Eine Umfrage von NZZ und KOF zeigt: Weder die Initiative zur Prämienentlastung noch jene zur Kostenbremse wird von Ökonomen unterstützt. Bei einer der beiden ist die Sache aber extrem knapp.
In einem Punkt sind sich Regierung, Parlament und Bevölkerung einig: Die Gesundheitskosten steigen in ungesundem Mass. Wenig Einigkeit herrscht aber bei der Frage, wie man dieser Entwicklung entgegenwirken soll. Für die politischen Parteien ist die Sache komplex. Sie wissen, dass die steigenden Krankenkassenprämien zu den drängendsten Sorgen der Stimmbevölkerung gehören. Doch ein Abbau von kostenintensiven Leistungen ist unpopulär, zumal die Versicherten im Krankheitsfall selbstverständlich die beste – und oft teuerste – Versorgung wollen.
Klares Nein zum Prämiendeckel
Guter Rat ist somit teuer und Nichtstun für die Parteien keine Option. Um den Wählern zu signalisieren, dass man ihre Sorgen ernst nimmt, werden daher in grosser Regelmässigkeit neue Initiativen lanciert. Am 9. Juni stimmt die Schweizer Stimmbevölkerung gleich über zwei gesundheitspolitische Vorschläge ab: Zum Ersten wird die von den Sozialdemokraten, Grünen und Gewerkschaften unterstützte Prämien-Entlastungs-Initiative vorgelegt; zum Zweiten kommt die von der Mitte-Partei aufgegleiste Kostenbremse-Initiative zur Abstimmung.
Beide Initiativen werden von Bundesrat und Parlament abgelehnt. Doch wie sind die Vorstösse aus ökonomischer Perspektive zu werten? Zur Beantwortung dieser Frage hat die NZZ in Zusammenarbeit mit der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich eine Umfrage unter Ökonomen durchgeführt. Geantwortet haben 113 Wissenschafter aus 15 Institutionen. Dabei zeigt sich: Auch in der Ökonomenzunft stossen die Initiativen auf wenig Begeisterung. In der Bevölkerung hingegen sind die Anliegen populärer. So hatte bei der SRG-Trendumfrage von Anfang Mai noch zweimal ein Ja resultiert.
Besonders klar zeigt sich die Ablehnung der Ökonomen bei der Prämien-Entlastungs-Initiative. Diese sieht vor, dass die Versicherten höchstens 10 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für die Krankenkassenprämien aufwenden müssen. Wenn die Prämie diese Prozentmarke übersteigt, sollen die Versicherten eine Prämienverbilligung erhalten, finanziert zu zwei Dritteln durch den Bund und zu einem Drittel durch die Kantone. Das würde laut Schätzungen des Bundes zu jährlichen Mehrkosten zwischen 3,5 und 5 Milliarden Franken bei Bund und Kantonen führen.
Rund 65 Prozent der befragten Ökonomen lehnen dieses Vorhaben stark oder eher ab. Zu den Gründen für die Ablehnung werden keine Angaben gemacht. Gegner monieren jedoch, dass eine blosse Deckelung von Prämien nichts ändere an den Ursachen der stark steigenden Kosten im Gesundheitswesen. Gewarnt wird auch vor den milliardenhohen und jährlich wiederkehrenden Kosten, sollten die Prämienverbilligungen neu auf den Mittelstand ausgeweitet werden. Es sind dies Argumente, die wohl auch viele der befragten Ökonomen überzeugen dürften.
Knappe Ablehnung zur Kostenbremse
Deutlich knapper fällt die Ablehnung der Kostenbremse-Initiative ab. Diese wird von 51 Prozent der befragten Ökonomen abgelehnt, während sich in der SRG-Trendumfrage noch eine knappe Mehrheit von 52 Prozent für ein Ja ausgesprochen hatten. Die Initiative fordert, dass der Bund zusammen mit den Kantonen Massnahmen zur Kostensenkung ergreift, wenn die durchschnittlichen Kosten pro versicherte Person in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) deutlich stärker steigen als die Nominallöhne und die Wirtschaftsleistung.
