Immer weniger Menschen bekommen Kinder. Nun kocht die Angst vor einer neuen «Kinderarmut» hoch. Finanzielle Köder sind weder sinnvoll, noch reichen sie aus, um eine Trendumkehr auszulösen. Wichtiger wäre Zuversicht.

Kinder zu bekommen, war früher eine Selbstverständlichkeit. Heute ist dem nicht mehr so. In weiten Teilen der Welt werden weniger Kinder geboren. Bemerkenswert ist, dass auch die Länder mit grosszügiger Familienpolitik betroffen sind. Das Paradebeispiel ist Finnland. Dort ist die Anzahl der Kinder pro Frau auf 1,26 gefallen – trotz garantierten Betreuungsplätzen und staatlich entschädigter Erziehungszeit bis zum dritten Geburtstag des Kindes.

Auch in Ungarn, wo der Kinderreichtum mit Wohnungsbauprämien und Zuschüssen für siebensitzige Autos angekurbelt werden soll, gelingt es nicht. Die Fertilitätsrate liegt nur noch bei 1,61. In Deutschland bekommen Frauen trotz billigen Krippenplätzen und staatlich bezahlter Elternzeit im Schnitt nur noch 1,46 Kinder. In der Schweiz, wo die Subventionen deutlich weniger grosszügig ausfallen, sind es 1,39 Kinder pro Frau.

Viel Geld – wenig Wirkung

Das zeigt: Um den Kinderwunsch der jungen Erwachsenen zu erhöhen, greift traditionelle Familienpolitik zu kurz. Kinder lassen sich nicht beliebig kaufen. In einer Studie, die unlängst im Wissenschaftsmagazin «The Lancet» veröffentlicht wurde, kamen die Forscher zum Schluss, dass der Effekt von verlängertem Elternurlaub, Kindergeld und bezahlbarer Betreuung sehr begrenzt sei. Die globale Fertilitätsrate könnte damit bis 2100 um etwa 0,1 Kinder pro Frau angehoben werden.

Spätestens die Verbreitung der Anti-Baby-Pille hat ab den 1960er Jahren dazu geführt, dass Kinder keine biologische Unvermeidlichkeit mehr sind. Weniger oder keine Kinder zu bekommen, ist insofern auch Folge einer grösseren individuellen Freiheit. Die Schattenseite ist allerdings, dass mit der Freiheit nicht nur die gewollte, sondern auch die ungewollte Kinderlosigkeit zugenommen hat.

Der Verzicht wiegt schwerer als früher

Zweifellos: Kinder sind teuer. In der Schweiz werden häufig zuerst die teuren Krippenplätze genannt, doch diese sind nur die Spitze des Eisberges. Hinzu kommen die zusätzlichen Krankenkassenprämien, die Hobbys der Kinder, der grössere Bedarf an Wohnraum kombiniert mit dem Einkommensverlust aus einer reduzierten Erwerbstätigkeit.

Doch die Ursachen für den Geburtenrückgang sind längst nicht nur ökonomisch, sie entspringen auch einem tiefer reichenden Wertewandel. Davon, dass Kinder zu einem erfüllten Leben gehören, sind heute weniger Menschen überzeugt. Wer Kinder bekommt, weiss, dass er eine langjährige Verpflichtung eingeht. In einer Welt voller Wahlmöglichkeiten fällt ein solcher Entscheid schwerer als in einer Gesellschaft mit verbindlichen Normen und festgezurrten Rollen.

Weil wir mehr Möglichkeiten haben, wiegt der Verzicht auf Alternativen schwerer. Als man Frauen weder eine Karriere noch finanzielle Unabhängigkeit zubilligte, mussten diese auch nicht darauf verzichten. Das gleiche Muster zieht sich durch weitere Lebensbereiche: Während es keinen Unterschied macht, wie viele Kinder man zum sonntäglichen Kirchgang mitnahm, ist der Besuch im Kletterpark mit drei Kindern definitiv teurer als mit einem. Das Gleiche gilt für die Familienferien, die früher nicht im gleichen Mass zum Standard gehörten, sowie die mittlerweile fast schon obligatorische Zahnspange für den Nachwuchs. Kinder sind auch deshalb teuer, weil wir für sie und mit ihnen alles wollen.

Mehr Balance zwischen den vier Säulen des Lebens

Mit der grösseren Wahlfreiheit muss heute genauer überlegt werden, wie viel Zeit und Energie man für die unterschiedlichen Lebensbereiche aufwenden will. Gut dargelegt wird das in der populären «Four Burners Theory». Sie geht von vier elementaren Bereichen in unserem Leben aus: Arbeit, Familie, Gesundheit und Freunde. Die zentrale Annahme ist, dass unsere Zeit und unsere Energie nicht ausreichen, um alle vier Flammen auf maximale Stärke aufzudrehen.

Mit guter Organisation lassen sich Familie und Beruf noch mehr oder weniger gut unter einen Hut bringen. Versucht man aber neben zwei steilen Karrieren und mehreren Kindern auch noch der Gesundheit gut Sorge zu tragen und einen Freundeskreis und Hobbys zu pflegen, wird es schnell zu viel.

Auch ohne Kenntnis der Theorie ist dies jungen Erwachsenen intuitiv bewusst: Viele wollen das Fuder nicht überladen und entscheiden, dass es für sie besser ist, eine kleine Familie halbwegs in der Balance zu halten, als mit mehr Kindern finanziell und emotional am Anschlag zu sein.

