Donnerstag, Januar 2

Die sinkenden Geburtenraten machen dem Konzern aus Bayern zu schaffen. Doch zum Glück werden die Hipp-Kunden immer älter.

In einem braunen Trachtenjanker steht Claus Hipp in einem Weizenfeld, im Hintergrund erstrecken sich die Hügel und Wälder Oberbayerns. Mit ernstem Blick schaut er in die Kamera, dann sagt er den Spruch, den jeder erwartet: «Dafür stehe ich mit meinem Namen.»

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Dafür stehe ich mit meinem Namen - Claus Hipp Werbung 2012

Jeder in Deutschland kennt das Gesicht von Claus Hipp, ebenso wie seine Zusicherungen, Hipp-Babynahrung sei gesund, voller wertvoller Inhaltsstoffe und bio. Sechsundzwanzig Jahre lang trat Claus Hipp in den Werbespots seiner Firma persönlich auf, bevor er die Fernsehauftritte 2017 an seinen Sohn Stefan übergab. Vor zwei Jahren übernahm dieser gemeinsam mit seinem Bruder auch die Geschäftsleitung.

In der Geschichte von Hipp sind sechsundzwanzig Jahre ein kurzes Kapitel. Gegründet wurde das Unternehmen vor hundertfünfundzwanzig Jahren – und die Geschichte dahinter bringt genau die richtige Menge Tragik und Hoffnung mit, um sie heute noch stolz zu erzählen.

Am Anfang stand ein simpler Brei

Sie geht so: Joseph Hipp, der Urgrossvater der heutigen Geschäftsführer, wurde 1867 als eines von fünf Kindern im bayrischen Pfaffenhofen geboren. Drei seiner Geschwister starben, als sie erst wenige Monate alt waren, in Bayern war die Säuglingssterblichkeit damals besonders hoch. Als Joseph Hipp später selbst eine Familie gründete, wollte er sie vor einem solchen Schicksal bewahren. 1899 stellte er die erste Babynahrung aus Zwiebackmehl her und verkaufte sie in seiner Konditorei.

Diese Urform des Babybreis erfreute sich so grosser Beliebtheit, dass aus Hipp inzwischen ein weltweit erfolgreicher Konzern geworden ist. Das Familienunternehmen ist europäischer Marktführer bei der Babynahrung und erzielt jährlich eine Milliarde Euro Umsatz. Der Hauptsitz der Firma liegt heute in der Schweiz, doch produziert und geforscht wird auch heute noch grösstenteils in Pfaffenhofen. Mit einem geschätzten Vermögen von einer knappen Milliarde Franken zählt die Familie Hipp zu den 300 reichsten der Schweiz.

Neben den klassischen Gläsern mit Brei verkauft Hipp Milchnahrung, Müslis, Snacks, Produkte für schwangere und stillende Frauen, Pflegeprodukte und Windeln. «Unser Anspruch ist es, Müttern alles zu liefern, was sie in den ersten drei Jahren nach der Geburt brauchen», erklärt Stefan Hipp.

Die Geburtenraten sinken – neue Kunden müssen her

Doch dieser Fokus auf die ersten drei Lebensjahre reicht nicht mehr. Denn die Geburtenraten gehen weltweit zurück – besonders in den Kernmärkten, in Europa und im DACH-Raum. «Unternehmen, die Produkte für Säuglinge herstellen, müssen auf diese Entwicklung reagieren», sagt Stefan Hipp.

Und so entwickelt das Unternehmen seine Produktpalette weiter – etwa durch Snacks wie Reiswaffeln und Müsliriegel. «Der Snackbereich wächst sehr stark, hier sprechen wir auch ältere Kinder oder Erwachsene an», sagt Hipp. Doch nicht nur da: Auch die mit Fruchtmus gefüllten Quetschbeutel erfreuen sich bei Erwachsenen grosser Beliebtheit. Und, so Hipp, immer mehr Erwachsene greifen hin und wieder zu einem Glas Brei. «Unsere Gläschen sind ein idealer Snack über den Mittag, gesund und leicht bekömmlich.»

Auch bei den Pflegeprodukten lässt sich die Zielgruppe erweitern. Manche Lotions und Shampoos für Babys und Kleinkinder würden zu über 50 Prozent von Erwachsenen verwendet, so Stefan Hipp. Schliesslich liegt der Fokus auf empfindlicher Haut und schonenden Inhaltsstoffen, frei von Chemikalien. Das kommt bei erwachsenen Kunden so gut an, dass Hipp inzwischen sogar Lippenstifte im Sortiment hat.

