Samstag, April 12

Der Kanton Glarus ist besonders betroffen, das Tessin hingegen überraschenderweise kaum.

Die Bewohner von Brienz sind nicht mehr Bewohner von Brienz. Das Bündner Dorf ist seit Mitte November evakuiert. Die 90 Einwohner mussten ihre Häuser verlassen, es droht ein Bergsturz, Phase Rot.

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Seither durften sie nur gerade zweimal für einen Besuch zurück in ihr Dorf. Am vergangenen Freitag nutzten 86 Personen das Zeitfenster von 9 bis 17 Uhr, um etwas in der eigenen Wohnung zu erledigen. Am Samstag war das bereits nicht mehr möglich: Dichter Nebel behinderte die Sicht, eine Rückkehr war zu gefährlich, der Gemeindeführungsstab sagte den Besuch ab.

Das Bündner Bergdorf ist ein Extremfall. Aber: Die Gefahr droht vielerorts. Jedes sechste Wohnhaus in der Schweiz ist von einer Naturgefahr bedroht. Das zeigt eine neue Auswertung der Zürcher Kantonalbank auf Basis der kantonalen Gefahrenkarten.

Mit Abstand am grössten ist das Risiko von Hochwasser. Man erinnert sich noch zu gut an die Bilder vom vergangenen Sommer: die abgeschnittenen Dörfer im Wallis, die verschüttete Strasse im Misox, der hohe Pegel des Bodensees.

Bergkantone und ein paar Überraschungen

Besonders im Glarnerland ist das Risiko gross: Jedes zweite Haus im Kanton Glarus ist mindestens einer Naturgefahr ausgesetzt. Denn viele Wohngebäude befinden sich in den Überschwemmungsgebieten der Linth und der Sernf. Hinter Glarus folgen die Kantone Wallis, Schwyz, Graubünden und St. Gallen.

Dass vor allem Bergkantone ein hohes Risiko aufweisen, hat in erster Linie topografische Gründe. «Die intensiven Niederschläge in den steilen Bergregionen fliessen schnell ab und lassen die Pegelstände der Bäche und Flüsse rasch ansteigen», sagt Jörn Schellenberg, Leiter GIS-Analysen bei der Zürcher Kantonalbank. Wenn Starkregen mit der Schneeschmelze zusammenfalle und die Böden bereits wassergesättigt seien, könne die Situation schnell kritisch werden.

Starke Niederschläge können in den Bergen zudem Murgänge auslösen, wie 2023 in Schwanden im Kanton Glarus. Nebst Hochwasser sind auch Rutschungen, Felsstürze oder Lawinen ein Risiko.

Das hohe Risiko von Bergkantonen erstaunt kaum. Die Daten zeigen, dass aber auch «Flachland»-Kantone betroffen sind. So stehen etwa im Kanton Baselland, nicht bekannt für seine steilen Bergwände, relativ viele Häuser in der Gefahrenzone. Grund sind die Ton- und Mergelschichten, die bei viel Regen ihre Stabilität verlieren.

Was auch erstaunt: Das Tessin, im vergangenen Sommer ebenfalls von schweren Unwettern betroffen, rangiert weit hinten in der Liste. «Dass das Tessin hinsichtlich des Anteils der von Naturgefahren betroffenen Wohngebäude als Bergkanton so gut dasteht, hat uns am meisten überrascht», sagt Jörg Schellenberg von der ZKB.

Das Tessin zeigt aber auch: Die Zahl der potenziell betroffenen Wohnhäuser allein sagt wenig über die tatsächliche Gefahr aus. Denn in den allermeisten Fällen wird das Risiko als gering eingeschätzt. Nur bei vier Prozent aller Häuser schweizweit gilt eine erhebliche Gefahr. Das sind weniger als 0,8 Prozent aller Wohngebäude im Land – aber doch immerhin 12 600 Häuser.

Im Tessin ist die Situation die: Es stehen zwar vergleichsweise wenige Häuser in der Gefahrenzone, aber bei fast der Hälfte ist die Gefahr mittel oder sogar erheblich. Nur im Wallis und in Neuenburg sind es noch mehr. «Dies deutet darauf hin, dass im Tessin zwar relativ wenige Gebäude offiziell gefährdet sind, diese jedoch stärker betroffen sein könnten», sagt Schellenberg.

Erhöhte Gefahr, tiefere Preise

In der Schweiz sind Immobilien grundsätzlich gut gegen Naturgefahren versichert. Die meisten Kantone haben eine staatliche Gebäudeversicherung mit Versicherungsobligatorium. In den restlichen sieben, den sogenannten «Gustavo-Kantonen» Genf, Uri, Schwyz, Tessin, Appenzell Innerrhoden, Wallis und Obwalden, gilt teilweise eine Pflicht für eine Privatversicherung, teilweise ist die Versicherung freiwillig.

Zudem investiert die öffentliche Hand rege in den Schutz, etwa in Form von Hochwasserschutzdämmen oder Steinschlagnetzen, laut ZKB mehr als eine Milliarde Franken jährlich. Absolute Sicherheit ist allerdings weder möglich noch finanzierbar.

Die Hausbesitzer von Brienz wissen: Wenn ein Haus von Hochwasser oder Felssturz bedroht ist, schlägt sich das tendenziell auch in den Immobilienpreisen nieder. In der Hochwassergefahrenzone liegen die Preise im Durchschnitt 2,6 Prozent tiefer als ausserhalb. Das zeigt eine Auswertung von Immobilieninseraten, welche die ZKB gemacht hat. Bei Felssturzgefahr lag der Angebotspreis sogar durchschnittlich 12 Prozent niedriger als ausserhalb der Gefahrenzone – egal, ob die Gefahrenstufe gering oder mittel ist.

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