Sonntag, September 8

Anders als in der Atmosphäre können erhöhte Temperaturen unter Wasser jahrelang anhalten. Manchmal lassen sich die Hitzewellen aber voraussagen. Dann können sich Fischer auf sie einstellen.

Als der Meeresbiologe Thomas Wernberg 2011 im türkisblauen Meer vor der Westküste Australiens tauchte, traute er seinen Augen nicht. Hier befand sich normalerweise ein dichter Unterwasserwald aus Seetang, einer grossen Algenart. Die dünnen Stämme sind gesäumt mit ledrigen Blättern und wachsen vom Meeresboden schnurgerade bis an die Oberfläche.

Wer hier durchtauchen will, ohne sich zu verheddern, muss ein geübter Taucher sein. Doch an jenem Tag fehlte der Halbschatten, den die Kronen der Seetangbäume sonst auf den Meeresboden werfen. «Der Seetang war einfach weg», erzählt Wernberg.

Grund dafür war eine marine Hitzewelle, die die Wassertemperaturen in jenem Jahr deutlich ansteigen liess. Unterschiede von nur wenigen Grad Celsius können das Leben im Meer empfindlich stören. «Hier waren es mehr als fünf Grad Celsius. Fast die Hälfte der Seetangwälder vor der Küste wurde direkt durch die Hitze zerstört», sagt Wernberg, der an der University of Western Australia marine Hitzewellen untersucht.

Wäre an Land eine genauso grosse Fläche von fast tausend Quadratkilometern verschwunden, wäre das sofort aufgefallen. «Doch unter Wasser blieb das Verschwinden des Seetangwaldes zunächst unbemerkt», erläutert der Meeresbiologe.

Messungen an der Meeresoberfläche zeigen, dass marine Hitzewellen immer häufiger werden. Im Zuge der Erderwärmung hat die Anzahl von Tagen mit extrem erhöhten Wassertemperaturen weltweit stark zugenommen. Auch dauern die marinen Hitzewellen immer länger. Aus diesem Grund hat sich rund um den Globus eine eingeschworene internationale Forschergemeinschaft gebildet, die seit zwei Jahrzehnten untersucht, wie das Phänomen entsteht und ob es sich vorhersagen lässt.

Im Meer bleibt Hitze länger bestehen als in der Luft

Die Forscher konnten sich schnell auf eine einfache Definition einigen: Steigt das Wasser an fünf oder mehr Tagen deutlich über die Normaltemperaturen der letzten 30 Jahre, liegt eine marine Hitzewelle vor. Das tönt zwar ähnlich wie bei einer Hitzewelle an Land, die meist tatsächlich nach wenigen Tagen vorbei ist. Doch im Meer hält die Hitze oft deutlich länger an. Die westaustralische Hitzewelle von 2011 beispielsweise dauerte mehr als zehn Wochen. In anderen Ozeanen erstreckt sich eine Wassererwärmung teilweise über mehrere Jahre.

An der Entstehung mariner Hitzewellen sind gleich mehrere Faktoren beteiligt. Zum einen ist da die Atmosphäre. Ist der Himmel über dem Ozean wolkenlos, erreicht mehr Sonnenstrahlung das Wasser und erwärmt die Oberfläche stärker als unter einer Wolkendecke. Herrscht Windstille, verdunstet weniger Wasser als gewöhnlich, weshalb das Meer an der Oberfläche weniger Hitze an die Luft abgibt.

Der zweite Treiber sind Witterungsphänomene wie El Niño. Er tritt alle paar Jahre auf. Schwächeln die Passatwinde, erwärmt sich dass Wasser an den Küsten von Ecuador und Peru. Wegen der schwachen Winde verharrt das Wasser zudem an der Oberfläche. Deshalb strömt auch weniger kaltes Wasser aus der Meerestiefe nach.

Schneekrabben leiden besonders stark

Durch den Temperaturanstieg sterben ganze Bestände an Meerestieren, zum Beispiel in der Beringsee vor Alaska. Während der marinen Hitzewelle von 2018 bis 2021 verschwanden dort zehn Milliarden Schneekrabben. Eine Studie der University of Alaska Fairbanks zeigt, dass das zu warme Wasser des Nordpazifiks die Tiere über einen indirekten Effekt getötet hat: Einerseits stieg der Energiebedarf der Krabben mit zunehmender Wärme an. Im zu warmen Wasser gab es aber deutlich weniger Nährstoffe als in kaltem, weswegen die Tiere wohl schlichtweg verhungerten.

