Freitag, Januar 17

Hitler sei links gewesen, der Nationalsozialismus kommunistisch: Das sagte die AfD-Kanzlerkandidatin im Talk mit Elon Musk. Alice Weidel ist nicht die Erste, die die These vertritt, Nationalsozialismus und Sozialismus hätten mehr gemeinsam als den Namen.

Kann man rechts und links verwechseln? Vergangene Woche sagte Alice Weidel, Hitler sei Kommunist gewesen. Im Talk mit Elon Musk sprach die AfD-Kanzlerkandidatin auch über den Nationalsozialismus. Und erklärte, dieser sei «alles andere als rechts». Der grösste Erfolg «nach dieser schrecklichen Ära» sei es gewesen, Hitler als rechts und konservativ zu bezeichnen. Aber Hitler sei das Gegenteil gewesen: «Er war nicht konservativ. Er war ein sozialistisch-kommunistischer Typ.»

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In den sozialen Netzwerken erntete Weidel Kritik, aber auch viel Beifall. Auf Nachfrage hielt sie an der Behauptung fest. Sie sei Ökonomin, sagte sie in einem Interview auf RTL, und sehe das «aus der Brille der ökonomischen Dogmengeschichte». Für Ökonomen sei völlig klar, dass Hitler «ein Linker» gewesen sei. Ein «antisemitischer Sozialist».

Man müsse sich nur die Methoden ansehen, mit denen Hitler gearbeitet habe, so Weidel. Es seien die gleichen, wie die Linke sie heute anwende: Gleichschaltung von Medien, Einschränkung der Meinungsfreiheit und Ausgrenzung von anderen Meinungen. Stalin und Hitler bezeichnete sie als «Brüder im Geiste». Auf den Rassenwahn der Nazis angesprochen, sagte Weidel: «Der Antisemitismus ist links. Es sind Linke, die auf die Strasse gehen, ‹Free Palestine› rufen und Israelis verfolgen.»

Die Medien von ARD und ZDF bis «Spiegel» und «Welt» brachten Historiker in Stellung und überboten sich gegenseitig in Faktenchecks. Ihr Fazit war klar. Die Behauptungen seien «grundfalsch», sagte Andreas Wirsching vom Münchner Institut für Zeitgeschichte am Deutschlandfunk. Und in Hinblick auf die Opfer des NS-Regimes seien sie «zynisch, politisch irreführend und infam». «Alles Quatsch», sagte Michael Wolffsohn in der «Bild»-Zeitung. Weidel wolle die AfD von dem Verdacht reinwaschen, nationalsozialistisch zu sein.

Kampf dem Kommunismus

Das ist zweifellos richtig. Und so wie Weidel ihre Aussage begründet hat, ist sie erst recht nicht haltbar. Gerade im ökonomischen Sinn war Hitler kein Sozialist. Privateigentum stellte er nicht infrage. Mit Verstaatlichungen hielt er sich zurück. Wo er sie anordnete, tat er es nicht aus ideologischen Gründen, sondern um Deutschland möglichst rasch kriegstauglich zu machen. Mit den grossen Industriellen arrangierte er sich und liess sich zum Teil von ihnen finanzieren.

Vor allem: Die ersten Opfer der Nazi-Gewalt waren Linke. Schon vor der Machtübernahme wurden einige Kommunisten von SA-Schlägern ermordet. Ab 1933 wurden sie zusammen mit Sozialdemokraten in Konzentrationslagern interniert. Hitler verstand den Nationalsozialismus ausdrücklich auch als Kampf gegen den Kommunismus. Er wolle den Marxismus «mit Stumpf und Stiel» ausrotten, betonte er.

Ideologisch hat der Nationalsozialismus kaum Gemeinsamkeiten mit dem Kommunismus. Klasse war keine Kategorie in Hitlers gesellschaftlichem Denken. Er orientierte sich an der Vorstellung einer «Volksgemeinschaft», die Klassenunterschiede nicht zum Verschwinden bringen, sondern übersteigen sollte. In einer Gemeinschaft aller, die durch die «Rasse» miteinander verbunden sind.

