Mittwoch, März 19

Die überraschende Stornierung des vielversprechendsten Projekts von AMS Osram bringt den angeschlagenen Sensorenhersteller zurück auf die Intensivstation. Die Aktien eignen sich höchstens für kurzfristige Tradingengagements.

Geschätzte Leserin, geschätzter Leser

Der österreichische Sensorenhersteller AMS Osram hat die Anleger in den vergangenen Jahren schon mehrmals enttäuscht. 2023 wurde reinen Tisch gemacht. Die Konzernleitung wurde ausgewechselt und das Unternehmen refinanziert. Die Investoren mussten eine stark verwässernde Kapitalerhöhung schlucken, damit das finanziell angeschlagene Unternehmen eine Überlebenschance hatte.

Es hätte das Ende des Schreckens markieren sollen.

Der neuen Konzernleitung unter der Führung von Konzernchef Aldo Kamper gelang es in den vergangenen Monaten, langsam wieder Vertrauen aufzubauen. Unrentable Bereiche wurden abgestossen. Kernelement der neuen, auf Sensoren und Lichttechnologien aufgebauten Unternehmensstrategie war das Geschäft mit Mikro-LED-Produkten, das in den nächsten Jahren anlaufen sollte.

Dafür liess das Unternehmens eigens in Malaysia eine riesige 8-Zoll-LED-Fabrik errichten. Sie sollte ab 2025 die neuen LED-Displays liefern. Laut asiatischen Quellen war AMS als Lieferant für die Oled-Bildschirme der neuen Apple Watch Ultra vorgesehen. In den vergangenen Wochen tauchten vermehrt Berichte auf, dass sich die Markteinführung bis 2026 oder sogar 2027 verzögern könnte. Das wäre zwar bitter für AMS gewesen, aber noch verkraftbar.

MikroLED hätte das Fundament sein sollen, das AMS endlich auf die Erfolgsstrasse zurückbringt. Diese Hoffnung ist nun je zerplatzt.

Apple zieht den Stecker

Das Schlüsselprojekt der Mikro-LED-Strategie sei «unerwartet» storniert worden, schreibt das Unternehmen in einer Ad-hoc-Mitteilung. Es ist ein offenes Geheimnis, dass es sich dabei um den Apple-Auftrag handeln muss. Für AMS ist das ist die denkbar schlimmste Entwicklung, denn sie stellt die gesamte Strategie des Unternehmens infrage, mit der die Investoren für eine Kapitalerhöhung motiviert wurden.

Mit solch einer Hiobsbotschaft hat offenbar niemand gerechnet.

Was dies für das Unternehmen bedeutet, lässt sich an der heftigen Marktreaktion am Donnerstag ablesen: Auf einen Schlag war fast die Hälfte der Börsenkapitalisierung weg, die seit der Kapitalerhöhung erzielten Kursavancen wurden mehr als getilgt.

AMS befindet sich damit zurück auf Feld 1 bzw. wieder in der Intensivstation.

Für jedes Unternehmen ist es schmerzhaft, wenn ein Hauptkunde ein wichtigstes Projekt storniert. Bei AMS ist dies jedoch so gravierend, dass die gesamte Strategie neu adjustiert werden muss. Noch fänden zwar Gespräche mit dem Kunden statt, lässt AMS mitteilen. Doch nun müsse die gesamte Mikro-LED-Strategie überarbeitet werden.

Dabei wird alles hinterfragt, auch die neue Fabrik in Malaysia. Sie hätte verkauft und zurückgemietet werden sollen (Sale-and-lease-Back), um die Bilanz zu schonen. Offenbar geht das AMS-Management nicht davon aus, dass diese Kapazitäten von anderen Kunden übernommen werden können. Sonst würde nicht die gesamten Investitionen einschliesslich Goodwill auf einen Schlag abgeschrieben.

