Donnerstag, Juli 4

Die Bundesregierung ist zu Konsultationen nach Warschau gereist. Beide Länder wollen in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik enger kooperieren. Beim Thema Wiedergutmachung gab es aber keine Zusagen.

Deutschland und Polen setzen nach Jahren der politischen Eiszeit auf einen Neuanfang ihrer Beziehungen. In Warschau wird die deutsche Regierung wieder als enger Verbündeter gesehen, Bundeskanzler Olaf Scholz sprach von verlässlichen Freunden. «Deutschland wünscht sich eine sehr starke polnische Stimme in Europa», sagte Scholz im Anschluss an die deutsch-polnischen Regierungskonsultationen, die nach sechsjähriger Unterbrechung wieder stattfanden. «Die Sicherheit Europas kann nur gemeinsam verteidigt werden.»

Polens Ministerpräsident Donald Tusk hofft auf eine engere Kooperation in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Es sei im deutschen und polnischen Interesse, einen Schutzschild an der Ostflanke zu schaffen, sagte Tusk, der seit Dezember eine Mitte-links-Regierung führt. In den vergangenen Monaten hat Polen die Grenzschutzanlagen bei Weissrussland weiter ausgebaut.

Vor allem mit Blick auf Frankreich, wo die Rechtsnationalisten nach der Macht greifen, wird die Achse Berlin–Warschau wichtiger. Polen möchte eine Führungsrolle in Europa übernehmen.

Als grösstes Land an der Ostflanke des Nato-Bündnisses kommt Polen zudem eine besondere Rolle bei der Ukraine-Unterstützung zu. Polen hat die meisten ukrainischen Flüchtlinge aufgenommen und gibt 4 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Verteidigung aus – so viel wie kein anderer Nato-Staat.

Keine finanziellen Zusagen für Wiedergutmachung

Auch das schwierige Thema der Wiedergutmachung für die Schäden des Zweites Weltkrieges in Polen kam zwischen den beiden Regierungen zur Sprache. Allerdings sieht der gemeinsam verabschiedete Aktionsplan keine konkrete Finanzierung und keine Zahlungen an Opfer von deutschen Weltkriegsverbrechen vor.

«Reparationen werden nichts ändern an den tragischen Verlusten, die Polen erlitten hat», sagte Tusk bei der anschliessenden Pressekonferenz. Es gebe auch keine Geldsumme, die ausgleichen könne, was im Zweiten Weltkrieg geschehen sei. Wichtig sei dagegen, weiter nach Lösungen zu suchen und keinen «diplomatischen Krieg» zu beginnen. Mit Kanzler Scholz, der neben ihm stand, sieht er sich auf einer Linie.

Tusk bezog sich dabei auf die Vorgängerregierung der nationalkonservativen PiS-Partei. Sie hatte von Deutschland Reparationen in Höhe von mehr als 1,3 Billionen Euro verlangt. Diese Forderung und die antideutsche Rhetorik hatten die bilateralen Beziehungen zerrüttet. Mit Tusk, der auch EU-Rats-Präsident war, hofft Berlin jetzt auf einen sachlichen Umgang mit dem Thema. «Es ist doch ganz klar, dass Erinnerung und Aufarbeitung niemals abgeschlossen sein werden», versicherte Scholz in Warschau.

Rüstungskooperationen sollen ausgebaut werden

Dennoch erwartet die neue polnische Regierung ein Angebot aus Deutschland, auch wenn sie den Begriff Reparation nicht benutzt. Dabei könnte es um mögliche Renten für die noch lebenden rund 40 000 polnischen Zwangsarbeiter und auch um die Rückgabe von geraubten Kulturgütern gehen.

Das Bundeskabinett hat bereits den Bau eines polnischen Hauses beschlossen, das an die brutale deutsche Besatzung während des Zweiten Weltkriegs erinnern und einen Ort des Gedenkens für die polnischen Opfer sein soll.

Die Wiederaufnahme der seit 2018 ausgesetzten Regierungskonsultationen hat einen hohen symbolischen Wert. Scholz ist mit zehn Kabinettsmitgliedern, unter ihnen Finanzminister Christian Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck, nach Warschau gereist. Das wird in Polen durchaus als wichtige Geste bewertet.

Allerdings gibt es auch nach dem Regierungswechsel in Warschau genügend Themen, bei denen die beiden Länder auf Konfrontationskurs sind. So dringt Polen auf eine europäische Finanzierung der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. Das lehnt Deutschland ab. Auch beim Migrationsthema und beim Schutz der EU-Aussengrenzen gab es in der Vergangenheit Dissonanzen.

Einig sind sich Scholz und Tusk, dass Rüstungskooperationen wieder ausgebaut werden, die unter der PiS-Regierung fast auf null gefahren wurden. Dabei soll es laut dem verabschiedeten Aktionsplan konkret um Munition und eine erhöhte Verfügbarkeit von Ersatzteilen für Leopard-Kampfpanzer gehen, die beide Länder an die Ukraine geliefert haben.

Die Reise nach Polen war für den sozialdemokratischen Kanzler eine weitere Mission, um verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Die Russland-Verbindungen von Ex-Kanzler Gerhard Schröder und das lange Festhalten an der Nord-Stream-Pipeline hatten in Warschau quer durch die politischen Lager für Verstimmungen gesorgt. Auch die sicherheits- und energiepolitischen Interessen des östlichen Nachbarlandes fanden in Berlin lange wenig Gehör.

Die künftige Gestaltung der deutsch-polnischen Beziehungen hängt deshalb auch von der Aufarbeitung der fehlgeschlagenen Russland-Politik und einem gleichberechtigten Umgang mit dem östlichen Nachbarland ab.

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