Ominöse Warnungen vor einer neuen, «ernsthaften Bedrohung» haben am Mittwoch die amerikanische Hauptstadt aufgeschreckt. Angeblich arbeitet Russland an der Entwicklung einer Nuklearwaffe, die im Weltraum gegen Satelliten eingesetzt werden könnte.
Die Stellungnahme war vage formuliert. Und dennoch gelang es am Mittwoch dem Republikaner Mike Turner, Vorsitzender des Geheimdienstausschusses im Repräsentantenhaus, mit einem kryptischen Hinweis auf eine «ernsthafte Bedrohung» der amerikanischen Sicherheit den politischen Betrieb in Washington in Aufregung zu versetzen.
Statement from Chairman @RepMikeTurner: pic.twitter.com/OA9yJuEPlf
— House Intelligence Committee (@HouseIntel) February 14, 2024
Rasch stellte sich heraus: Akut ist diese Gefahr nicht. Aber mittel- oder langfristig steht Washington vor einer neuen Herausforderung, sollten die amerikanischen Geheimdienstquellen die Wahrheit sagen. Demnach entwickelt Russland derzeit Atomwaffen, die das Land im Weltraum gegen amerikanische Satelliten einsetzen möchte – ohne dass sich die USA dagegen wehren könnten. Denn im Gegensatz zu Moskau scheint Washington aktuell nicht über die notwendige Technologie zu verfügen, um Kommunikations- und Überwachungssatelliten zu beschützen, wie die «New York Times» mit Verweis auf aktuelle und ehemalige Regierungsangestellte berichtete.
Amerikanische Medien berichteten allerdings am Mittwoch auch, dass die angeblich neue russische Weltraumwaffe noch nicht eingesetzt werden könne; dem Westen laufe aber die Zeit davon, Moskau zu stoppen, sagten anonyme Quellen.
Verstoss gegen Pakt aus dem Kalten Krieg?
Der Einsatz von Atomwaffen im Weltraum würde einen internationalen Pakt verletzen, der 1967 auch von der damaligen Sowjetunion ratifiziert wurde. (Der offizielle Titel des in Washington, Moskau und London abgeschlossenen Pakts lautet: «Vertrag über die Grundsätze zur Regelung der Tätigkeiten von Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums einschliesslich des Mondes und anderer Himmelskörper.») Der Pakt ist eine der letzten Vereinbarungen über die Rüstungskontrolle aus dem Kalten Krieg, an die sich Washington und Moskau noch halten.
Im Weissen Haus zeigte sich Jake Sullivan, Berater für nationale Sicherheit von Präsident Joe Biden, in einer ersten Stellungnahme «ein bisschen überrascht» von Mike Turners kryptischer Stellungnahme. Er habe hochrangige demokratische und republikanische Abgeordnete im Senat und Repräsentantenhaus nämlich bereits zu einer Sitzung am Donnerstag eingeladen, die sich um dasselbe Thema drehen werde, sagte Sullivan. Eingeladen zu dieser Zusammenkunft wurde die «Gang of Eight», wie die exklusive Führungsriege des Kongresses und der Geheimdienstausschüsse in beiden Kammern umgangssprachlich genannt werden. Es ist eher ungewöhnlich, dass Sullivan auf den Capitol Hill in Washington fährt, um direkt mit den acht Politikern zu sprechen.
Jake Sullivan: «I am a bit surprised that Congressman Turner came out publicly today» to announce a potential national security threat he is going to be briefed about tomorrow pic.twitter.com/x8JUPvIdDN
— Aaron Rupar (@atrupar) February 14, 2024
Hinter den Kulissen hiess es, dass Turners ominöse Warnung das Weisse Haus verärgert habe. Schliesslich stellte die Regierung Biden die entsprechenden Geheimdienstinformationen dem Kongress zur Verfügung.
Auch einige Parteifreunde des Geheimdienstexperten waren nicht begeistert über die Informationsstrategie des Republikaners aus Ohio. So sah sich Speaker Mike Johnson gezwungen, in den Gängen des Capitols die angespannten Nerven zu beruhigen. «Es gibt keinen Grund, Alarm zu schlagen», sagte der Vorsitzende des Repräsentantenhauses den versammelten Medienschaffenden. Der Demokrat Jim Hines wiederum, der führende Demokrat im Geheimdienstausschuss der grossen Kongresskammer, sagte: Bei der Bedrohung, von der Turner gesprochen habe, handle es sich um eine mittel- bis langfristige Angelegenheit. «Es ist nicht nötig, Gold zu kaufen», scherzte Hines.
Warum ging der Republikaner an die Öffentlichkeit?
Turner selbst schwieg vorerst zu seinen Motiven. Spekuliert wurde, ob seine Stellungnahme ein subtiler Druckversuch auf die republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus darstelle, ein neues Hilfspaket für die Ukraine zu bewilligen – nachdem der Senat zu Wochenbeginn eine entsprechende Vorlage genehmigt hatte.
Vielleicht setzte sich der Republikaner aber auch für die Geheimdienste und deren Werkzeuge ein. Der Kongress diskutiert seit Monaten über eine Reform des Spionageabwehr-Gesetzes FISA (Foreign Intelligence Surveillance Act) – das unter anderem auch den Lauschangriff auf ausländische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger ausserhalb der USA erlaubt. Die «Washington Post» berichtete am Mittwoch, dass die amerikanischen Geheimdienste die Informationen über die neue russische Weltraum-Waffe mit Hilfe von FISA gesammelt hätten.