Donnerstag, November 14

Im Januar 1933 kam Hitler in Deutschland an die Macht. Das markierte das Ende der Weimarer Republik. Ein unvermeidliches Ende? Nein, sagt der Historiker Volker Ullrich.

Es musste nicht so kommen, wie es gekommen ist: damals, mit der Weimarer Republik. In seinem Buch «Schicksalsstunden einer Demokratie» schildert Volker Ullrich das Drama noch einmal von neuem. Doch was hilft das heute, in Deutschland, wo die sogenannten radikalen Ränder links und rechts spätestens seit den jüngsten Wahlergebnissen zumindest im Osten des Landes keine Ränder mehr sind, sondern im Zentrum der politischen Aufmerksamkeit stehen? In Österreich ist diese Entwicklung schon auf Bundesebene zu beobachten, spätestens seit der jüngsten Nationalratswahl.

Was kann Volker Ullrich lehren? Zunächst einmal, wie man eine Geschichte, die schon unzählige Male erzählt wurde, erneut erzählt, ohne sie einfach zu wiederholen. Dabei ist der Aufbau von Ullrichs Darstellung klassisch. Streng chronologisch geht es durch die Kapitel: Revolution 1918/19, Kapp-Lüttwitz-Putsch, Mord an Walther Rathenau, Ruhrbesetzung und Hyperinflation, Tod Eberts und Wahl Hindenburgs, Bruch der letzten grossen Koalition, Wilhelm Fricks braune Kulturrevolution, Sturz Brünings, Papens Staatsstreich gegen Preussen und schliesslich Machtübertragung an Hitler.

Doch bei Ullrich geht es nicht allein darum, was sich in diesen vierzehn Jahren ereignete, sondern vor allem darum, was nicht geschah. Ihm ist es wichtig, die Offenheit der Situationen zu betonen. Er fragt, welche Spielräume die Akteure hatten und welche Handlungsalternativen bestanden. Aus diesem Blickwinkel war das Experiment der ersten deutschen Demokratie nicht von Anfang an auf Untergang angelegt, auch wenn die Vorbelastungen schwer wogen, die nach Ullrichs Urteil aus den Versäumnissen in der Gründungsphase resultierten.

Das Versagen der Parteien

Ullrich fasst die gängigen Erklärungsversuche für das Scheitern der Weimarer Republik pointiert zusammen: den Verweis auf die Erblast des Obrigkeitsstaates, die Kontinuität vordemokratischer Eliten in Industrie, Armee, Verwaltung und Justiz, deren Machtpositionen unangetastet geblieben seien; die Belastungen aus der Niederlage im Weltkrieg und dem Versailler Vertrag; die Strukturmängel der Weimarer Verfassung mit dem Reichspräsidenten als «Ersatzkaiser» mit weitreichenden Befugnissen, die in Krisenzeiten geradezu zum Missbrauch einladen; und schliesslich das Versagen der Parteien, die in ihren ideologischen Gräben befangen geblieben seien, ohne Bereitschaft zum Kompromiss.

Dennoch: Ullrich zeigt sich überzeugt davon, dass es nicht an Gelegenheiten gefehlt hätte, die Weichen anders zu stellen. Er nennt zahlreiche Beispiele: Bereits in der Phase der Revolution 1918/19 hätten die regierenden Sozialdemokraten nach seiner Einschätzung «mehr an gesellschaftlichen Veränderungen durchsetzen können und weniger an Altem bewahren müssen». Die Niederschlagung des Kapp-Putsches im März 1920 und die grosse prorepublikanische Solidaritätswelle nach dem Mord an Reichsaussenminister Walther Rathenau im Juni 1922 hätten die Chance geboten, gegen das republikfeindliche Lager in die Offensive zu gehen. «Sie blieb ungenutzt», resümiert Ullrich.

In der Hyperinflation von 1923, mit der die Republik buchstäblich am Abgrund stand, zeigte sich dann für Ullrich, dass die Selbstbehauptungskräfte der Demokraten stärker gewesen seien als von vielen angenommen. Die Wahl des überzeugten Monarchisten Paul von Hindenburg zum Reichspräsidenten im April 1925 stellt zwar auch für Ullrich eine Zäsur dar. Aber sie hätte nach seiner Einschätzung verhindert werden können, «wenn die Kommunisten über ihren Schatten gesprungen wären».

Hitlers Triumph

Auch der Bruch der grossen Koalition im März 1930, der faktisch das Ende der parlamentarischen Demokratie markiert habe, hätte sich nach Ullrichs Eindruck vermeiden lassen, «wenn es aufseiten der Parteien eine grössere Bereitschaft zum Kompromiss gegeben hätte». Niemand habe die bürgerlichen Parteien in Thüringen 1930 gezwungen, die Nationalsozialisten in die Landesregierung aufzunehmen. Sie hätten es aus freien Stücken getan und ihnen damit die Gelegenheit gegeben, «vorzuexerzieren, wie sie sich eine Machtübernahme auch auf Reichsebene vorstellten».

Nicht zuletzt mit Hindenburg geht Ullrich hart ins Gericht: Ohne Not habe er Ende Mai 1932 auf Drängen seiner Ratgeber Reichskanzler Heinrich Brüning entlassen und so die noch gemässigte Phase der Präsidialregierungen beendet. Mit Brüning im Amt habe der Staatsstreich in Preussen im Juli 1932 nicht stattfinden können, den sein Nachfolger Franz von Papen inszeniert habe: «Eines der letzten Bollwerke der Republik wurde auf diese Weise geschleift.»

Doch selbst im Januar 1933 wäre der Triumph Hitlers für Ullrich nicht unvermeidlich gewesen. Es hätte Möglichkeiten gegeben, ihn von der Macht fernzuhalten, schreibt er. Für Ullrich gehört es zur «bitteren Ironie der deutschen Geschichte», dass der «Führer» der NSDAP dank einem finsteren Intrigenspiel in einem Augenblick ins Reichskanzleramt habe einziehen können, als seine Bewegung im Niedergang begriffen gewesen sei und «viele kluge Zeitgenossen» ihn bereits abgeschrieben hätten.

Was helfen diese Hinweise im Nachhinein? Ullrich zieht aus der Geschichte eine Lehre, die überall Gültigkeit hat, wo Demokratien gefährdet waren und sind: «Es kommt entscheidend darauf an, wie sich einzelne Menschen in konkreten Situationen verhalten. Wir haben es in der Hand, ob unsere Demokratie scheitert oder überlebt.»

Volker Ullrich: Schicksalsstunden einer Demokratie. Das aufhaltsame Scheitern der Weimarer Republik. Verlag C. H. Beck, München 2024. 383 S., Fr. 39.90.

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