Mittwoch, März 19

In der niederbayrischen Stadt Passau, wo Donau und Inn zusammenfliessen, ist am Dienstag der Katastrophenfall ausgerufen worden. Doch Bürger und Behörden haben Erfahrung mit Überschwemmungen und wissen sich zu helfen.

Passau hat am Dienstag den Katastrophenfall ausgerufen, nachdem die Donau den kritischen Pegelstand von 10 Metern überschritten hatte. Die niederbayrische Kleinstadt gilt als einer der vom Hochwasser in Deutschland am stärksten gefährdeten Orte, weil dort mit der Donau, dem Inn und der Ilz drei Flüsse zusammenfliessen. Vor allem die barocke Altstadt, die auf einer Art Halbinsel zwischen der Donau und dem Inn liegt, ist in der Vergangenheit immer wieder überschwemmt worden. Nun geht hier nach tagelangen heftigen Niederschlägen die Angst vor einer Jahrhundertflut um.

«Das Wasser steigt und steigt, und die offiziellen Prognosen werden immer wieder nach oben angepasst, das macht Angst», sagt Peter Höltl und blickt besorgt aus einem Fenster im ersten Stock seines historischen Hotels. Den Rathausplatz davor erkennt man nicht mehr, und auch Höltls «Wilder Mann» steht bereits zur Hälfte in der Donau.

In der Hotellobby im Erdgeschoss kämpfen seine beiden Söhne, die Schwiegertochter und die Zimmermädchen mit Besen gegen das Wasser, das durch die an den Türen und Fenstern befestigten Metallplatten gedrungen ist.

Steigende Pegelstände trotz Sonnenschein

Nach den starken Regenfällen der letzten Tage scheint am Dienstag in Passau sogar wieder die Sonne, und die Wetterprognosen sind auch für die kommenden Tage gut. Doch die Donau transportiert das Wasser aus den überschwemmten Gebieten in Schwaben weiter, der Inn jenes aus Österreich. Am Dienstag erreichten die Pegelstände beider Flüsse ihre Höchststände, und die Donau stieg gar auf ein Niveau, das den Katastrophenfall auslöst. Das bedeutet, dass die Stadt Unterstützung der Bundeswehr anfordern könnte. Bisher hat sie das aber nicht getan.

Die Schulen in der Altstadt sind seit Dienstag geschlossen. Die Zufahrt wurde für Autos gesperrt, und selbst zu Fuss kommt man in vielen Gässchen nicht mehr durch. Dennoch geht das Leben erstaunlich normal weiter. Wer nicht unmittelbar am Wasser wohnt, geht zur Arbeit, die Läden sind geöffnet, vor den Cafés sitzen Leute. Auch im «Wilden Mann» wird der Hotelbetrieb weitergeführt. Die Zimmer befinden sich in den oberen Etagen, und der Hintereingang des schräg in einer Altstadtgasse stehenden Hauses ist weiterhin zugänglich. Dort werden die Gäste nun provisorisch in Empfang genommen und verabschiedet.

Die Passauer trotzen dem Hochwasser. Sie haben in den letzten Jahrzehnten gelernt, mit ihm zu leben. Selbst die Häuser entlang der Donau, die vollkommen von Wasser umgeben sind, wurden noch nicht evakuiert. Die Feuerwehr transportiert die Bewohner in Booten von und zu ihren Häusern. Die Passauer leben eh nur in den oberen Etagen. Die Erdgeschosse in der Altstadt sind nicht bewohnt, es ist gesetzlich verboten. Das Parterre muss schnell geräumt werden können in dieser Stadt, in der es jedes Jahr ein kleineres Hochwasser gibt und etwa jedes Jahrzehnt ein grosses.

Das schlimmste, an das sich die Bewohner erinnern können, war jenes von 2013 – das Jahrhunderthochwasser, wie sie es nennen. Damals stieg der Pegel der Donau auf 13 Meter, und genau gleichzeitig schwoll auch der Inn auf ein Rekordhoch an. Die ganze Altstadt war damals überschwemmt, die Schäden waren enorm.

2013 hatten die Wassermassen die Stadt in wenigen Stunden eingenommen, diesmal steigt der Pegel seit Tagen langsam an. Der Hotelier Peter Höltl sagt, das fühle sich fast noch bedrohlicher an. Er ist nicht der Einzige, der Böses ahnt, viele hier sind trotz aller Geschäftigkeit verunsichert. Die Bewohner höher gelegener Strassen kommen regelmässig hinunter zum Wasser, um mit eigenen Augen zu sehen, wie schnell es steigt.

Andreas Dittlmann ist seit fünf Tagen fast ununterbrochen im Einsatz. Er könne sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal geschlafen habe, sagt er. Der Chef der freiwilligen Feuerwehr von Passau koordiniert den Einsatz von rund 300 Männern und Frauen. In den ersten Tagen organisierten sie Sandsäcke, verbarrikadierten Fenster und Türen und sperrten Strassen. Nun geht es vor allem darum, Schaulustige von heiklen Zonen fernzuhalten. Die Stadt warnt Bewohner und Besucher dringend davor, überflutete Gebiete zu betreten, und rät, das Hochwassergebiet zu meiden.