Die Hitzewelle im Nordpazifik war die grösste der vergangenen 40 Jahre. Das zeigt eine Studie der Universität Hamburg, an der die Ozeanografin Johanna Baehr beteiligt war. Mit ihrem Team liess Baehr eine Klimasimulation laufen, die im Computer vergangene Meereshitzewellen erzeugte, im Rückblick gewissermassen. Sie wiederholte die Simulation mehrfach, mit und ohne menschliche Einflüsse. Der Vergleich zeigt: Ohne anthropogene Treibhausgasemissionen wäre die Hitzewelle im Nordpazifik höchstwahrscheinlich nicht zustande gekommen.

«Die Ozeane nehmen ohnehin schon den Grossteil der menschengemachten Wärme auf», sagt Baehr. Ist die Wärme erst einmal im Ozean, gibt dieser sie nur langsam wieder an die Atmosphäre ab, weil Wasser Wärme besser speichert als Luft. «Das ist wie bei einer Tasse Tee, die ihre Wärme auch nur langsam an die Umgebungsluft abgibt», sagt Baehr. Kommen dann noch warme Meeresströmungen, Windstille und heisse Luft über dem Wasser dazu, kühlt das Meer selbst im Winter nachts nicht mehr ab.

El Niño beeinflusst die Häufigkeit von marinen Hitzewellen

In manchen Fällen lassen sich die Hitzewellen aber voraussagen. Baehr hat an einer weiteren Studie mitgearbeitet. Dabei wurde aus Satellitenbildern der Oberflächentemperatur errechnet, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Hitzewelle zwischen der Arabischen Halbinsel und Indien auftreten wird. Es zeigte sich: Gibt es im Winter davor einen El Niño, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer Hitzewelle im Sommer danach deutlich.

Derzeit ist ein besonders starker El-Niño-Winter im Gange. Er wird noch bis Februar andauern. Prognosen wie jene von Baehrs Team verschaffen Fischern einen Vorsprung von sieben Monaten, um auf andere Fischarten umzustellen und ihre Fischfarmen auf ein erhöhtes Auftreten von Krankheiten vorzubereiten, die mit steigenden Temperaturen zunehmen. Die amerikanische Klimabehörde NOAA hat mit demselben Algorithmus eine interaktive Karte programmiert, mit der Forscher Hitzewellenvorhersagen aller Weltmeere erstellen können – bis zu ein Jahr im Voraus.

Den Algorithmus füttern die Forscher bisher mit Satellitendaten der Wasseroberfläche. Doch mittlerweile blicken Forscher mit neueren Methoden auch tiefer ins Meer. Ein Team der Universität der Algarve hat die Satellitendaten um Daten von Messbojen ergänzt, die im Meer treiben und die Temperatur unter Wasser aufzeichnen. Anschliessend erstellten die Forscher ein Profil weltweiter mariner Hitzewellen der letzten 30 Jahre.

Nicht nur an der Meeresoberfläche wird es warm

Der Blick unter den Wasserspiegel offenbart, dass sich marine Hitzewellen bis tief unter die Oberfläche erstrecken. Sogar wenn sich das Meer an der Oberfläche wieder abkühlt, laufen manche von ihnen in Tiefen von bis zu 2000 Metern noch jahrelang weiter. Die Meeresbewohner seien insbesondere in der Wasserschicht bis zu 250 Meter Tiefe gefährdet, schreiben die Autoren. Viele Wasserpflanzen, Fische und Korallen sind an gleichbleibende Bedingungen im Meer angepasst und verkraften nur geringe Temperaturschwankungen.

So auch der Seetang vor der Küste Westaustraliens. Die Hitzewelle von 2011 hat den Meeresbiologen Thomas Wernberg nicht mehr losgelassen. Der Unterwasserwald habe sich auch zehn Jahre danach nicht mehr erholt. «Wir wollten wissen, ob die Hitze auch den überlebenden Seetang beeinflusst hat», sagt Wernberg. Das hatte sie. Der übrig gebliebene Seetang trug nach der Hitzewelle anstelle kältespezifischer Genabschnitte plötzlich das Erbgut wärmeliebender Seetangarten. Das Erbgut war unter anderem durch Seetangsporen aus wärmeren Breitengraden in den lädierten Unterwasserwald gelangt.

Den zerstörten Seetang könne dieser Vorgang also nicht ersetzen, sagt Wernberg. Doch für die Zukunft könnte diese «Tropikalisierung» dafür sorgen, dass die überlebenden Seetangwälder womöglich hitzeresistenter sind. Ein Grund zum Aufatmen sei das aber nicht, sagt Wernberg. «Die marinen Hitzewellen nehmen zu, und der Verlust von Korallen und Fischbeständen wirkt sich schon jetzt negativ auf Tourismus und Wirtschaft aus.» Es gebe eine einfache Stellschraube, um das Erhitzen von Ozeanen künftig zu verhindern: weniger Treibhausgase ausstossen.

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