Im Gespräch mit Musk wies Weidel darauf hin, dass die Nationalsozialisten ihre sozialistische Herkunft ja schon im Namen trügen. Tatsächlich findet sich in Hitlers nie veröffentlichtem zweitem Buch, das im Mai 1945 in einem Luftschutzbunker in München entdeckt wurde, der Satz: «Ich bin Sozialist.» Das schrieb Hitler 1928. Wie er es gemeint hat, ist allerdings unklar.

Die Sozialisten gehen

Denn mit allem, was sozialistisch ist, wollte er nichts zu tun haben. Von Otto Strasser, der seit 1925 zu den führenden Köpfen der NSDAP gehörte und einen sozialistisch geprägten Nationalsozialismus vertrat, trennte sich Hitler im Sommer 1930. Strasser trat aus der Partei aus, gründete den Kampfbund «Schwarze Front» und publizierte den Aufruf «Die Sozialisten verlassen die NSDAP!».

Damit hatte sich der Nationalsozialismus vom Sozialismus getrennt. Doch Alice Weidel ist nicht die Erste, die die These vertritt, die beiden hätten mehr gemeinsam als den Namen. 2003 fragte der Historiker und Publizist Joachim Fest, Verfasser einer brillanten Hitler-Biografie, in einem Zeitungsartikel: «War Adolf Hitler ein Linker?» Und bejahte die Frage. Wenigstens zum Teil. Es gebe gute Gründe, schrieb er, dass er «eher auf die linke Seite» gehöre. Mit dem Totalitarismus Stalins habe er jedenfalls mehr gemein als mit dem Faschismus Mussolinis.

Dass Hitler keine Produktionsmittel verstaatlicht habe, spreche nicht dagegen, sein Programm sozialistisch zu nennen, fand Fest. Tatsächlich habe Hitler einen weit klügeren Einfall gehabt und, wie er selbst sagte, «nicht die Betriebe, sondern die Menschen» sozialisiert. Ein Kapitalist sei er jedenfalls nicht gewesen. Viele der jungen Männer, die im Frühling 1933 in die SA eintraten, waren ehemalige Kommunisten. Den Wechsel zu den Nazis, sagt Fest, hätten sie nicht als Bruch empfunden.

«Im Herzen», so Fest, «blieb man Sozialist, nur dass man von nun an auch noch national sein durfte.» In der Politik hätten die unversöhnlichsten Rivalen oft etwas von feindlichen Zwillingen. Den Traum vom «neuen Menschen» hätten Kommunisten wie Nazis geträumt. Beide hätten nichts so sehr verachtet wie das Bürgertum. Ein klarer Unterschied, so Fest, liege darin, dass sich der Nationalsozialismus schon im Programm unmenschlich ausgenommen habe, während der Sozialismus in «humanitären Maskeraden» aufgetreten sei.

Jenseits politischer Kategorien

Für Fest war dies eine Warnung, keiner Ideologie zu vertrauen. Weil sie nie hielten, was sie versprächen. Und weil sich hinter ihrer Fassade immer das «nackte Grauen» verberge. Auch der Historiker und Schriftsteller Sebastian Haffner, der als Jude Deutschland 1933 verlassen musste und dessen Analysen des braunen Terrors noch heute lesenswert sind, warnte davor, es sich mit Hitler zu einfach zu machen.

In seinem Buch «Anmerkungen zu Hitler» schrieb Haffner: «Hitler ist keineswegs so leicht als extrem rechts im politischen Spektrum einzuordnen, wie es viele Leute heute zu tun gewohnt sind.» Eine Antwort darauf, wo man ihn denn sonst einordnen soll, bleibt Haffner schuldig. Hitler als links zu bezeichnen, ist zweifellos falsch. Aber zu einfach sollte man es sich tatsächlich nicht machen.

Der Nationalsozialismus bewegte sich jenseits herkömmlicher politischer Kategorien. Im Mittelpunkt standen ein glühender Antisemitismus und die Idee eines «grossgermanischen Weltreichs». Dem mussten sich alle anderen Elemente der Nazi-Ideologie unterordnen. Hitler machte Zugeständnisse. Den Eliten bot er das Bewusstsein der Auserwähltheit, um ihnen das «Völkische» schmackhaft zu machen. Den Arbeitern ein bisschen Sozialismus, um sie für den Nationalismus zu gewinnen. Das stimmt. Aber es macht Hitler noch nicht zum Kommunisten.

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