Während wir am Donauufer mit dem Feuerwehrchef sprechen, bekommt er einen Anruf. Jemand sei in den Fluss gefallen und müsse gerettet werden, heisst es. Die Strömung ist sehr stark, ein Team rückt sofort aus. «Die Stadt ist voller Touristen, und die sind neugierig und betreten Gebiete, die gesperrt sind. Das ist ärgerlich, vor allem wenn wir von wichtigerer Arbeit abgehalten werden.»

Dittlmann, im normalen Leben Ingenieur, war schon 2013 als Leiter der Feuerwehr im Einsatz. Er hat Erfahrung und ist überzeugt, dass es diesmal nicht so schlimm kommen wird wie vor elf Jahren. «Die Lage ist dramatisch für die Betroffenen in den flussnahen Vierteln, aber mit 2013 können wir die Situation nicht vergleichen», sagt er. Damals waren die Donau und der Inn gleichzeitig angeschwollen und haben die Stadt geflutet, diesmal kamen die Wassermassen leicht verschoben und flossen deshalb besser ab. Zudem scheint der Höchststand nun erreicht zu sein. Der Pegel wird laut Dittlmann zwar noch ein paar Tage hoch bleiben, dann aber langsam zurückgehen.

Auch der Oberbürgermeister von Passau, Jürgen Dupper, ist überzeugt, dass seine Stadt das Schlimmste überstanden hat. «Solange das Wasser noch in den Wolken war, war die Lage völlig unberechenbar. Nun ist es in den Flüssen, und wir können darauf reagieren.» Am Dienstagabend ging der Pegelstand der Donau denn auch minim zurück und liegt nun wieder unter der kritischen Zehn-Meter-Marke. Deshalb hat die Stadt auch noch keine Unterstützung von der Bundeswehr angefordert. Dupper glaubt, die Krise mit den eigenen Einsatzkräften meistern zu können.

Der 63-Jährige ist in Passau geboren und seit Jahrzehnten hier politisch aktiv. Er weiss, dass die Schönheit seiner Stadt auch deren Schwäche darstellt. Den Menschen hat es schon immer gefallen in diesem fruchtbaren Flussdreieck. Vor 2000 Jahren haben die Kelten hier Siedlungen gebaut. Später kamen die Römer und die Germanen. Im Mittelalter wurde Passau ein selbständiges Bistum. Alle, die hier herrschten, mussten wohl mit dem Wasser kämpfen. «Wir können eine Stadt an dieser Lage nicht hochwassersicher machen, wir können nur lernen, mit Überschwemmungen zu leben und deren Folgen abzudämpfen», sagt der Oberbürgermeister. «Das Erfreuliche ist, dass wir mit jeder Krise besser darin werden.»

Nach dem Jahrhunderthochwasser von 2013 hat die Stadt eine Starkregen-App und ein entsprechendes Warnsystem für die Bürger entwickelt. In den letzten Tagen war dies von grossem Nutzen. Auch der Einsatz der Rettungskräfte scheint in Passau besser organisiert als anderswo. Selbst am Tag, an dem der Katastrophenfall ausgerufen wird, wirkt alles fast schon unheimlich ruhig, und jeder Griff scheint eingespielt.

Der Bürgermeister, der Feuerwehrchef, die freiwilligen Helfer, die Presseverantwortlichen, sie alle funktionieren, als sei dies ein ganz gewöhnlicher Tag. Es gibt ein klares Drehbuch, jeder und jede weiss, bei welchem Pegelstand welche Massnahmen getroffen werden, wer in welcher Situation informiert werden muss und wer entscheidet.

Passau ist für den Ernstfall gerüstet. Die Verantwortlichen sind stolz darauf, sie wissen aber auch, dass die grösste Anstrengung noch vor ihnen liegt. «Wenn die Flüsse wieder in ihrem Flussbett sind, fängt unsere Arbeit erst an», sagt der Feuerwehrchef. «Dann müssen wir Keller auspumpen und Schlamm wegräumen.» Und auch die Stadtregierung wird gefordert sein, denn ohne Hilfe werden viele Bürger die baulichen und wirtschaftlichen Schäden nicht beheben können.

Oberbürgermeister Dupper hofft, dass die Regierung in Berlin und das Bundesland Bayern den betroffenen Gemeinden wie 2013 grosszügig unter die Arme greifen werden. Der bayrische Ministerpräsident Markus Söder hat Privathaushalten und Betrieben am Dienstag bereits Soforthilfen in der Höhe von 100 Millionen Euro versprochen. Doch selbst wenn das Schlimmste tatsächlich vorbei sein sollte und 2024 nicht zum «Jahrhunderthochwasser» wird, die Schäden sind enorm, und Passau ist nur eine von vielen betroffenen Städten.

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