In «Schicklgruber» zeigt der Schauspieler und Puppenspieler Nikolaus Habjan die letzten Tage des Diktators im Bunker. Das Publikum im Deutschen Theater Berlin ist begeistert.

Darf man über Adolf Hitler lachen? Ein Zweifelsfall. Doch wenn man einmal annimmt, sein Vater Alois hätte den Nachnamen behalten, den er als unehelicher Sohn von Maria Anna Schicklgruber trug, wäre die Geschichte vielleicht anders verlaufen. «Heil Schicklgruber» – wer hätte das ohne einen Anflug von Heiterkeit geschrien? Die Wirklichkeit wäre dann eine andere geworden.

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Ein Fall für die Bühne ist diese Namensgeschichte allemal. Der australische Figurentheater-Grossmeister Neville Tranter hat Schicklgruber vor Jahren schon für seine Kunstform entdeckt, ihm ein Gesicht mit Bärtchen gegeben, um die Hitler-Puppe zwischen Melancholie und Grusel lebendig werden zu lassen. Der 70-jährige Tranter hat die Figur unterdessen seinem Schüler Nikolaus Habjan übergeben, der das Programm mit eigener Phantasie überarbeitet und ins Deutsche übertragen hat. Zusammen mit seiner Partnerin Manuela Linshalm zeigt er «Schicklgruber» am Deutschen Theater Berlin.

Machtlose Wut

Das Duo ist geradezu genial, das Publikum liegt ihm zu Füssen. Habjan macht gar nicht erst den Versuch, «das Problem Hitler» zu analysieren. Er steigt ohne Umschweife in den Alltag des Führers im Berliner Bunker ein und skizziert seine letzten Tage zwischen machtloser Wut und zögerlichem, feigem Selbstmord.

Oben krachen die Bomben. Leise rieselt der Kalk von der Decke – aber längst auch in Hitlers Hirn, dem der Wahn zur Realität geworden ist. Mit grossen blauen Augen, die fettige Strähne wegschnippend, sinniert und keift der kranke Mann mit seinem riesigen Klappmaul. Habjan gibt ihm eine Stimme, die stets kurz vor dem Verstummen ist: Leid tut er einem gewiss nicht, aber man gönnt ihm ein rasches Ende.

Derweil können sich die Figuren um Schicklgruber herum nicht so recht entscheiden zwischen Hoffnung und Untergang. Sie wollen durchhalten und kokettieren doch mit dem Tod, der als abgewracktes Gerippe mit gierigen Fingern nach den letzten Nazi-Aufrechten greift.

Eva Braun ist eine in die Jahre gekommene Jungfrau, die sich wie eine Diva aufführt, ihre Reize wie ein Trampeltier einsetzt und die ihr von Adolf verweigerte körperliche Befriedigung im Hinausjauchzen von «Frau Hitler» findet, die sie kurz vor dem Selbstmord noch geworden ist.

Im dumpfen grauen Bühnenbau, über dem der Reichsadler müde auf seine Zerstörung wartet, tummeln sich die anderen Gestalten der letzten Tage. Goebbels hat nur eine Prothese als Bein und hinkt und schwadroniert sich durch den Abgrund, mit Machtphantasien für eine Zukunft, an die niemand mehr glaubt. Auch Göring ist nur noch eine tragische Randfigur, die ihren massigen Körper sinnlos durch die Kulissen schiebt.

Als Opfer der Geschichte erscheinen nur die sechs Goebbels-Kinder: Aufgereiht in unschuldigem Weiss stehen sie auf einem Wagen, der immer wieder auf die Bühne geschoben wird. Bis auch sie, wie alle anderen Protagonisten, als Puppenleichen auf dem Bühnenboden liegen.

Abstand zu den Akteuren

Dann haben auch Nikolaus Habjan und Manuela Linshalm ausgespielt, haben ihre Hände aus den Köpfen der Nazi-Clique befreit. Sie sind ihren Puppen kein einziges Mal auf den Leim gegangen, wie Fremde haben sie von den Ereignissen erzählt, ihre Stimmen grotesk verstellt. Und immer haben sie einen Abstand gewahrt zu den Akteuren, sosehr diese auch die beiden Schau- und Puppenspieler auf ihre Seite hätten ziehen wollen.

Figuren der Weltgeschichte sah man da nicht, eher arme, verwirrte Gestalten, die stets Angst hatten, dass sie die Hand verlässt, an der ihr Leben hängt. «Ich werde nicht sterben. Ich kann nicht sterben. Nicht ich!», greint Schicklgruber einmal. Doch nichts einfacher als das. Zumindest im Theater.

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