Samstag, November 23

Amir Mechria, der Gründer und CEO der ehemaligen Hochdorf-Tochter Pharmalys, verkauft seine Beteiligung am Milchverarbeiter häppchenweise. Er stand am Anfang des Grössenwahns und schliesslich auch des Niedergangs.

Amir Mechria kam einst als grosser Hoffnungsträger zu Hochdorf.

Der tunesischstämmige Geschäftsmann sollte dem Innerschweizer Milchverarbeiter nicht nur Wachstum und eine ansehnliche Marge bringen. Er verkörperte mit seiner hauptsächlich in Nordafrika und im Nahen Osten tätigen Vertriebsgesellschaft für Babymilchpulver Pharmalys wie kein anderer die Expansionsfantasie unter dem damaligen CEO Thomas Eisenring und Präsidenten Daniel Sutter. Die Zukunft sollte im internationalen Geschäft mit Säuglingsnahrung liegen.

Zuvor war Hochdorf beständig – aber langweilig. Als drittgrösste Milchverarbeiterin der Schweiz nach Emmi und Cremo belieferte sie die Schweizer Schokoladenindustrie mit Milchpulver, doch Anlegerfantasie versprühte das Unternehmen lange Zeit keine. Der Umsatz stagnierte bei rund 350 Mio. Fr., die operative Gewinnmarge lag unter 5%, die Aussichten waren auch aus politischen Gründen mau. Das schien dem Verband Zentralschweizer Milchproduzenten zu genügen, über die ZMP Invest hielten die grössten Milchlieferanten rund 13,5% am Unternehmen, doch das Management wollte mehr.

Pharmalys beflügelt die Fantasie

Im Sommer 2016 unterschrieb Konzernchef Eisenring einen Kaufvertrag zu einem Übernahmepreis von maximal 248 Mio. Fr. für 51% an Pharmalys; das saftige Earn-out war ans Erreichen bestimmter operative Gewinnziele geknüpft. Pharmalys war davor Hochdorf-Kundin und vertrieb deren Produkte unter den Marken Primalac und Swisslac sowie Erzeugnisse anderer Hersteller. Im Jahr vor der Übernahme hatte die tunesische Gesellschaft einen Umsatz von rund 70 Mio. Fr. erzielt, bei einer operativen Marge von mehr als 20% – und verfügte über glänzende Wachstumsaussichten. Zur Finanzierung der Übernahme gab Hochdorf unter anderem eine Pflichtwandelanleihe über fast 220 Mio. Fr. mit Laufzeit bis März 2020 aus.

Es war die grösste in einer Reihe von Transaktionen im Rahmen ambitionierter Wachstumspläne, die Hochdorf zuerst zum Star der Schweizer Börse machten und sie dann an den Abgrund drängen sollten: Im Lauf des Jahres 2016 verdoppelte sich der Aktienkurs beinahe, im Januar 2017 erreichte er bei 334 Fr. ein Allzeithoch.

Im Geschäftsbericht für 2016 zeigten sich erste Risse. Das Auslandabenteuer in Deutschland und Litauen war ein Misserfolg, der tiefere Milchpreis machte Hochdorf dort schwer zu schaffen. Gleichzeitig fiel der freie Cashflow ins Minus, der Ausbau der Produktion in der Schweiz – auch im Hinblick auf die Expansion mithilfe von Pharmalys – ging ins Geld: Für das Jahr darauf war die Eröffnung des 54 Mio. Fr. teuren Sprühturms 9 zur Herstellung von Milchpulver in Sulgen geplant. Damit sollte sich die Kapazität auf 50’000 Tonnen im Jahr verdreifachen. Insgesamt investierte das Unternehmen in wenigen Jahren mehr als 100 Mio. Fr. in neue Anlagen.

Im Sommer 2017 musste Hochdorf die Wachstumserwartungen ein erstes Mal nach unten schrauben. Das Gesamtjahr konnte aber dank dem Geschäft mit Babymilchpulver mit einem Erfolg abgeschlossen werden, der Umbau schien Früchte zu tragen. Der Clou: Pharmalys wirtschaftete in diesem entscheidenden Geschäftsjahr so gut, dass quasi das gesamte Earn-out fällig wurde. Hochdorf zahlte 114 Mio. Fr. in bar und 131 Mio. Fr. in Form der Pflichtwandelanleihe.

Amir Mechria stand auf dem Zenit.

Bereits 2018 konnte Pharmalys die hohen Erwartungen nicht mehr erfüllen, der Absatz kam im ersten Halbjahr ins Stocken. Auch die grossen Hoffnungen, die Hochdorf auf eine Markenregistrierung in China gesetzt hatten, bewahrheiteten sich nicht – es sollte nicht die letzte Enttäuschung bleiben im dortigen Markt. Gleichzeitig ging der Umsatz im weiterhin wichtigsten Segment, nämlich im Geschäft mit Milchpulver für die Nahrungsmittelindustrie, zurück.

