Samstag, Oktober 5

Alle wissen, dass sie trügerisch sein kann, niemand kann ohne sie leben. Aber was ist das eigentlich: Hoffnung? Zwei Bücher geben Antworten.

Sie bebte vor Zorn: «Ich will nicht, dass ihr hoffnungsvoll seid», sagte Greta Thunberg 2019 am Weltwirtschaftsforum in Davos: «Ich will, dass ihr in Panik geratet. Ich will, dass ihr die Furcht fühlt, die ich jeden Tag fühle. Und dann will ich, dass ihr handelt.» Sechzehn Jahre alt war Thunberg damals. Anderthalb Jahre zuvor hatte sie begonnen, in Stockholm Schülerstreiks zu organisieren, die sich gegen Schwedens Klimapolitik richteten.

Erschütternd war der Auftritt in Davos weniger als politisches Statement denn als Psychogramm einer sichtlich derangierten jungen Frau. Nur, mit der Absage an die Hoffnung traf Thunberg einen heiklen Punkt. Wer hofft, handelt nicht, suggerierte sie. Weil er die Welt nicht so sieht, wie sie ist, sondern so, wie er sie sich wünscht. Hoffnung bringt Menschen dazu, zu glauben, dass am Ende alles gut wird. Deshalb sehen sie keine Notwendigkeit, etwas dafür zu tun, dass es besser werden kann. Damit sprach Thunberg aus, was viele ihrer klimabewegten Anhängerinnen und Anhänger dachten.

Arthur Schopenhauer hätte Greta Thunberg grundsätzlich zugestimmt: «Hoffnung ist die Verwechslung des Wunsches einer Begebenheit mit ihrer Wahrscheinlichkeit», schrieb er vor rund hundertfünfzig Jahren. Wer hoffe, betrüge sich selbst. Doch Schopenhauers Misstrauen geht noch tiefer. Er sah die Tragik der Menschen darin, dass sie nicht aufhören können zu hoffen. In einer Welt voller Leiden, Plagen und Gefahren, die nicht darauf angelegt ist, dass sich Wünsche erfüllen. Was Thunberg mit fiebrigem Pathos forderte, den Zustand der Welt zu verbessern, hielt Schopenhauer für eine lächerliche Illusion.

Hoffnung ist überall, aber sie hat einen zweifelhaften Ruf. Man kann sie aus ganz gegensätzlichen Gründen verwerfen. Weil man der Ansicht ist, sie sei das Opium, das Menschen dazu bringt, ihr Schicksal als unabänderlich zu akzeptieren, statt es in die eigenen Hände zu nehmen. Oder weil man sie für das Gift hält, das dazu anstachelt, ebendies zu tun – was notwendigerweise zum Scheitern verurteilt wäre.

Hoffnung ist nichts für Pessimisten. Für Optimisten eigentlich auch nicht. Doch sie hält sich am Leben. Auch in einer von Krieg, Krisen und Umweltzerstörung geprägten Welt, die wenig Anlass zu Hoffnung bietet. Und gerade deshalb für viele nichts anderes übrig lässt als die Hoffnung, dass es so nicht weitergehen wird. Weil es so nicht weitergehen darf.

Die Tür in der Wand

Das ist wenig, zugegeben. Aber auch das gehört zur Hoffnung. Dass sie sich am kleinsten Strohhalm festhält und sich besserem Wissen standhaft widersetzt. Sie wäre nicht Hoffnung, wenn sie nicht auch dort gedeihen würde, wo sie auf den ersten Blick vergeblich scheint. Wer hofft, tut Dinge, die er sich selbst vielleicht gar nicht zutraut. Ohne zu wissen, ob sie gut ausgehen.

Die Ukraine setzt sich gegen die Invasion eines überlegenen Aggressors zur Wehr und gibt nicht auf. Flüchtlinge wagen sich auf die Reise über das Mittelmeer, in Schiffen, die unter der Last der Menschen zu kentern drohen. In der Hoffnung, anderswo ein neues Leben zu beginnen. Auch wenn Menschen alles verlieren: Die Hoffnung bleibt, dass auch in tödlicher Gefahr ein Ausweg da ist. Wie eine Tapetentür in der Wand, die man erst im letzten Augenblick erkennt.

