Mittwoch, Oktober 9

Neben den Wassermassen sorgen sich die Leute auch um ihren Besitz. Die Polizei patrouilliert auf Booten durch die überfluteten Strassen. Es gibt aber auch Zeichen der Hoffnung.

Zwei Wochen nach Beginn der Überschwemmungen im Süden Brasiliens ist die Not der Menschen weiterhin gross. Laut Staatspräsident Luiz Inácio Lula da Silva gehören die Überschwemmungen zu den grössten in der Geschichte des Landes. Und eine Entspannung ist weiterhin nicht in Sicht. Am Donnerstag werden erneut heftige Regenfälle erwartet.

Der Wasserstand des Guaíba, eines Zusammenflusses mehrerer Flüsse in der Hafenstadt Porto Alegre, ist in den letzten Tagen wieder angestiegen. Am Mittwoch erreichte der Pegelstand laut Medienberichten 5,25 Meter – das sind nur zehn Zentimeter weniger als der am 5. Mai gemessene Rekordwert. Meteorologen rechnen damit, dass es einen Monat dauern könnte, bis sich das Wasser auf ein normales Niveau zurückgezogen hat.

Zwei Millionen Personen sind im Gliedstaat Rio Grande do Sul vom Hochwasser betroffen. Tausende Feuerwehrleute und Zivilschützer stehen weiterhin täglich im Kampf gegen die Fluten im Einsatz. Laut Angaben des Zivilschutzes sind bis Mittwoch 149 Menschen in Folge des Unwetters gestorben. 108 Menschen werden noch vermisst, weitere 806 erlitten Verletzungen.

Beinahe 90 Prozent aller Städte des Gliedstaats sind laut der Nachrichtenagentur Agência Brasil von den Hochwassern betroffen. 540 000 Personen mussten ihre Häuser laut Zivilschutz verlassen, mehr als 76 000 sind in Notunterkünften untergebracht. 250 000 Häuser sind ohne Strom, und mehr als 136 000 Personen haben keinen Zugang zu Trinkwasser. Auch Telefon- und Internetverbindungen sind vielerorts unterbrochen.

In Paquetá, einem Fischerdorf im Norden von Porto Alegre, warten die Bewohner auf den Rückgang des Wassers. Von ihren Häusern sind nur die Dächer zu sehen. Die Fischer nutzten ihre Boote, um die Bewohner in den umliegenden Dörfern vor den Fluten zu retten. «Als ich die Menschen auf den Dächern sah, kleine Kinder, weinte ich, es brach mir das Herz», sagte ein Fischer gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.

Patrouillen gegen Plünderer

Es ist jedoch nicht nur das Hochwasser, das für Probleme sorgt. Die Leute sorgen sich um ihren Besitz. «Die Menschen haben Angst, dass ihr Eigentum geplündert wird», sagte der Leiter der Zivilpolizei von Rio Grande do Sul, Fernando Sodré, gegenüber dem Nachrichtensender Record News. Eduardo Leite, der Gouverneur des Gliedstaates, spricht von «Szenen wie im Krieg». In der Regionalhauptstadt Porto Alegre patrouillieren Sicherheitskräfte in der Nacht auf Booten und mit Taschenlampen ausgerüstet durch die überfluteten und dunklen Strassen der Stadt.

In der Stadt São Leopoldo, etwas nördlich von Porto Alegre, ist das Wasser leicht zurückgegangen. Manche Bewohner sind zu ihren Häusern zurückgekehrt. Ihnen bietet sich ein trauriger Anblick. Was die Wassermassen nicht zerstört hätten und wertvoll sei, hätten Einbrecher gestohlen, sagte eine Bewohnerin gegenüber dem Nachrichtenportal «G1». «Sie haben einen Fernseher, einen Computer und ein Videospiel mitgenommen. Man kann sich nicht vorstellen, was alles weg ist, aber man kann schon sehen, dass das, was an der Wand hing, nicht mehr da ist», erzählt ihr Mann. Ein anderer Bewohner klagt über sein gestohlenes Motorrad.

Der Polizeichef Sodré versicherte, dass die Polizei sich nach den vielen Rettungseinsätzen wieder vermehrt um die Sicherheit der Menschen kümmern werde. Zudem kündigten die Behörden an, Notunterkünfte für Frauen und Kinder einzurichten. Zuvor gingen bei der Polizei vermehrt Anzeigen wegen sexueller Missbräuche durch Männer ein.

Grosse Solidarität im ganzen Land

Inmitten der grossen Not und der vielen Sorgen der Bevölkerung gibt es aber auch positive Zeichen. Bilder von Personen, die inmitten der reissenden Fluten eine Kette bildeten, um andere zu retten, gingen viral.

Zu einem Symbol der Hoffnung wurde die Rettung eines Pferdes, das auf dem Dach eines Hauses gefangen war. Das Tier, das auf Caramelo getauft wurde, konnte nach vier Tagen betäubt und in einem Schlauchboot an Land gebracht werden. Die Aktion wurde live im Fernsehen gezeigt. Ein Gemälde, das das Pferd auf dem von Wasser umgebenen Dach zeigt, wurde für 130 000 Reais (22 780 Franken) versteigert. Der Erlös soll den Opfern der Überschwemmungen zugutekommen. Insgesamt hat der Zivilschutz laut eigenen Angaben über 76 000 Personen und fast 11 500 Tiere in Sicherheit gebracht.

Im ganzen Land ist die Solidarität gross. Zahlreiche brasilianische Promis wie der Pop-Star Anitta oder Fussballspieler wie Neymar oder Vinícius Júnior riefen zu Spenden auf und boten ihre eigenen Lastwagen oder Helikopter für den Transport an. Vielerorts wurden Lebensmittel, Hygieneartikel oder Kleidung gesammelt und von Freiwilligen in die betroffenen Regionen gefahren.

Die brasilianische Regierung versprach zudem, die Schulden des Gliedstaats für drei Jahre auszusetzen. Präsident Lula hatte bereits zuvor ein Hilfspaket von mehr als 50 Milliarden Reais (8,8 Milliarden Franken) angekündigt. «Der Wiederaufbau dieses Staates wird schwierig sein, aber wir verpflichten uns, Rio Grande do Sul wieder so zu errichten, wie es vor dem Regen war», sagte er zu Beginn der Woche.

Mit Agenturmaterial.

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