Sonntag, April 27

Der Kultverein aus Südfrankreich ist auch ein Sammelbecken für Zündler und Intriganten. Jetzt weilt er nur noch für die Spiele in der Heimat.

Das Stade Vélodrome ist ein Wahrzeichen im Herzen der Stadt, Fussball ist in Marseille eine Religion. Bis 2016 verwalteten die Fans den Verkauf von Abonnements für die Kurven in Eigenregie, wobei es ein ständiges Seilziehen darum gab, wie viele Abos der Klub den Ultras zugesteht. Diese hätten das ganze Stadion füllen können.

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Papst Franziskus zelebrierte 2023 im Fussballtempel eine Messe, im Heimspiel gegen Brest wollen die Ultras den am Ostermontag Verstorbenen mit einer Choreo ehren.

Das Team von Olympique de Marseille wird dann gerade aus Rom heimgekehrt sein, wo es bis zum Ende der Meisterschaft ein vom Trainer Roberto De Zerbi verordnetes «ritiro» verbringt, eine Einkehr, die alle Facetten des Erfolgs stärken soll: Physis, Technik, mentale Stärke und Kameradschaft.

Das sei nötig, weil in Marseille ein Klima der Unruhe und der Intrigen herrsche, hatte De Zerbi argumentiert – und die Vereinsführung gab ihm recht. Also wurde flugs eine Luftbrücke zwischen Frankreich und Italien eingerichtet. Ein Luxushotel in Rom dient als Herberge, trainiert wird 30 Minuten entfernt in einer piekfeinen Anlage.

Nicht, dass es das nicht auch in Marseille gäbe. Die «Commanderie», das Trainingszentrum von OM, liegt idyllisch und abgeschieden an einem Hügel. Die enge Strasse, die zur Anlage führt, wird von Fans gerne genutzt, um nach schlechten Leistungen die Autos von Spielern zu blockieren. Ein paar markige Worte sollen den Kickern helfen, auf den richtigen Weg zurückzufinden.

Das gehört in Marseille zur Folklore, kann aber auch einmal eskalieren. 2021 sammelten sich vierhundert Fans vor der «Commanderie», es wurden Pyros und Steine geworfen, und fünfzig Ultras stürmten sogar den Campus. Drei Rädelsführer wanderten ins Gefängnis, doch die Vereinsführung kommunizierte: «OM kann nicht ohne seine Anhänger existieren.»

Um Unruhe auf den Campus zu führen, braucht es aber nicht zwingend einen Sturm der Fans. Der Klub ist ein Intrigantenstadl, in dem es stets Leute mit einer verdeckten Agenda gibt, die sportliche Krisen nutzen, um ihre Gegner zu schwächen. Sie profitieren auch davon, dass der amerikanische Mehrheitsaktionär Frank McCourt oft monatelang keinen Fuss nach Marseille setzt.

Jüngst nahmen die Unruhen zu, weil drei Niederlagen in fünf Spielen die Qualifikation für die Champions League in Gefahr brachten. Da gab es für den Trainer nur noch den «ritirio» als Ausweg, in seiner Heimat Italien ein beliebtes Mittel, um ein Team wieder in die Spur zu bringen.

Fünfzig Leute flogen am Dienstag nach Rom, am Sonntag sind für das Heimspiel gegen Brest alle wieder in Marseille. Nach dem Match soll es aber rasch wieder nach Rom gehen, der «ritiro» gilt für alle vier noch verbleibenden Partien der Meisterschaft. Es sei denn, es geht OM wie Napoli im Jahr 2019. Der Präsident hatte dem Team wegen schlechter Leistungen die Kasernierung im Trainingszentrum verordnet. Nach einem 1:1 im Europacup gegen Salzburg fanden die Spieler, sie hätten ihre Pflicht getan – und fuhren nach Hause.

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