Sie ist ein widersprüchliches Ding, die Hoffnung, und es muss als Zeichen der Zeit verstanden werden, dass diesen Herbst mehrere Bücher erscheinen, die sich der Hoffnung widmen. Der deutsche Altphilologe Jonas Grethlein tut es in einer Tour d’Horizon durch die Geschichte des Begriffs vom antiken Griechenland bis zur Gegenwart. Und der norwegische Philosoph Lars Svendsen zeigt in einem analytischen Essay anschaulich, dass Hoffnung nichts mit Weltflucht zu tun hat, sondern untrennbar verbunden ist mit einem Handeln, das sich der Verantwortung gegenüber sich selbst und der Welt bewusst ist.

Hoffnung, das wird in beiden Büchern deutlich, gehört zu den Begriffen, die immer undurchdringlicher werden, je mehr man ihnen auf den Grund kommen will. Eine einfache, schlüssige Definition bieten weder Grethlein noch Svendsen. Das liegt nicht an ihnen, sondern daran, dass Hoffnung so viele Gesichter hat, dass man sie oft nur schwer erkennt. Sie kann eine unverbindliche Laune sein. Oder ein Lebensgefühl. Auch Pessimisten können hoffnungsvoll sein. Und wenn ein erhofftes Ereignis nicht eintritt, heisst das nicht, dass sich die Hoffnung damit erledigen würde.

Hoffen, wünschen, erwarten: Die Grenzen zwischen den Begriffen sind fliessender, als es dem ordnenden Verstand der Philosophen lieb ist. Jonas Grethlein kündigt im Untertitel seines Buchs eine Geschichte der Zuversicht an. Aber ist Zuversicht dasselbe wie Hoffnung? Eine Hoffnung, die durch Vernunft diszipliniert ist? Svendsen widmet ein ganzes Kapitel dem Zusammenhang von Hoffnung und Optimismus. Um zu erkennen, dass sie sich weder ausschliessen noch aufeinander angewiesen sind. Und nur lose zusammenhängen.

Pandoras Krug

Die antiken Stoiker hielten die Hoffnung für eine schädliche Erregung des Seelenfriedens, Nietzsche kritisierte sie als Traum der Schwachen, die stark sein wollen. Die Christen erhoben sie zur Kardinaltugend, doch das hat ihr wenig geholfen, weil sie ihr zugleich eine klare Richtung gaben: als Erwartung eines ewigen Lebens. Dies wiederum machte sie der Moderne verdächtig. Wer sich mit den Unzulänglichkeiten des irdischen Lebens arrangiert, weil das eigentliche Leben erst nach dem Tod beginnt, entzieht sich der Verantwortung, die er für sich und seine Lebensumstände hat.

Hält man sich an den Mythos, beginnt die Geschichte der Hoffnung mit einem Vergeltungsakt: Weil sie von Prometheus das Feuer bekommen hatten, das eigentlich den Göttern vorbehalten war, schickte Zeus den Menschen eine Frau: Pandora. Als Strafe. Pandora kam nicht allein. Sie hatte einen riesengrossen Krug bei sich, der bis zuoberst gefüllt war mit allen Übeln, von denen die Menschen geplagt werden. Hermes, der Götterbote, brachte Pandora mitsamt dem Krug zu Epimetheus, Prometheus’ Bruder.

Was dann geschah, ist seltsam: Pandora nahm den Deckel vom Krug und leerte ihn aus. Auf einen Schlag entwich alles in die Welt, was den Menschen das Leben schwermacht: Wie die Wespen schwirrten Krankheiten, Mühsal, Leiden und Laster herum. Nur etwas blieb im Krug zurück: die Hoffnung. Sie hatte zuunterst gelegen, verdeckt von allem Bösen, und verfing sich im Deckel. Noch bevor sie den Weg ins Freie fand, verschloss Pandora den Krug wieder. Die Übel waren draussen. Die Hoffnung im Krug.