Neue Kräfteverhältnisse am Arbeitsmarkt

Eine Fertilitätsrate von weniger als 2,1 führt mittelfristig zu einer schrumpfenden Bevölkerung. Das ist nicht nur schlecht. Mit einer sinkenden Nachfrage könnten Häuser und Wohnungen für den Mittelstand wieder erschwinglicher werden.

Weniger Nachwuchs führt auch dazu, dass Arbeitskräfte nicht mehr im Übermass vorhanden sind. Unternehmen müssen die Bedingungen gerade in schlecht bezahlten Branchen wie der Gastronomie und Hotellerie attraktiver gestalten und auch Bevölkerungsgruppen Chancen bieten, die sonst gerne übersehen wurden, sprich Älteren und Müttern.

Dennoch lässt sich ein Problem nicht leugnen: Der sogenannte Generationenvertrag sieht vor, dass die Erwerbstätigen nicht nur ihre Kinder, sondern auch die ältere Generation versorgen. Das gilt in der Altersvorsorge, aber auch im Gesundheitswesen, wo die Jüngeren in der Grundversicherung die Älteren subventionieren.

Verschärfend kommt hinzu, dass nicht nur weniger Kinder nachrücken, sondern Zahl und Anteil der Älteren wächst. 1948, bei der Einführung der AHV, lag die Lebenserwartung in der Schweiz bei Geburt bei 65,1 Jahren für Männer und 69,4 für Frauen, heute beträgt sie 81,6 bzw. 85,4 Jahre. Damit ist die Lebenszeit ohne Erwerbstätigkeit enorm gestiegen.

Wenn die klassische Alterspyramide die Form eines Pilzes annimmt, wird die Finanzierung des heutigen Gesellschafts- und Sozialsystems schwieriger. Zudem gelten demografisch jüngere Gesellschaften als innovativer, weil mehr Ressourcen in produktive Bereiche gelangen können. Vor allem deshalb werden sinkende Geburtenraten häufig negativ eingeordnet.

Generationengerechtigkeit wird wichtiger

Doch das Rad lässt sich nicht zurückdrehen. Die Ursachen für die neue Kinderarmut sind zu weitreichend, als dass man junge Leute mit Gratis-Krippenplätzen zu einer umfassenden Neuordnung ihrer Werte bewegen könnte. Die Anhebung der Geburtenrate ist keine Staatsaufgabe. Um vom Pilz zurück zur Pyramide zu kommen, müsste ohnehin eine enorme Zahl von Kindern «produziert» werden. Zielführender ist es deshalb, wenn die Gesellschaft die Bedürfnisse von Familien anerkennt und stärker berücksichtigt, sich aber gleichzeitig auf eine neue Normalität einstellt.

Damit dies funktioniert, muss das Wirtschafts- und Sozialsystem generationengerechter werden. Dazu gehört eine Finanzierung der Renten und der Gesundheitsausgaben, die die Jüngeren nicht weiter zugunsten der Älteren benachteiligt. Eine längere Erwerbsarbeit oder die Übernahme von mehr Betreuungsaufgaben durch jüngere Alte wird im Sinne der Solidarität zwischen den Generationen immer wichtiger. Denn je weniger Kinder es gibt, desto weniger dürfen die finanziellen Lasten via einen – notabene von diesen nie unterschriebenen – Generationenvertrag auf die Jungen abgeladen werden.

Es gilt zudem das Potenzial der Erwerbstätigen möglichst gut auszuschöpfen. Gefragt sind damit Arbeitgeber, die verstehen, dass es unterschiedliche Lebensphasen gibt, und die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit anpassungsfähigen Teilzeit-Pensen unterstützen.

Technischer Fortschritt und die Möglichkeiten der Digitalisierung müssen genutzt werden, um die Produktivität der Erwerbstätigen zu steigern. Hoffnung macht, dass die Generation Z verstärkt technische und naturwissenschaftliche Studiengänge wählt.

Wegen ihres hohen Wohlstandes kann die Schweiz die demografische Lücke besser über Zuwanderung abfedern als andere Länder. Allerdings ist das nur eine vorübergehende Lösung, weil die Einwanderer selbst älter werden und ihre Ursprungsländer dieselben demografischen Probleme haben.

Ein weiterer Teil der Lösung sind gute Absprachen zwischen den Partnern über die Aufteilung der familiären Aufgaben sowie eine faire Absicherung des sorgenden Elternteils, falls die Partnerschaft auseinanderbricht.

Zuversicht begünstigt die Lust auf Kinder

Gute Politik sollte den Menschen ermöglichen, ihre individuellen Lebensentwürfe bestmöglich zu realisieren. Familienpolitik, die Bürgerinnen und Bürger dazu instrumentalisieren will, möglichst viele Kinder zu haben, gehört nicht dazu. Wichtig ist hingegen eine wirtschaftliche Perspektive, die der jüngeren Generation Zuversicht gibt, den Herausforderungen des Lebens gerecht zu werden. Das kann ein Leben mit Kindern sein, aber genauso gut eines ohne Kinder.

Damit man vor lauter Bedenken die Lust auf Kinder weder vergisst noch verpasst, sollten Eltern vielleicht gerade gegenüber dem eigenen Nachwuchs gelegentlich von ihren Vater- und Mutterfreuden sprechen. Denn aller Anstrengung zum Trotz lässt sich in einem Leben mit Kindern Liebe, Glück, Halt und Sinn in einem Mass finden, das einen immer wieder überwältigen kann. Das ist das beste Argument für Kinder – aber nicht für eine höhere Geburtenrate.

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