Der Titel der Initiative gibt zwar vor, direkt bei den Kosten anzusetzen. Gegner kritisieren aber die Starrheit der Vorlage. Indem das erlaubte Kostenwachstum nur an die Entwicklung der Löhne und der Wirtschaft gekoppelt werde, würden nachvollziehbare Gründe für ein Anziehen der Kosten ausgeblendet. Zu solchen Gründen gehören etwa die Alterung der Bevölkerung, zumal Leute in hohem Alter mehr Gesundheitskosten verursachen. Ausgeklammert bleibe zudem der medizinische Fortschritt, der neue Therapien ermögliche, auf die niemand verzichten wolle.
Ein weiterer Einwand gegen die Kostenbremse-Initiative: Sie gibt nur ein Kostenziel vor, nennt aber keinerlei Lösungen, wie das Ziel erreicht werden kann. Die Suche nach konkreten Massnahmen wird vielmehr an den Bund und die Kantone delegiert. Rund 90 Prozent der befragten Ökonominnen und Ökonomen haben jedoch ein geringes oder gar kein Vertrauen in Bezug darauf, dass die zuständigen Behörden ökonomisch effiziente Massnahmen zur Kostensenkung ausarbeiten und umsetzen würden. Nur 10 Prozent der Befragten trauen diese Aufgabe dem Staat zu.
Wenn es offenbar an Vertrauen in die Behörden mangelt, was würden denn die Ökonomen tun, um die Effizienz im Gesundheitswesen zu erhöhen? Den Befragten wurden zehn Massnahmen präsentiert, von denen sie drei auswählen konnten. Am meisten genannt wurde die Idee, den Parallelimport von patentgeschützten Medikamenten zu erlauben. Gegen diese Reform wehrt sich aber die Pharmaindustrie. Zwar bliebe den Herstellern das Monopolrecht zur kommerziellen Nutzung ihrer Erfindungen erhalten. Erschwert würde aber die Praxis, Medikamente in der Schweiz viel teurer zu verkaufen als im nahen Ausland.
Für Parallelimporte und mehr Wettbewerb
Doch nicht nur bei den Medikamentenpreisen sehen Ökonomen einen grossen Hebel zur Effizienzsteigerung. Dasselbe gilt mit Blick auf eine Stärkung des Wettbewerbs. So stösst der Vorschlag, das Kartellrecht auf das Gesundheitswesen anzuwenden und Tarifverhandlungen zwischen den Verbänden zu verbieten, auf breite Zustimmung. Potenzial für mehr Effizienz wird ferner bei höheren Kostenbeteiligungen (Franchise und Selbstbehalt) der Versicherten gesehen. Bei all diesen Massnahmen ist aber Widerstand programmiert, ob von den Verbänden oder Patienten.
Beim politischen Gerangel rund um die beiden Initiativen wird oft auch die Finanzierungsform der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) infrage gestellt. Vor allem linke Parteien kritisieren, dass die Krankenversicherten innerhalb einer Prämienregion und Altersgruppe einheitlich hohe Kopfprämien entrichten müssen, unabhängig vom Einkommen. Zwar wurde dieses Konzept an der Urne wiederholt bestätigt und sorgen Prämienverbilligungen für Versicherte, die in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen leben, für einen sozialen Ausgleich. Dennoch reisst die Kritik an Kopfprämien nicht ab.
Auch unter Ökonomen ist die Sache umstritten. Auf die Frage, wie die OKP aus ökonomischer Sicht hauptsächlich finanziert werden sollte, bekennen sich zwar 34 Prozent zur Kopfprämie. Ein nur geringfügig niedrigerer Anteil von 31 Prozent votiert aber für einkommensabhängige Prämien. Rund ein Fünftel macht sich für risikogerechte Prämien stark. Eine Finanzierung über allgemeine Steuermittel, wie sie etwa im Vereinigten Königreich zur Anwendung kommt, stösst hingegen auf wenig Anklang; nur 8 Prozent propagieren ein solches System.