch die Stadt per Boot, Velo oder zu Fuss lässt sich auch die wachsende zeitgenössische Architekturlandschaft entdecken. Vier Themen stachen auf unseren geführten Touren besonders heraus.
1. Dänisches Designerbe
Es ist heute kaum vorstellbar, wie die Welt vor 150 Jahren aussah. Eine solche Zeitreise macht skandinavisches Design möglich. Darin kommen Vergangenheit und Gegenwart auf magische Weise zusammen. Gutes Design ist auch in Dänemark Teil der Alltagskultur. Während Design schnell den Nebengeschmack von Luxus für die Happy Few besitzt, scheint Gestaltung in Dänemark ein durch und durch demokratisches Kulturgut zu sein. Menschen würden im Vergleich zu anderen Nationen mehr Geld in Einrichtung investieren als anderswo in Europa, ist verschiedentlich von lokalen Designschaffenden zu hören.
Das könnte nicht zuletzt damit zusammenhängen, dass das dänische Designerbe für die heutige Generation von Gestaltenden nicht als Last oder Kreativitätskiller empfunden wird. Dass das erfolgreichste Kulturprogramm im Fernsehen «Danmarks næste klassiker» (Dänemarks nächste Klassiker) heisst, spricht Bände. Die Sendung – im Juni wurde die letzte Folge der fünften Staffel ausgestrahlt – ist eine Art Reality-Show und lässt das Publikum an der Entwicklung eines Möbelstücks teilhaben. Die Entwürfe überzeugen, wie eine Ausstellung an den «3 Days of Design» zeigte.
Neben etablierten Brands gibt es zudem eine Vielzahl von jüngeren Marken, die einen frischen Blick auf die skandinavische Designtradition werfen. Doch auch Hersteller, die auf eine über 100-jährige Geschichte zurückschauen können, geben sich zukunftsorientiert und jung geblieben. Es ist erstaunlich, wie modern viele dieser Entwürfe bis jetzt wirken. Dazu gehört die legendäre Artischocken-Lampe von Poul Henningsen von 1958. Sie wurde während der «3 Days of Design» von zwei jungen Künstlern in der Installation «A Heart of Light» in Szene gesetzt. Dass die Firma Louis Poulsen allerdings schon vor 150 Jahren, nämlich genau 1874 gegründet wurde, käme einem beim Blick auf diese Entwürfe nicht in den Sinn.
Ebenso geht es einem in den Showrooms von Fritz Hansen, Eilersen, Georg Jensen oder Le Klint, alles Firmen, die im späten 19. Jahrhundert oder Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden – und es geschafft haben, ihr Erbe stetig zu erneuern. Manchmal kann ein Gang in die Archive etwas bewegen, denn dort liegen viele Schätze brach. Die grossen Meister des skandinavischen Designs sind zwar omnipräsent, doch die Jungen wollen nicht einfach in ihrem Schatten stehen. Sie nehmen darauf Bezug, ohne sich den ikonischen Entwürfen anzubiedern.
Auffallend ist, wie wenig von «Trends» gesprochen wird in Kopenhagen. Und wenn, dann im negativen Sinne. Trends sind kurzlebig, und genau das ist dänisches Design eben nicht! Dieser Gedanke führt direkt zum nächsten Thema, und zwar zur Nachhaltigkeit. Es gibt kaum etwas Nachhaltigeres als ein Möbelstück, das lange hält.
2. Nachhaltige Praxis
Mit dem ominösen Wort Nachhaltigkeit wird viel Greenwashing betrieben. Das schadet nicht nur einer grünen Revolution, die dringend nötig ist, sondern hinterlässt auch bei Konsumentinnen und Konsumenten Ratlosigkeit. Wem sollen sie nun trauen, wenn so viel Etikettenschwindel betrieben wird? Deswegen ist es wichtig, dass Themen wie Ökologie oder zirkuläres Design einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden. Erst wenn sie in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind, können Veränderungen auf mehreren Ebenen stattfinden – und effektiv sein.
Design ist Teil einer Industrie, doch diese muss nicht zwingend mit Konsum und Wegwerfmentalität assoziiert werden. Dass Gestaltung Teil der Lösung sein kann, möchte auch die Mit-Gründerin und Direktorin von «3 Days of Design», Signe Byrdal Terenziani, mit spezifisch kuratierten Formaten zeigen.
Prozesse neu zu denken, kann ein Anfang sein, wie der Titel des Projekts «ReThink» von Kvadrat andeutet. Für die sechste Ausgabe von «ReThink» haben Jeffrey Bernett, Anniina Koivu, Johanna Agerman Ross, Jane Withers and Njusja de Gier zwölf Kreative eingeladen. Diese führen mit ihren Entwürfen vor, wie vielfältig das Thema Nachhaltigkeit im Design sein kann. Die Bandbreite reicht vom Nachdenken über das Material über mehr Transparenz in der Kommunikation bis hin zu gemeinschaftsbildenden Praktiken. Die meisten Designerinnen gaben vor Ort Auskunft über ihre Projekte.