Tabula rasa

Im laufenden Quartal würden Wertberichtigungen von 600 Mio. bis 900 Mio. € verbucht. An der Prognose für das erste Vierteljahr hält das Unternehmen indes fest: Weiterhin wird ein Umsatz von 800 Mio. bis 900 Mio. € sowie eine adjustierte Ebit-Marge im Bereich von 4 bis 7% in Aussicht gestellt.

Schwerer wiegt indes, dass die Auftragsstornierung die mittelfristigen Ziele über den Haufen wirft. Für den Zeitraum 2023 bis 2026 hat das AMS-Management bisher versprochen, ein Umsatzwachstum von 6 bis 10% erreichen zu können. Nun werden nur noch 6 bis 8% erwartet.

Obwohl die Wertberichtigung nicht cashwirksam ist, wird sie die Rentabilität von AMS trotzdem beeinträchtigen, weil weniger Aufwendungen für die Forschungs- und Entwicklungskosten sowie weniger Fördermittel im Zusammenhang mit dem Projekt verbucht werden können. Den negativen Effekt beziffert AMS mit 30 Mio. bis 50 Mio. €. Das ist immerhin rund ein Fünftel des für dieses Jahr erwarteten Betriebsgewinns.

Das Unternehmen will die Einbussen mit zusätzlichen Sparmassnahmen wenigstens teilweise kompensieren. Angesichts des bereits laufenden Effizienzprogramms dürfte das nicht einfach zu bewerkstelligen sein.

Ein schwacher Trost ist es, dass durch die Stornierung des Schlüsselprojekts weniger Mittel für die Fertigungsausrüstung nötig sind. In den nächsten zwei Jahren würde dies das Cashflow-Profil verbessern, schreibt AMS.

Verhängnisvolle Abhängigkeit

Der jüngste Dämpfer zeigt, wie eng die Verbindung von AMS mit seinem Hauptkunden Apple weiterhin ist. Schon Jahre vor dem Zusammenschluss mit Osram war die Abhängigkeit gross. Durch die Veräusserung des Halbleitergeschäfts und den Teilausstieg im Bereich Lampen und Systeme hat die Abhängigkeit gegenüber diesem Hauptkunden offenbar eher noch zugenommen, sonst wären die Auswirkungen nicht so gravierend.

Es ist mir ein Rätsel, wie AMS für einen einzigen Kunden ein riesiges Werk aufziehen kann, ohne entsprechende Sicherheiten zu haben, wenn dieser aussteigt. Doch offenbar ist die Verhandlungsbasis von AMS gegenüber Apple so schwach, dass es ungesichert ein solches Risiko eingehen muss. Anscheinend waren die Vorauszahlungen von Apple auch dann noch hängig, als AMS bereits mit dem Bau der neuen Fabrik begann.

Bilanz bereits wieder strapaziert

Es wird wohl einige Zeit brauchen, bis sich AMS von diesem Tiefschlag erholen wird. Im schlimmsten Fall kommt sogar eine weitere Refinanzierung aufs Tapet, falls nicht rasch neue Aufträge in die Lücke springen. Die Hoffnung ruht nun auf dem Automobilbereich, in dem AMS über eine starke Positionierung verfügt.

Ende 2023 beliefen sich die Nettoschulden auf 1,3 Mrd. €. In Relation zum Ebit von 763 Mio. € resultierte daraus eine gut verkraftbare Verschuldungsquote von 1,7. Doch unter der Berücksichtigung der Sale-and-Lease-Back-Transaktion und der kostspieligen Putoption der Osram-Minderheitsaktionäre summieren sich die Nettoschulden bereits wieder auf weit über 2 Mrd. €. Wenige Wochen nach einer Kapitalerhöhung ist das ein ernüchterndes Resultat.

Für langfristige Engagements eignen sich die AMS-Valoren nach wie vor nicht. Mehr als kurzfristige Tradinggelegenheiten, die in solch finanziell ausgereizten Unternehmen zu heftigen Kursausschlägen führen können, sehe ich nicht.

Freundlich grüsst im Namen von Mr Market

Giorgio Müller

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