Montag, September 30

An der Mailänder Modewoche brillierten gestandene Luxusmarken wie Prada und Bottega Veneta mit anspruchsvollen Kreationen. Bally und Marni überzeugten mit Charme und diskretem Humor.

An der soeben zu Ende gegangenen Mailänder Modewoche haben die berühmtesten Marken der Welt gezeigt, dass es bei den aufwendig produzierten Defilees mittlerweile vor allem um die heute so wichtige Social-Media-Währung Aufmerksamkeit geht. Schliesslich will man als Brand seine Anziehungskraft möglichst lange bewahren – oder in der heutigen Tiktok-Sprache ausgedrückt: «Aura-Punkte» für einen möglichst hohen Coolheitsfaktor sammeln.

Dass der Brite Ian Griffith seit zwölf Jahren als Kreativchef Saison für Saison den Mantelspezialisten Max Mara weiterhin als modisch ernstzunehmenden Player etabliert, ist ihm hoch anzurechnen. Die Quiet-Luxury-Welle kam ihm 2023 zugute, stehen doch seine Entwürfe für unaufdringliche, edle und zeitlose Designs. Für die Sommersaison 2025 bleibt er sich treu und präsentiert Variationen von ergreifend schlichten Mantelkleidern. Hochgeschlitzt und bis zu den Knöcheln reichend, langärmelig und wahlweise mit tiefem Ausschnitt, strahlen sie eine moderne Sinnlichkeit aus.

Maximilian Davis ist seit 2022 Kreativchef von Ferragamo und mixt seine britisch-karibischen Wurzeln gerne mit der Historie der Florentiner Maison des einstigen «Schuhmachers der Stars» Salvatore Ferragamo. Die neue Kollektion taucht in die Ballettwelt ein, nicht nur in der Überhöhung des klassischen Ballerinaschuhs als spitz zulaufende High Heels mit Seidenbändern, sondern auch mit Bodys und körperbetontem Kaschmir-Baumwoll-Strick unter wallenden Parkas und Ballonmänteln.

Präzise, verspielte Romantik: Ferragamo für Frühjahr/Sommer 2025.

Mit seiner dritten Kollektion beweist der vom Bally-CEO Nicolas Girotto erwählte Kreativdirektor Simone Bellotti, dass er der perfekte Match für die 1851 gegründete Luxusmarke mit Wurzeln als Schweizer Schuhfirma ist. Der 47-jährige Italiener ist von der Antwerpener Modeästhetik und einer Zeit, in der Helmut Lang und Jil Sander die Mode dominierten, geprägt. Später verdiente er sich die Sporen bei Gianfranco Ferré, Dolce & Gabbana und Gucci unter Alessandro Michele ab. Die Klarheit zurückhaltender Schnitte drückt sich in Bellottis neuer Bally-Garderobe aus.

Kuhglocken-Silhouetten, zugeknöpfte Schweizer Diskretion mit einem Schuss Halbstarken-Lederkluft bei Bally für Frühjahr/Sommer 2025.

Die reduzierten, fast minimalistischen Schnitte zitieren sanft die derbe Lederkluft der Halbstarken und Bikergangs der 1960er, 1970er und 1980er Jahre, die einst der Fotograf Karlheinz Weinberger festhielt. Augenzwinkernd vermengt Bellotti Schweizer Klischees wie Blumenwiesen zu klassisch drapierten Kleidern, dazu diskret Zugeknöpftes in Form adretter Kostüme sowie eine Portion Alpenromantik in Gestalt kuhglockenförmiger Röcke. Für Würze sorgen die Accessoires, Schuhe und Taschen im Archivlook, aber verziert mit Nieten und Spikes. Zu hoffen ist, dass Bellotti seine Vision für das schweizerische Modeunternehmen auch weiterhin entfalten kann – im August hat die JAB Holding die Bally International AG an eine Tochterfirma des Investmentunternehmens Regent, zu der bereits Marken wie Escada und Club Monaco gehören, verkauft.