So erzählt es der griechische Dichter Hesiod im 8. Jahrhundert v. Chr., und man versteht nicht so recht: Versteht er die Hoffnung als Übel? Warum hielt Zeus sie zurück? Wollte er die Menschen vor ihr bewahren, weil sie ihnen etwas vorgaukelt, was sowieso nie eintreten wird? Oder ist sie das einzige Gute, das unter die Plagen im Krug geraten ist? Wollte Zeus sie den Menschen vorenthalten, damit sie umso mehr unter dem Schlechten leiden? Weil sie nicht einmal eine Ahnung davon haben, dass ihre Leiden je an ein Ende kommen könnten? Und vor allem: Wie ist die Hoffnung aus dem Krug gekommen?

Mit Zähnen und Klauen

Die Sache bleibt zwiespältig, man kann interpretieren, solange man will. Jonas Grethlein versucht bei allem Scharfsinn, den er auf die Geschichte verwendet, auch gar nicht, ihr diesen Stachel zu ziehen. Hoffnung ist eine Form von Verblendung der Seele. Zugleich aber auch Quelle einer Kraft, die über den Einzelnen hinaus wirkt. Auf die Frage, was die Menschen am meisten miteinander verbindet, soll der griechische Philosoph Thales im 6. Jahrhundert v. Chr. gesagt haben: die Hoffnung. Sie sei auch bei denen, die nichts anderes hätten.

Zum Paradox der Hoffnung scheint es zu gehören, dass ihr auch die nicht entrinnen, die nichts von ihr wissen wollen. Hinter Greta Thunbergs Nein zu einer Hoffnung, die in selbstgefälliger Untätigkeit darauf setzt, dass sich die Dinge von selbst zum Besseren wenden, steht die grosse Hoffnung, der Mensch könne die Wunden, die er der Natur zugefügt hat, wieder heilen. Und letztlich ist Schopenhauers Philosophie der Hoffnungslosigkeit von der Hoffnung durchdrungen, dass sich die Hoffnung überwinden lasse.

Schon formal lässt sich Hoffnung kaum fassen. Sie ist ein Gefühl. Aber auch eine Kategorie des Denkens. Vielleicht ein Prinzip, wie der marxistische Philosoph Ernst Bloch sagte: Sie kann weder bewiesen noch widerlegt werden. Vor allem aber ist sie eine Lebenshaltung, und Immanuel Kant hielt sie sogar für eine Pflicht. «Was darf ich hoffen?» lautete eine der grossen Fragen, an denen er sein Denken orientierte. In der Frage steckt eine Aufforderung, die Kant für so selbstverständlich hält, dass er sie gar nicht ausspricht: dass es zum Menschen gehört, zu hoffen. Das ist für Kant allerdings nicht nur eine Sache des Gefühls, sondern auch eine des Verstands.

Wir müssen alles tun, um die zu werden, die wir sein wollen. Aber wir können nur hoffen, dass es gelingt, weil wir wissen, dass es nicht in unserer Macht steht. Etwa so würde Kant es sagen. Was Hoffnung genau ist, hat er allerdings nicht definiert. Er wusste, warum. Vielleicht muss man nicht Philosophen fragen, sondern Dichter, wenn man erfahren will, was Hoffnung ist. Ans Ende seines Buches setzt Jonas Grethlein ein Gedicht der amerikanischen Lyrikerin Caitlin Seida: «Hoffnung ist nicht das Federding, / Das nach Hause kommt zum Schlafen, / Wenn Du es am meisten brauchst», heisst es da: «Hoffnung ist ein hässliches Ding / Mit Zähnen und Klauen und / Flickenhaftem Fell, das so manche Scheisse gesehen hat.»

Jonas Grethlein: Hoffnung. Eine Geschichte der Zuversicht von Homer bis zum Klimawandel. C.-H.-Beck-Verlag, München 2024. 352 S., Fr. 39.90.
Lars Svendsen: Philosophie der Hoffnung. Aus dem Norwegischen von Daniela Stilzebach. S.-Marix-Verlag, Wiesbaden 2024. 304 S., Fr. 34.90.

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