Mittwoch, Oktober 9

Defekte Hörzellen im Ohr lassen sich nicht wiederherstellen. Aber eine Neurowissenschafterin hat Tipps, mit denen man das schlechte Gehör ausgleichen kann.

Leserfrage: Hilft es, mein Gehör zu trainieren, wenn ich Gespräche nicht mehr gut verstehe? Oder braucht es unbedingt ein Hörgerät?

Die Neurowissenschafterin Nathalie Giroud vom Institut für Computerlinguistik der Universität Zürich beschäftigt sich seit Jahren mit dieser Frage. Die Antwort ist für sie klar: «Ja, das Verstehen von Sprache lässt sich trainieren. Allerdings ist das weniger ein Gehörtraining als ein Hirntraining.»

Wohl & Sein antwortet

In der Rubrik «Wohl & Sein antwortet» greifen wir Fragen aus der Leserschaft rund um Gesundheit und Ernährung auf. Schreiben Sie uns an wohlundsein@nzz.ch.

Defekte Hörzellen im Ohr lassen sich bis jetzt nicht wiederherstellen. Einen solchen Hörverlust kann man nicht wegtrainieren. Wenn jemand aufgrund einer Hörschädigung nicht mehr gut hört, gelangen über die Hörnerven nur unvollständige akustische Signale ins Gehirn. Hier lasse sich ansetzen, sagt Giroud: «Man kann das Gehirn mit Training dabei unterstützen, das unvollständige Signal besser zu kompensieren.»

Trainieren, worin man Defizite hat

Verschiedene Anbieter – unter anderem Hörgerätehersteller – offerieren solche Trainings. Dabei handelt es sich um Apps oder E-Learning-Software, mit denen man spezifische Übungen absolviert. Die Trainings dauern mehrere Wochen, täglich zum Beispiel eine Stunde. Um die Aufmerksamkeit und das Gedächtnis zu stärken, übt man etwa, Sätze vor zunehmend lauter werdenden Hintergrundgeräuschen zu verstehen oder sich eine gehörte Wegbeschreibung zu merken und dann in einem Computerspiel den Weg zu finden.

Qualitativ hochstehende, unabhängige Studien dazu, wie gut solche Trainings funktionieren, gibt es erst wenige. Die bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse deuten aber darauf hin, dass es grundsätzlich möglich ist, dank spezifischen Trainings wieder besser zu verstehen.

Die Neurowissenschafterin empfiehlt deshalb durchaus, solche Angebote zu testen. Wichtig sei dabei, zuerst die eigenen Bedürfnisse zu definieren und seine Fähigkeiten und Schwierigkeiten rund ums Hören und Verstehen abklären zu lassen. Gehe ich oft in Restaurants und habe Mühe, störende Hintergrundgeräusche auszublenden? Oder sind solche Situationen für mich weniger relevant, weil ich vor allem Menschen am Telefon oder Sendungen im Fernsehen besser verstehen möchte? Je nach Bedürfnis gelte es andere Aspekte zu trainieren.

Gefragt sind insbesondere Aufmerksamkeit und Gedächtnis. Verstehe ich ein Wort beispielsweise nicht sofort, kann ich es vielleicht später aus dem Kontext erschliessen. Das Kurzzeitgedächtnis trainieren hilft dabei. «Wichtig ist, wirklich das zu üben, worin ich Defizite habe. Sonst ergeben sich keine Fortschritte», sagt Giroud.

Zusatzinformationen nutzen

Neben dem Training solcher kognitiver Fähigkeiten gibt es einen zweiten Weg, um wieder besser zu verstehen. Hier geht es darum, dem Gehirn Zusatzinformationen über andere Sinne zugänglich zu machen. So kann es helfen, in Gesprächen besonders auf die Mimik des Gegenübers zu achten oder sich in einem Kurs das Lippenlesen anzueignen. All dies hilft dem Gehirn, fehlende akustische Informationen zu ergänzen.

«Die bisherigen Studien zeigen, dass eine Kombination verschiedener Ansätze zu den besten Resultaten von Trainings führt», sagt Giroud. Allerdings sollte man sich dabei nicht überfordern. Die individuelle Situation ist entscheidend: Ist eine Person etwa wegen einer beginnenden Demenz kognitiv eingeschränkt, hilft es bereits, sich auf das Training einer einzelnen Fähigkeit zu konzentrieren, etwa das Lippenlesen.

Wichtig ist gemäss Giroud, dass ein Training möglichst lebensnah ist. Nur das Erkennen einzelner Silben zu üben, sei nicht sehr alltagstauglich. Sinnvollerweise setze man sich immer wieder einmal auch herausfordernden Hörsituationen im Alltag aus – etwa beim Spielabend oder bei einem Restaurantbesuch.

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Hörgerät kann helfen

Klar ist für Nathalie Giroud: «Liegt ein Hörverlust vor, ist es wichtig, neben einem Training auch ein Hörgerät zu tragen.» Moderne Hörgeräte bieten bisweilen die Möglichkeit, die Resultate von Trainings in ihre Algorithmen einfliessen zu lassen – im Sinne eines gezielten Ausgleichs der eigenen Schwächen durch die technische Hörhilfe.

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