Bei Gucci serviert der Kreativchef Sabato de Sarno eine Weiterführung seiner Vision für die Florentiner Luxusmarke: Er entschlackt Tom Fords Erotik der 2000er Jahre, um Alessandro Micheles prägenden Stempel, den dieser vor einer Weile der Marke Gucci erfolgreich aufgedrückt hatte, möglichst auszutreiben. Das Resultat sind lässige Casual Looks in Minikostümchen, die den Stil der einstigen prominenten Gucci-Kundin Jackie Kennedy neu interpretieren.

Bodenlange Mäntel zu Baggy-Jeans und Mini-Ensembles im Jackie-O-Look bei Gucci für Frühjahr/Sommer 2025.

Prada-Kollektionen haben seit je den Anspruch, Horizonte zu erweitern – in erster Linie die visuellen. Basierend auf einem Kernthema der 75-jährigen Miuccia Prada, «Minimal Baroque», geht die Marke seit vier Jahren mit dem Co-Kreativdirektor Raf Simons auch öfters neue Stilwege. Dass dieses Rezept aufgeht, bewiesen jüngst steigende Umsatzzahlen trotz widrigen Rahmenbedingungen. Für Frühjahr/Sommer 2025 geht es mit dem pradaesken Ugly Chic wie gewohnt weiter: Fast schon spröde wirken unspektakuläre Jacke-Hosen-Kombis, die bei näherem Betrachten raffinierte Details aufweisen. Ein Pelzkragen ist als Trompe-l’Œil kunstvoll auf einer Fischgratwolljacke aufgemalt, ein Ledergürtel als dekorative Applikation unter dem Hosenbund auf Hüfthöhe angebracht.

Ein weiteres Mal erweisen sich aber die Accessoires als heisseste Ware im Prada-Vokabular: bizarre Sonnenbrillen und Hüte in Form minimalistischer Kopfschilde. Getragen zu archaischen Kleidern mit derben Metallverzierungen und kreisrunden «Fenster»-Dekorationen, zitieren sie die einst wegweisenden Kreationen der 1960er Jahre von André Courrèges und Paco Rabanne.

Gewöhnungsbedürftig? Jedenfalls typisch Prada. Kollektion Frühjahr/Sommer 2025.

Weniger radikal, aber nicht minder anregend war Marco De Vincenzos dritte Damenkollektion für Etro. Übergrosse Agavenpflanzen rahmten den Laufsteg als Ode an mediterrane Gefilde. Untermalt von der Musik der sardischen Künstlerin Daniela Pes, defilierten Looks in kräftigen Farben, psychedelischen Jacquards und schnörkeligen Fackelmotiven, die an handbemalte Fliesen und Tapeten erinnern – die Schnitte fliessend, teilweise mit verdrehten Cut-out-Partien und sinnlich flatternden Volants.

Schnörkelmotive und kräftige Farben bei Etro.

Die stärksten Modekollektionen der diesjährigen Mailänder Modewochen gingen vom unvoreingenommenen Blick von Kindern aus. Bei Marni traf unter Francesco Risso eine heitere Ansammlung theatralischer Kostüme in typisch plakativen Marni-Blumenmustern auf Rissos Hang zur rebellischen Punk-Attitüde.

Bei Bottega Veneta verzückten lederne Sitzsäcke in Form herziger Tierfiguren das Publikum. «Als Kind erlebt man das Abenteuer des Alltags – man hat das Gefühl, dass alles passieren kann, egal, wie phantastisch es ist, und man ist nicht so sehr an normale Erwartungen und Konventionen gebunden», schrieb Matthieu Blazy. Nach den handwerklich hochkomplexen Entwürfen der vergangenen Saisons – Flanellhemden und Bluejeans aus Leder – paart er nun das Raffinement von Bottega Veneta mit der freudigen, furchtlosen Energie der Jugend: Office-Chic in Übergrösse eröffnete die Kollektion – surreal und doch elegant. Wunderbar etwa die Kombination aus Rock und einem Hosenbein, getragen zur Supermarkt-Plastiktüte – natürlich aus Leder mit Trompe-l’Œil-Effekt. Es folgte eine freudig-wilde Zelebration von Farben, Volumen und Texturen.

Bizarre Oversize-Office-Looks und Lederperücken bei Bottega Veneta.

