Dienstag, Oktober 22

Die Bürgerlichen lehnen die Pläne des Bundesrates ab, das Kapital aus der beruflichen und der privaten Vorsorge höher zu besteuern. Selbst von den Linken gibt es Kritik am «Angriff» auf die dritte Säule.

Es ist ein Stich ins Wespennest: Der Bundesrat will die Steuern auf Kapitalbezüge aus der zweiten und der dritten Säule erhöhen. Die Mehreinnahmen von geschätzt 220 Millionen pro Jahr sollen dazu beitragen, den strapazierten Bundeshaushalt zu entlasten. Doch «Keller-Sutters Angriff auf den Mittelstand und die Grossverdiener», wie die «Sonntags-Zeitung» titelte, hat einen schweren Stand. Das zeigen die ablehnenden und zum Teil heftigen Reaktionen, die auf die Meldung folgten.

Wie die neue Regelung zur Besteuerung des Altersguthabens im Detail aussehen soll, weiss man noch nicht; der Bundesrat will die Vorlage nächstes Jahr in die Vernehmlassung schicken. Klar ist aber, dass es sich um eine spürbare Verschlechterung für viele Steuerpflichtige handeln würde.

Darf der Staat plötzlich die Regeln ändern?

Heute wird das ausbezahlte Kapital aus der zweiten und der dritten Säule separat vom übrigen Einkommen besteuert, zu einem privilegierten Tarif (bei der direkten Bundessteuer ist es ein Fünftel des ordentlichen Tarifs). Dieses Privileg will der Bundesrat abschaffen: Künftig soll der Bezug des Alterskapitals nicht mehr günstiger besteuert werden als der Bezug der Altersrente. Dazu soll vereinfacht gesagt das Kapital aus der zweiten und aus der dritten Säule auf eine entsprechende Jahresrente (nach der Restlebenserwartung) umgerechnet werden. Diese Jahresrente wird zum übrigen Einkommen hinzugerechnet. Der Steuersatz, der sich so ergibt, ist massgebend für die Besteuerung des ausbezahlten Kapitals.

Für den Mittelstand und die Gutverdiener würde die geplante Änderung teuer, diese Gruppen würden empfindlich getroffen. Auch stellt sich die Frage der Verlässlichkeit: Darf der Staat, nachdem er das steuerprivilegierte private Sparen jahrelang gefördert und die Leute dazu ermuntert hat, plötzlich die Regeln ändern? Wie steht es mit dem Vertrauensschutz?

Bei der FDP ist man über die unpopuläre Steuererhöhung, die von der eigenen Bundesrätin propagiert wird, gar nicht erfreut. Und stellt klar, dass man eine höhere Besteuerung von Kapitalbezügen in der beruflichen und in der privaten Vorsorge dezidiert ablehnt. Die SVP schliesst höhere Einnahmen oder Steuern kategorisch aus. Auch in der Mitte ist man sich der Brisanz des Vorschlags inzwischen bewusst geworden. Vor einem Monat hatte die Mitte das bundesrätliche Entlastungspaket noch als zu einseitig auf die Ausgabenseite fokussiert bezeichnet. Jetzt kritisiert der Mitte-Fraktionschef Philipp Matthias Bregy «die Regeländerung mitten im Spiel» und dass man den «sparenden, eigenverantwortlichen Mittelstand schröpfen» wolle – «na bravo!».

Selbst bei der SP ist leise Kritik zu hören. Die Basler SP-Nationalrätin Sarah Wyss findet es zwar überfällig, dass der Kapitalbezug bei der zweiten Säule gegenüber dem Rentenbezug nicht länger steuerlich privilegiert wird. Heute werde dieses Mittel von wohlhabenden Personen häufig dazu genutzt, Steuern zu sparen. Doch was die dritte Säule angeht, ist Wyss zurückhaltend. Man könne die berufliche und die private Vorsorge nicht miteinander vergleichen, es seien unterschiedliche Systeme. Die dritte Säule diene dem persönlichen Ansparen und sei wichtig für den Mittelstand. Es gebe für den Bund sinnvollere Möglichkeiten, zu neuen Einnahmen zu kommen, als beim privaten Alterssparen anzusetzen, sagt sie.

Säule 3a würde deutlich unattraktiver

Kritik kommt auch aus der Wissenschaft und aus Verbänden. «Diese Initiative geht in die völlig falsche Richtung», sagt Florian Weigert, Professor für Financial Risk an der Universität Neuenburg. Er betont die Bedeutung der privaten Vorsorge. Die Säule 3a beispielsweise motiviere zum langfristigen Vermögensaufbau, der für viele Menschen dringend nötig sei.

Schliesslich leiden die erste und die zweite Säule des Altersvorsorgesystems unter dem demografischen Wandel und den niedrigen Zinsen. Bei vielen Versicherten ist in den vergangenen Jahren die sogenannte Ersatzquote zurückgegangen. Diese sagt aus, welcher Anteil des Lohns aus der Zeit der Berufstätigkeit nach der Pensionierung durch die Gesamtrente aus AHV und Pensionskasse gedeckt ist. Laut der jährlich publizierten Pensionskassen-Studie der Investmentgesellschaft Swisscanto ist die durchschnittliche Ersatzquote für Altersrenten bei einem Lohn von 80 000 Franken im Zeitraum 2013 bis 2022 um 10 Prozentpunkte auf 70 Prozent gesunken.

Laut Studien von Finanzinstituten ist für viele Personen sogar das sogenannte 60-Prozent-Ziel nicht mehr erfüllt, also das einer Ersatzquote von mehr als 60 Prozent. Das Ziel wird aus der Schweizer Verfassung abgeleitet. Gemäss dieser sollen die Renten aus erster und zweiter Säule im Ruhestand eine Fortsetzung des gewohnten Lebensstandards ermöglichen.

Um dies zu erreichen, wird die private Vorsorge immer wichtiger, beispielsweise in der steuerlich geförderten Säule 3a. «Das Vorhaben des Bundesrats würde die Säule 3a aber deutlich unattraktiver machen», sagt Weigert. Die langfristigen negativen Aspekte einer solchen steuerlichen Änderung seien zu wenig bedacht worden.

Reto Spring, Präsident des Finanzplaner-Verbands Schweiz, kritisiert ebenfalls die «falsche Stossrichtung» einer solchen möglichen steuerlichen Änderung. Bei der Altersvorsorge sei Planungssicherheit sehr wichtig, und diese würde dadurch beschädigt. Aufgrund ihrer zunehmenden Bedeutung sollte die private Vorsorge vielmehr zusätzlich gefördert werden, findet er – beispielsweise durch freiwillige, nachträgliche Einzahlungen in die Säule 3a, wie dies die Motion «Einkauf in die Säule 3a ermöglichen», die sogenannte Motion Ettlin, vorsieht.

Möglicherweise handle es sich bei der derzeitigen Diskussion aber ohnehin um einen Sturm im Wasserglas, hofft Spring. Es könne schliesslich nicht im Sinne der Politik sein, die private Vorsorge zu beschädigen. Er verstehe die Sorgen von Politikern darüber, dass sich immer mehr Versicherte das Pensionskassenguthaben auszahlen lassen, anstatt es als Rente zu beziehen. Hier könnte man aber Anreize reduzieren, ohne gleichzeitig der privaten Vorsorge in der dritten Säule zu schaden.

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