Für Hochdorf wurde vor allem das Geschäft mit der Tochter zur immer grösseren Bürde. Es zeigte sich, dass die Zahlungsmoral in den von Pharmalys bedienten Märkten deutlich schlechter war als im übrigen Geschäft. Mechria und das Management wiegelten ab: Zahlungsfristen von bis zu 180 Tagen seien in der Region üblich. Durch die ausstehenden Forderungen aber blähte sich das Umlaufvermögen auf. Das band Mittel, die das angeschlagene Unternehmen eigentlich nicht hatte.

Im Dezember 2018 folgte die nächste Gewinnwarnung. Die schwierige Situation rief die Eigentümer auf den Plan, insbesondere die damals grösste Aktionärin ZMP Invest und eine neugebildete Gruppe. Nach einer Revolte an der Generalversammlung im März 2019 wurde der Verwaltungsrat erneuert, Peter Pfeilschifter hatte bereits kurz davor als CEO vom geschassten Thomas Eisenring übernommen. Sein dringlichster Auftrag: Die Finanzen ins Lot zu bringen. Der Schuldenberg stand bei gut 150 Mio. Fr., ohne die Wandel- und die Hybridanleihen (insgesamt rund 345 Mio. Fr.) einzurechnen. Bei einem weiterhin negativen Cashflow im Jahr 2018.

Amir Mechria willigte schliesslich ein, die 51% an dem von ihm gegründeten Unternehmen zu einem wesentlich niedrigeren Preis zurückzukaufen: 100 Mio. Fr. war er bereit zu zahlen. Der Verlust aus der Beteiligung belief sich 2019 auf mehr als 172 Mio. Die Verbindung zwischen Mechria und Hochdorf aber blieb bestehen: Durch die Wandlung der Wandelanleihe wurde er im Dezember 2019 mit einem Anteil von 22,5% sogar grösster Hochdorf-Aktionär. Pharmalys wurde wieder Kundin. Und auch die weitere Zusammenarbeit war von Schwierigkeiten geprägt, das Geld floss nur langsam.

2021 dann ein kurzer Lichtblick: Pharmalys überwies die letzte Tranche von 30 Mio. Fr. und ging neue Lieferverträge ein. Die Produktion in Hochdorf wurde nach über 120 Jahren geschlossen, aus dem Verkauf der Liegenschaft an die Gemeinde erhielt das Unternehmen dringend benötigte 50 Mio. Fr. Das Unternehmen wirtschaftete dank den Sondereffekten wie dem Immobilienverkauf erstmals wieder profitabel und glaubte, dank der Zentralisierung, weiterer Effizienzsteigerungen und dem Fokus auf Babynahrung noch mehr aus dem deutlich geschrumpften Umsatz machen zu können. Die grosse Hoffnung lautete weiterhin China. Doch noch viel zu oft ruhte der mit Verzögerung eröffnete Sprühturm in Sulgen, es fehlten schlicht die Aufträge. Im Jahr davor hatte die Auslastung der Anlage bei 10% gelegen.

Der Schuldenberg erwies sich als unüberwindbar

So nützte alles nichts. Anfang 2022 gab Pfeilschifter auf, mit Ralph Siegl übernahm ein neuer CEO, auf Finanzchefin Nanette Haubensak und Interimslösung Gerhard Mahrle folgte im Frühjahr 2023 Thomas Freiburghaus. Doch die Auftragslage blieb mau, die Zulassung in China kam nie, ein Grossteil des Werts der teuren Produktionsanlagen musste abgeschrieben werden. Gleichzeitig belastete die Inflation im Nachgang der Pandemie, das Ziel einer Ebitda-Marge von 8 bis 10%, um zur Konkurrenz aufzuschliessen, rückte in weite Ferne. Und allein der Schuldendienst – die Zinsen auf der Hybridanleihe wurden ab Sommer 2021 aufgeschoben – hätte den kleinen Gewinn weggefressen. Die Bilanz musste dringend saniert werden – doch wie?

Bald zeigte sich: Allein kann Hochdorf die finanzielle Trendwende nicht schaffen, den ersten Rückzahlungstermin der Hybridanleihe im Sommer 2023 liess sie verstreichen. Das Unternehmen brauchte dringend einen neuen Investor.

Hochdorf hat sich von ihren Auslandabenteuern nie mehr erholt. Der Grössenwahnsinn und das schlechte Management mit falschen Anreizen unter der ehemaligen Geschäftsleitung kann im besten Fall als warnendes Lehrstück in die Schweizer Unternehmensgeschichte eingehen. Nun geht der Milchverarbeiter an die wenig bekannte Investmentgesellschaft AS Equity Partners.

Den Aktionären droht ein Totalverlust. Nicht alle lassen das auf sich sitzen: Wie ich höre, will eine Gruppe den Verkauf trotz Annahme an der ausserordentlichen Generalversammlung vom 18. September nicht akzeptieren und kauft fleissig Aktien. Mehrere Pakete dürften auch von Amir Mechria stammen, wie aus den Offenlegungen der Schweizer Börsenaufsicht SER hervorgehen. Zuletzt hat er seinen Anteil auf weniger als 5% verkleinert.

Der einstige Hoffnungsträger verabschiedet sich leise und hinterlässt einen Scherbenhaufen. Gegen den Verkauf hat er sich nie gewehrt.

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