Donnerstag, Oktober 31

Die neue britische Labour-Regierung setzt auf einen viel grösseren Staat und auf Mehrbelastungen für die Unternehmen. Ob sie damit das erhoffte Wirtschaftswachstum herbeiführen kann, ist zweifelhaft.

Seit der Unterhauswahl vom 4. Juli hat die britische Labour-Regierung oft über das Erbe gejammert, das ihr die konservative Vorgängerregierung hinterlassen habe. Das Land und die Infrastruktur seien in einem viel schlimmeren Zustand als befürchtet, erklärten Premierminister Keir Starmer und seine Schatzkanzlerin Rachel Reeves immer wieder. Dieses Klagelied stimmte Reeves auch am Mittwoch an, als sie im Unterhaus den ersten Haushalt einer Labour-Regierung seit vierzehn Jahren vorstellte. Gleichzeitig war die Präsentation des Haushalts aber auch jener Moment, in dem die Labour-Regierung Farbe bekennen und konkret darlegen musste, wie sie das Land aus dem Jammertal zu führen gedenkt.

«Die Bevölkerung hat sich bei der Wahl für Wandel ausgesprochen», sagte Reeves bei ihrer Rede. «Und dieser Wandel muss sich in mehr Geld in der Tasche, einem besseren Gesundheitswesen und einer wachsenden Wirtschaft manifestieren.» Konkret kündigte Reeves eine Erhöhung des nationalen Mindestlohns um knapp 7 Prozent auf gut 12 Pfund (13.50 Franken) an. Vor allem aber setzt sie auf enorme staatliche Investitionen, mit denen sie die Infrastruktur sanieren und das Wachstum ankurbeln will – aber erhebliche wirtschaftliche und politische Risiken eingeht.

Umverteilung von Reich zu Arm

Finanziert werden sollen die jährlichen Zusatzinvestitionen von rund 70 Milliarden Pfund (knapp 79 Milliarden Franken) etwa zur Hälfte durch neue Steuern und neue Schulden. Im Wahlkampf hatte die Labour-Partei noch versprochen, der «arbeitenden Bevölkerung» keine neuen Steuern aufzubürden. Zwar sieht Reeves nun tatsächlich von einer Erhöhung der Einkommens- und Mehrwertsteuern sowie der Arbeitnehmerbeiträge bei den Lohnabgaben ab. Doch werden die Beiträge, welche die Arbeitgeber auf Löhne entrichten müssen, substanziell erhöht – weshalb der Oppositionsführer Rishi Sunak der Labour-Partei vorwarf, ihre Versprechen gebrochen zu haben.

Die höheren Lohnabgaben für Firmen fallen finanziell am stärksten ins Gewicht. Erhöht werden aber auch die Kapitalgewinnsteuer und die Erbschaftssteuer. Zudem bittet die Regierung Energiefirmen, Eltern von Privatschülern, die Chefs von Private-Equity-Firmen sowie reiche Ausländer zur Kasse. Experten erklärten, dass Reeves bei der Abschaffung des steuerlichen Non-Dom-Status im Detail gewisse Zugeständnisse gemacht habe. Daher sei abzuwarten, ob es nun zum befürchteten Exodus der Superreichen kommen werde.

Fest steht, dass der Labour-Haushalt eine Umverteilung von Reich zu Arm anstrebt und die Fiskalquote in die Höhe schnellen lässt. Bereits unter der konservativen Vorgängerregierung war die Steuerbelastung im Zuge der Pandemie auf ein Niveau angewachsen, das das Land seit dem Zweiten Weltkrieg nicht erlebt hatte. Gemäss den Prognosen des unabhängigen Office for Budget Responsibility (OBR), das die Haushaltspläne der Regierung prüft, wird die Fiskalquote nun bis Ende des Jahrzehnts einen historischen Höchststand von 38 Prozent der Wirtschaftsleistung erreichen.

Neue Definition von Schulden

Reeves sieht Einsparungen dank Reformen zur beruflichen Wiedereingliederung von Sozialhilfebezügern vor, doch bleiben die Kostensenkungen bei der Verwaltung überschaubar. Massiv zunehmen sollen hingegen die Schulden. Um an den Kapitalmärkten mehr Geld aufnehmen zu können, griff Reeves zu einem buchhalterischen Trick, der die Fiskalregeln zur Begrenzung der Defizite lockert.

Eine Neudefinition der Schulden, die auch finanzielle Aktivposten des Staates berücksichtigt, erlaubt eine substanziell höhere Neuverschuldung von 32 Milliarden Pfund (36 Milliarden Franken). Das zusätzliche Geld darf zwar nicht zur Deckung laufender Staatsausgaben, wohl aber für Investitionen eingesetzt werden. Das OBR bezeichnet den Schritt «als eine der grössten finanzpolitischen Lockerungen der letzten Jahrzehnte».

Reeves hatte die Finanzmärkte auf diese Neuerung vorbereitet. Doch als nach ihrer Rede das Ausmass der Neuverschuldung bekanntwurde, setzte ein Verkauf britischer Staatsanleihen ein. Die Renditen der Anleihen mit zehnjähriger Laufzeit stiegen an. Die Reaktion fiel zwar viel gemässigter aus als im Jahr 2022, als die umstrittenen Haushaltspläne von Liz Truss enorme Marktturbulenzen auslösten. Dennoch besteht laut dem OBR die Gefahr langfristig höherer Schuldzinsen für den britischen Staat, einer leicht höheren Inflation und damit auch höherer Hypothekarzinsen für Hausbesitzer.

Geld für das Gesundheitswesen

Investieren will Reeves die vielen Milliarden in erster Linie in den maroden Nationalen Gesundheitsdienst (NHS). Die Kapazitätsprobleme und die langen Wartezeiten gehören zu den grössten Sorgen der Bevölkerung. Die Regierung will riesige Summen für die Behebung der Engpässe und die Sanierung von Spitälern aufwenden. Das ebenfalls versprochene Reformprogramm soll aber erst im nächsten Jahr vorliegen – was Befürchtungen nährt, die strukturellen Probleme des NHS würden erneut mit Geld zugekleistert.

Weiter will Labour Milliardenbeträge in die Schulen, in die Verteidigung oder den öffentlichen Verkehr investieren. Geplant sind auch der staatlich finanzierte Bau neuer Häuser sowie die Errichtung neuartiger Wasserstoffkraftwerke und Kohlenstofflager im Untergrund, womit die Regierung ihre ambitionierten Klimaziele erreichen will.

Reeves spekuliert darauf, dass diese staatlichen Investitionen das Wachstum ankurbeln und private Investitionen nach sich ziehen werden. Allerdings werden ausgerechnet Firmen, die für das Wachstum sorgen müssten, besonders stark belastet. Neben der Erhöhung der Arbeitgeberbeiträge bei den Lohnabgaben fallen auch die höheren Mindestlöhne sowie die Stärkung der Arbeitnehmerrechte ins Gewicht. Arbeitgebervertreter monierten daher, der Labour-Haushalt werde es britischen Unternehmen erschweren, neues Personal anzustellen.

Ob Reeves’ Rechnung aufgeht oder ob ihre Bemühungen verpuffen, bleibt abzuwarten. Anlass zu übertriebenen Hoffnungen geben die Prognosen des OBR jedenfalls nicht. So soll das jährliche Wirtschaftswachstum von heute 1 auf 2 Prozent im Jahr 2025 steigen, bevor es für den Rest der Legislatur wieder auf unter 1,5 Prozent sinken dürfte.

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