Die Altersspanne der Hipp-Kunden erstreckt sich heute über mehrere Jahrzehnte und umfasst sogar die letzten Lebensjahre: Über den Bereich Sondennahrung für Patienten, die sich nicht selbständig ernähren können. «Die Technik ähnelt der für Babynahrung, die Auswahl der eingesetzten Rohstoffe ebenso», erklärt Hipp.

Marktvorteil durch Bio-Anbau

Mit dieser Strategie schafft es Hipp, die wegen der sinkenden Geburtenraten rückläufigen Umsätze zu kompensieren. Gleichzeitig werden neue Märkte erschlossen, etwa im Nahen Osten oder in Südostasien. «Wir müssen ins Ausland schauen. In unseren Kernmärkten, in der DACH-Region, sind wir sehr stark. Hier noch zusätzliches Wachstum zu generieren, ist aber herausfordernd.»

Dass Hipp bei den Kunden so grosses Vertrauen geniesst, liegt auch daran, dass das Unternehmen seit Jahrzehnten konsequent auf biologischen Anbau setzt. Stefan Hipps Grossvater Georg lernte in den fünfziger Jahren den Schweizer Agrarwissenschafter Hans Müller kennen, einen der Wegbereiter der ökologischen Landwirtschaft. «Damals hat Bio niemanden interessiert, inzwischen ist es bei Babynahrung der Standard», sagt Hipp.

Die Firma profitiert davon, dass Eltern heute mehr denn je darauf achten, für ihre Kinder nur das Beste zu kaufen – und auch bereit sind, dafür Geld auszugeben. «Für ihre Kinder kaufen viele eher Bio ein als für sich selbst», sagt Stefan Hipp. «Bei Babynahrung ist Vertrauen sehr wichtig.» Und während etwa der Konkurrent Nestlé mit überzuckertem Milchpulver Negativschlagzeilen sammelt, steht Hipp da wie der Musterknabe der Branche.

Der Kontakt zu den Eltern beginnt früh

Doch bei aller Ökologie – das entscheidende Kaufkriterium, sagt Stefan Hipp, sei immer noch der Geschmack. «Das Produkt muss dem Kind schmecken, und es muss den Eltern schmecken.» Die Produkte seiner Firma testet Hipp gerne an seinen eigenen Kindern – oder in der firmeneigenen Kita.

Hipp bemüht sich auch um enge Kontakte zu den Eltern. Wer eine Frage hat, kann sich an den Elternservice des Unternehmens wenden oder dem Babyclub beitreten. Wer hundertfünfundzwanzig Jahre lang Babynahrung herstellt, der bekommt viele gesellschaftliche Veränderungen mit. «Heutzutage kontaktieren uns viele Frauen, noch bevor sie überhaupt schwanger sind. Schon in dem Moment, in dem sie eine Familie planen, kommen die ersten Fragen.»

Und natürlich hat Hipp heute mehr Kontakte zu Vätern, die sich bei der Hotline mit Fragen melden. «Noch vor zehn oder fünfzehn Jahren hätten wir wahrscheinlich keinen Vater in unseren Werbespots eingesetzt», sagt Stefan Hipp. «Heute haben sich Realität und Erwartungshaltung geändert, und damit auch unser Auftritt.»

Der Druck auf Mütter wächst

Gleichzeitig stünden Mütter heute unter grösserem Druck als früher, findet Hipp, auch durch die sozialen Netzwerke. Er erzählt die Geschichte von einer Influencerin, die bei ihrem ersten Kind über Monate hinweg Brustentzündungen hatte – und trotzdem stillte. «Sie hatte das Gefühl, eine schlechte Mutter zu sein, wenn sie ihrem Kind Ersatzprodukte gäbe. Sie hat Qualen durchlitten.» Zwar sei Stillen nach wie vor das Beste für das Kind – aber Mütter müssten auch auf ihr eigenes Wohl schauen dürfen.

Auch beim Brei werde Müttern oftmals suggeriert, sie müssten alles selbst machen, wenn sie das Beste für ihr Kind wollten. Dabei bezweifelt Hipp, dass es möglich sei, Babybrei in der gleichen Qualität zu Hause nachzukochen. «Wir haben bei uns für die verwendeten Zutaten den Begriff Baby-Bio eingeführt», erklärt er. «Von 200 am Markt verfügbaren Karotten erfüllt nur eine diesen Standard.»

Stefan Hipp wünscht sich, dass junge Mütter seiner Firma noch mehr vertrauen – und darauf ist er auch angewiesen. Sinkende Geburtenraten hin oder her.

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