Kaum eine Nation wird so von Identitätspolitik geprägt wie Südafrika. Doch nun formen ausgerechnet der linke ANC und die von vielen Weissen gewählte liberale DA erstmals eine Koalition. Dem Bündnis der Gegensätze wird es an Belastungsproben nicht mangeln.

Der Rahmen für den wahrlich historischen Tag in Südafrika geriet etwas seelenlos. Am Freitag begann am Kap das Zeitalter der Koalitionsregierungen. Erstmals in der seit dreissig Jahre andauernden demokratischen Geschichte bestimmt der marode African National Congress (ANC) nicht mehr allein die Geschicke des einflussreichsten Landes des Kontinents. Ein lange unvorstellbares Szenario, besonders für den ANC.

Für derartige Anlässe stünde eigentlich das alte Parlament in Kapstadt parat, fraglos eines der schönsten der Welt. Doch dort ist vor über zwei Jahren das Dach abgebrannt. Trotz einem Budget von 100 Millionen Franken ist das Ende der Reparaturarbeiten nicht in Sicht. Das Gebäude ist vorerst zum Denkmal von ANC-induziertem Staatsversagen geworden.

Entsprechend kamen die Parlamentarier in einem eher schnöden Kongresszentrum zusammen, um den neuen Präsidenten zu wählen. Er heisst weiter Cyril Ramaphosa. Für ihn stimmten am Freitag neben den Abgeordneten seiner eigenen Partei, dem ANC, auch die des neuen Koalitionspartners. Und das ist, neben kleineren Parteien, der bisherige ANC-Gegenpol im Parlament, die Democratic Alliance (DA).

Vereinbarung mit der ehemaligen Opposition

Die nun ehemaligen Oppositionsführer unterzeichneten eine Vereinbarung, in der – wenn auch teilweise vage – neben Leitlinien für die Regierungspolitik und den nationalen Haushalt die Zusammensetzung des nationalen Kabinetts sowie die der Provinzregierungen in Gauteng und KwaZulu-Natal geregelt werden. Seine Partei werde «im Geiste der Einheit und Zusammenarbeit mitregieren», sagte der DA-Vorsitzende John Steenhuisen. Bis zuletzt wurde offenbar um Details gerungen, die Unterzeichnung erfolgte erst, als die Parlamentssitzung schon begonnen hatte.

Niemand hatte die atemberaubenden Verfehlungen der Regierung in den letzten Jahren so ausdauernd kritisiert wie die DA. Sie stellte den ANC völlig zu Recht als kleptokratische und inkompetente Vereinigung dar, die auch noch mit Eigentumsrechten und damit den Grundpfeilern der Wirtschaft zündele.

Die Regierungspartei wiederum bezeichnete die DA als rassistische Kolonialorganisation, weil sie (auch) von grossen Teilen der weissen Minderheit gewählt wird. Nun verbünden sich also diese beiden, was nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch in KwaZulu-Natal spannend wird. Dort hatte die neue ANC-Splitterpartei Umkhonto we Sizwe (MK) des korrupten Ex-Präsidenten Jacob Zuma aus dem Stand 45 Prozent geholt. Doch ANC und DA versperren mit zwei weiteren Parteien Zuma den Weg an die Schalthebel der Provinz mit dem wichtigsten Hafen des Landes (Durban) – ein sicherheitspolitisch heikles Unterfangen. Das Interesse der Nation gehe vor, argumentierten die Verhandlungsführer gegenüber ihrer jeweiligen Basis.

Ministerposten sind noch offen

Ideologisch steht die Alternative zur DA, die linksradikalen Economic Freedom Fighters (EFF), dem ANC näher. Doch Kooperationen auf Lokalebene in der Vergangenheit waren desaströs, und die Forderungen der EFF wie Enteignungen und Verstaatlichungen waren selbst für den ANC zu radikal. Auch die Rating-Agentur Fitch warnte vor einer Zusammenarbeit mit der EFF. Und die Märkte reagierten schon bei Gerüchten, dass es eine Zusammenarbeit geben könnte, nervös.

Welche Ministerien sich die DA hat zusichern lassen, ist noch offen. Ramaphosa wird am Mittwoch vereidigt. Danach wird sich zeigen, wie belastbar eine Koalition ist, die vorwiegend von gemeinsamen politischen Feindbildern zusammengehalten wird.

Denn die Gegensätze an Südafrikas Spitze sind nicht nur wirtschaftspolitisch enorm, sie könnten sich bald auch in aussenpolitischen Geschäften offenbaren. Der ANC ist bedingungsloser Brics-Verfechter, die DA prowestlich ausgeprägt. Der ANC zerrt Israel vor den Internationalen Gerichtshof. Die DA hält sich mit Verlautbarungen zum Gaza-Krieg zurück, hat aber traditionell gute Beziehungen zu Israel. Der ANC vermeidet Kritik an Autokraten in Afrika. Die DA nicht.

Spätestens in drei Jahren wird es interessant: Dann wird Ramaphosa nach zwei Amtszeiten als ANC-Präsident ersetzt. Ein DA-kompatibler Nachfolger ist nicht in Sicht. Aber drei Jahre sind nach südafrikanischem Zeitverständnis eine ziemlich lange Zeit. Erst einmal kann die Nation ein wenig aufatmen.

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