Jugendliche Heiterkeit auch bei Moschino. Der Argentinier Adrian Appiolaza zeigte in seiner zweiten Kollektion als Kreativchef witzige Variationen zwischen Punk und Bourgeoisie, Cowboys und Bikern, ohne dabei typische Moschino-Klassiker wie Polka Dots, Smileys, Logogürtel und Handtaschen als Spassobjekte, etwa in Form eines Teekessels, zu vergessen.

Modelooks von Moschino aus der Frühjahr/Sommer-Kollektion 2025.

Als ziemlich kompromisslos – auf eine eher eskapistische Weise – erwies sich die Kollektion von Dolce & Gabbana. Dass das Duo der 1985 gegründeten Marke sich keinen Deut darum schert, was andere denken, ist längst bekannt, wie etwa auch das jüngst lancierte Hunde-«Parfum» zeigte. Für die neue Modeschau stand die Pop-Ikone Madonna im Mittelpunkt – nicht nur im Publikum, als mysteriöse, in schwarzer Spitze verschleierte Königin, sondern auch auf dem Laufsteg: Die ganze Kollektion war eine Ode an ihre typischen «Blond Ambition Tour»-Bühnenlooks von 1990, notabene an Jean Paul Gaultiers kegelförmige BH und Bustiers. Die Parade von Madonna-Doppelgängerinnen in eleganten Hosenanzügen mit Satinmiedern und anderen Unterwäschestücken war typisch Dolce & Gabbana – glamourös und sinnlich. Sie hinterliess aber auch fragende Blicke, da Gaultier in keiner Weise als Inspiration geehrt wurde.

Madonna-1990er-Nostalgie bei Dolce & Gabbana (links), Sexy Grunge-Looks bei Versace (rechts).

Da hatte es Donatella Versace einfacher mit ihrer Reverenz an die 1990er Jahre: Ausgangspunkt ihrer jüngsten Versace-Kollektion war eine Kollektion des Bruders und Markengründers Gianni Versace aus dem Jahre 1997. Diese spielte mit bunten Fischgratmustern und wild gemusterten Seidenröcken in der Optik der 1970er. Donatellas Interpretation für Frühling/Sommer 2025 gibt diesem lebhaften Muster- und Farbmix mit sexy geschnittenen, fliessend fallenden Kleidchen, Röckchen und Shorts ein Update. Gern gepaart mit roten Strumpfhosen, strahlten diese einen für Versace eher ungewohnten Optimismus aus.

Grunge regierte auch bei Fendi. Hier ehrte der Kreativchef der Damenkollektionen, Kim Jones, zwar das anstehende 100-jährige Bestehen der Maison: 1925 wurde diese als Pelz- und Lederspezialistin in Rom gegründet, dem Jahr der grossen Pariser Weltausstellung für Kunst und Kunstgewerbe, Namensgeber des Art-déco-Stils. «Die Grundlagen dafür, wie sich Frauen heute kleiden, und in vielerlei Hinsicht auch dafür, wie wir denken, liegen in den 1920er Jahren», schrieb Kim Jones in den Shownotizen. Modernität in Stil und in der Haltung drückte er mit strukturierten Jackets und einer Reihe weich fallender, femininer Kleider in reich bestickter Seide und Organza aus, dazu kombinierte er softe Mäntel aus Shearling und Wildleder. Zu derben Schnürboots der Marke Red Wing wurden zarte, ebenfalls bestickte Nylonstrümpfe getragen – eine moderne Luxusversion des unerschrockenen Grunge-Looks der 1990er.

Und auch bei Roberto Cavalli standen die Looks ganz im Zeichen der 1990er Jahre. Zum Finale der ersten Show seit dem Tod des im April verstorbenen Markengründers Roberto Cavalli schritten die Supermodels der 1990er Jahre in glamourösen Cavalli-Roben über den Laufsteg: Karen Elson, Natasha Poly, Isabeli Fontana, Joan Smalls, Eva Herzigova und Alek Wek. Cavallis Witwe und Geschäftspartnerin Eva, die das Spektakel neben einem weiteren Supermodel dieser Ära, Naomi Campbell, von der Front-Row aus verfolgt hatte, schloss sich für ein tränenreiches Schlussbild der emotionalen Ehrung an.

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