Die Basis von Designobjekten sind stets Materialien. Das mag zwar ein Gemeinplatz sein. Doch will man Zirkularität konsequent denken, muss man genau dort ansetzen. Wie viele Rohstoffe heute einfach entsorgt werden, ist erschreckend. Übrigens ist das bei Nahrungsmitteln nicht viel anderes. Das muss sich ändern.
Die isländische Firma Fólk hat sich das Thema «nachhaltige Nutzung von Ressourcen» auf die Fahne geschrieben. Die Ausstellung «Circular Landscapes» zeigte, wie schön Produkte sein können, die vollständig aus Abfall hergestellt werden. Die Designschaffenden griffen für ihre Entwürfe nicht auf neue Ressourcen zurück, sondern arbeiteten mit Materialien, die sonst entsorgt würden.
Dass viele Firmen in Dänemark auch Reparaturservices anbieten, ist übrigens eine simple, aber effiziente Art, Nachhaltigkeit zu praktizieren. Es geht um altbekannte Techniken, die man einfach nur neu beleben muss. Die Selbstverständlichkeit, mit der in Kopenhagen über diese Themen nicht nur gesprochen, sondern auch danach gehandelt wird, stimmt zuversichtlich. Ein Garant für ökologisches Denken und Handeln ist skandinavisches Design natürlich nicht. Aber die Ansätze für eine Transformation sind vorhanden und sichtbar.
3. Design verbindet
Trotz allen lokalen Eigenheiten von kulturellen Artefakten: Manchmal scheint es, als wären Designkulturen, die auf unterschiedlichen Kontinenten zu Hause sind, irgendwie miteinander verwandt. Das ist bei Japan und Dänemark der Fall. Die gradlinigen Formen, der Fokus auf Materialität – vielfach Holz – sowie der Anspruch auf höchste Qualität in der Verarbeitung sind gemeinsame Werte, die viele Hersteller aus den weit entfernten Ländern teilen. Man könnte das historisch analysieren; einen kreativen Austausch zwischen diesen Kulturen gab es nämlich schon früh.
Noch wichtiger ist, dass dieser bis heute geschieht. Das bestätigte sich auch an den «3 Days of Design». Der japanische Brand Karimoku ist der älteste Produzent von Holzmöbeln in Japan. 2019 entstand ein vierter Zweig von Karimoku: Karimoku Case. Das Unternehmen gründet auf einer Zusammenarbeit zwischen dem japanischen Designer Keiji Ashizawa und dem dänischen Architekturbüro Norm. Dabei bilden konkrete Interior-Projekte den Ausgangspunkt für neue Entwürfe. Für die Ausstellung «Enter the Salon» wurde diese transnationale Kollaboration noch ausgeweitet.
Mit dabei waren die portugiesische Firma Origin Made oder das amerikanische Studio Ladies & Gentlemen. In Anknüpfung an die Salons des 19. Jahrhunderts betraten Besucher ein Interieur, das mit verschiedenen Events zum gemeinschaftlichen Austausch animierte.
Das vom dänischen Magazin «Ark Journal» ins Leben gerufene Format «Design/Dialogue» trägt den Dialog schon im Namen. Die sorgfältig kuratierte Ausstellung versammelte zwanzig internationale Brands aus verschiedenen Ländern: Italien, Schweden, Japan, England, Belgien, Dänemark oder den USA. Besonders aufgefallen ist das finnische Label Vaarnii, das übrigens auch Entwürfe von zwei Schweizer Gestaltenden im Portfolio hat.
Überhaupt war Schweizer Designschaffen gut vertreten in Kopenhagen. Zum Beispiel war ein neuer Leuchtenentwurf von Panter & Tourron beim jungen dänischen Brand New Works zu sehen. Ebenso begegnete man Schweizer Designerinnen bei Ukurant, einer von jungen dänischen Designschaffenden gegründeten Plattform, die zum vierten Mal während der «3 Days of Design» aufstrebenden Talenten eine Bühne bot. Hier lag der Fokus mehr auf einem experimentellen Ausloten von Materialien und Herstellungstechniken.
3. Flower Power
Blumensträusse sind nicht gleich Blumensträusse. Diejenigen, die man überall auf den Tischen und in den Ausstellungsräumen während der «3 Days of Design» sah, glichen jedenfalls mehr Kunstwerken. Die Kunst des perfekten Blumenbouquets wird in Dänemark offensichtlich zelebriert. Diese kuratierte Pflanzenpracht bereitete unglaublich Freude. Eigentlich müsste man das Binden von Sträussen oder Blumengestecken als eigene Designdisziplin bezeichnen.
Dafür spricht Tableau Copenhagen: Der frühere Blumendesigner («floral designer» heisst es wörtlich auf der Website) Julius Værnes Iversen machte aus dieser Verwandtschaft ein Geschäftsmodell und gründete 2018 ein multidisziplinäres Studio, das die Grenzen zwischen Design, Architektur und Kunst aufweichen möchte. Die Blumenkunst könnte dazu beitragen, die künstliche Grenze zwischen Natur und Kultur zu hinterfragen. Vielleicht hatten die Hippies doch nicht so unrecht mit ihrem Motto «Flower-Power». Die Sprache der Pflanzen sollte wieder mehr Gehör bekommen. Die Dänen machen es vor.